Foto: Anastasia Hammerschmied
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Die Wände in Ahmads Wohnung sind kahl, die Möbel einfach. "Dieser Platz ist nur zum Schlafen", sagt er. Wenn er eine richtige Wohnung hätte, würde er Poster und Fotos aufhängen. In der Altbauwohnung in der Nähe des Wiener Pratersterns leben acht bis zehn Personen auf engstem Raum zusammen. Die Bewohner wechseln oft. Männer zwischen 20 und 45 Jahren, die in Österreich Asyl bekommen haben, mieten einzelne Betten für 250 Euro im Monat – in Zimmern, die sie mit bis zu drei anderen teilen müssen. Während des Besuchs des STANDARD Mitte Oktober quetschten sich beinahe alle Bewohner der WG auf dem Boden und auf den beiden Betten in Ahmads Zimmer zusammen.

Seit zwei Jahren lebt der 25-Jährige aus Damaskus in der WG und ist somit am längsten hier. Seinen vollständigen Namen möchte er nicht verraten aus Angst, sein Vermieter könnte ihn erkennen. Auf der Baustelle nebenan ist es selbst um 20 Uhr noch so laut, dass es schwierig ist, Ahmad zu verstehen. Syrien habe er 2013 verlassen, erzählt er. In der Wohnung hat er nur ein kleines Bett, einen Teil vom Gemeinschaftskasten und ein Nachtkästchen. "Das sind meine Sachen", sagt er und zeigt auf eine Packung Proteine, einen Koran und einen großen Teddybären, der auf dem Nachtkästchen steht. Eine Freundin aus Österreich habe ihm den Teddy geschenkt.

Seit zwei Jahren ist das Ahmads Schlafplatz. Eine Ecke des Gemeinschaftszimmers bekommt er für 250 Euro im Monat. Privatsphäre gibt es keine.
Anastasia Hammerschmied

Tausend Euro für ein Zimmer

Auch sein Mitbewohner Manuel, der unter diesem Namen erwähnt werden möchte, kommt aus Damaskus. Er lebt seit acht Monaten mit seinem Bruder in einem Zimmer, das sie sich mit zwei weiteren Bewohnern teilen. Manuel und seine Mitbewohner sind Untermieter. Die Kosten pro Bett: 250 Euro. 1.000 Euro kostet Manuels Zimmer. Die Mitbewohner kommen aus Syrien, dem Irak, Algerien und Marokko. Bis zu 2.500 Euro pro Monat geben sie ihrem Hauptmieter, obwohl das Mietrechtsgesetz für Altbauwohnungen strenge Mietzinsbegrenzungen vorsieht. Der Hauptmieter bezahlt 1.350 Euro, meint Manuel. Er vermiete mehrere Wohnungen wie diese. Böse sei Manuel aber nicht auf ihn. "Was soll ich ohne ihn machen? Auf der Straße schlafen?" Außerdem würden viele seiner Freunde in noch schlechteren Wohnungen leben, ebenfalls von Zwischenmännern vermietet. Andere Zimmer gebe es für Menschen mit Asyl kaum, erzählen die WG-Bewohner, die "Hauptmieter" würden davon leben, Wohnungen an Asylberechtigte zu vermitteln.

Das kann Herbert Langthaler vom Verein Asylkoordination Österreich bestätigen. Der Großteil der in Wien lebenden Menschen mit Asylberechtigung lebe zusammengepfercht in Massenquartieren, die meisten Wohnverhältnisse entsprängen halb bis ganz kriminellen Strukturen. Vor allem junge, alleinstehende Männer seien betroffen. Es wäre wichtig, Beratung und Information in den Muttersprachen der Betroffenen anzubieten, sagt Langthaler.

Manuel möchte lieber allein mit seinem Bruder leben, doch für Syrer sei es schwierig, eine Wohnung zu finden, meint er, viele Vermieter würden sagen, dass sie keine Ausländer wollen. Was für ihn die Wohnungssuche zusätzlich erschwere, sei der Umstand, dass er von der Mindestsicherung lebe und kaum Ersparnisse für Kaution und Provision habe.

Ahmads und Manuels Vermieter wohnt nicht in der Wohnung, weshalb der Eigentümer den Vertrag kündigen könnte, wann immer er möchte, auch weil in der Wohnung teilweise mehr als doppelt so viele Personen wohnen, wie es Räume gibt. Würde der Eigentümer deshalb den Vertrag kündigen, hätten aber auch die Untermieter kein Wohnrecht.

Manuels Zimmer: Zu viert müssen sich er und die anderen Untermieter den Raum teilen.
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Aufklärungsarbeit nötig

Elke Hanel-Torsch, Vorsitzende der Mietervereinigung Wien, die Mieter bei rechtlichen Schritten gegen ihre Vermieter unterstützt, kennt das Problem. Untermietverträge seien in Österreich gesetzlich geregelt, Vermieter und Untervermieter würden sich aber oftmals nicht an das Gesetz halten. Gerade Asylberechtigte hätten oft große Probleme am Wohnungsmarkt. Diese würden die zuständigen Beratungsstellen nicht kennen und hätten auch Angst vor den Konsequenzen einer Klage. Das österreichische Mietrecht mit seinen Schutzwirkungen sei ihnen fremd. Hier sei vor allem Aufklärungsarbeit notwendig. Es sei wichtig, dass Mieter wissen, welche Rechte und Pflichten sie haben und wie sie diese Rechte durchsetzen können.

Bei befristeten Verträgen sei die Rechtsdurchsetzung aber leider generell ein Problem, da der Vermieter in einem solchen Fall den Vertrag nicht verlängere. Hanel-Torsch fordert deshalb eine Novellierung des Mietrechtsgesetzes, bei der neben zahlreichen anderen Punkten auch die Befristungsmöglichkeit eingeschränkt werden soll.

Wiens Wohnbaustadtrat Michael Ludwig (SPÖ) sagt, er setze sich seit langem für eine Gesetzesänderung ein, die Befristungen nur noch in Ausnahmefälle gestattet. Für Menschen mit Mietverhältnissen wie jenem von Ahmad und Manuel, die nach dem jetzigen Gesetz bereits rechtswidrig sind, gebe es jedoch genügend Anlaufstellen wie das Büro für Sofortmaßnahmen und die Mieterhilfe.

Ein Bett, ein kleiner Tisch und ein bisschen Platz im Gemeinschaftsschrank: So leben viele Asylwerber, nachdem sie einen positiven Bescheid erhalten haben.
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Mehr Kontakt zu Österreichern

Ahmad denkt, es sei am besten, in einer WG mit Österreichern zu leben. Er lebe gern in Wien, gehe hier zum McFit und könne Deutschkurse besuchen. Aber er hätte gern mehr österreichische Freunde. "Wir brauchen Kontakt, um Deutsch zu lernen." Eine WG zu finden sei jedoch schwierig, weil man zu so vielen Interviews müsse.

Manuel würde lieber in Kärnten leben, wo er während des Asylverfahrens war. Dort habe er ein Zimmer nur mit seinem Bruder gehabt und österreichische Freunde. Er habe jedoch gedacht, dass es in Wien leichter sei, Arbeit zu finden.

Bevor er nach Österreich kam, hatte er erwartet, dass vieles einfacher sein würde. "Ich habe es mir besser vorgestellt, so wie in dem Lied 'Rauschende Nächte in Wien' von Asmahan." Alle im Raum nicken, einige summen das Lied der syrischen Sängerin. "Sie singt: 'Wien schmeckt wie der Himmel'", sagt Manuel.

"Wir wollen ein normales Leben, Wohnung und Arbeit, jetzt ist es nicht gut", meint Ahmad. Manuel sagt, er würde sich mehr Hilfe wünschen, vor allem bei der Wohnungssuche. "Arbeit musst du selber finden, das ist normal, aber eine Wohnung zu kriegen ist so schwierig."

60 Quadratmeter für sechs Personen

In einer anderen Wohnung, aber in ähnlichen Verhältnissen in der Bernardgasse im siebenten Bezirk lebt Mohanad (Name geändert, Anm.). DER STANDARD besucht ihn dort Mitte Oktober. Auf 60 Quadratmeter schätzt er seine Wohnung, die er bis vor kurzem mit fünf anderen geteilt hat. Auch er zahlt 250 Euro Miete. "Das ist der Einheitspreis", sagt Mohand, der weiß, wovon er spricht: In den eineinhalb Jahren, seit er in Wien wohnt, war er in vier Wohnungen wie dieser Untermieter. Mohanad kommt ebenfalls aus Syrien. Sobald er besser Deutsch kann, möchte er eine Ausbildung zum Automechaniker absolvieren. Im Moment lebt er von der Mindestsicherung.

Mohanads Zimmer in der Bernardgasse. Die Möbel in der restlichen Wohnung hat sein Vermieter entfernt, kurz nachdem er verkündet hatte, dass alle ausziehen müssen.
Foto: Anastasia Hammerschmied

Mohanads Wohnung ist noch enger als die am Praterstern. In einem winzigen Zimmer mit Fliesenboden hätten bis vor kurzem zwei Menschen für je 250 Euro gelebt. Ein anderes Zimmer ist maximal vier Quadratmeter groß. Die Küche ist klein, er habe hier nie gekocht, weil man sich so lange anstellen müsse, sagt Mohanad. In den Wänden sind überall Löcher, die Türschnalle zum Bad ist kaputt. Mohanad hält das alles für rechtskonform, immerhin hat er hier erstmals, wenn auch nur zur Untermiete, einen richtigen Vertrag bekommen.

Jetzt müsse er aber wieder ausziehen. Am 1. Oktober habe ihm der Vermieter erklärt, dass Ende des Monats alle wegmüssten, obwohl der Vertrag bis Jahresende läuft. Die Eigentümerin wolle die Wohnung künftig an Touristen vermieten. Zwei Tage später seien fremde Männer gekommen und hätten die meisten Möbel abgeholt. Als das Interview geführt wurde, wohnte Mohanad nur noch mit einem Freund in der Wohnung. Vor wenigen Tagen ist er dort ausgezogen und in einem Hostel untergekommen.

"Bescheidene Mietpreise"

Mohanads Untervermieter ist zu einem Interview bereit, möchte jedoch seinen Namen nicht nennen. Er vermiete nur eine Wohnung an Asylberechtigte, erzählt er. Außerdem habe er noch zwei staatlich geförderte Quartiere für Personen im Asylverfahren. Die Wohnung habe er sehr schön und komfortabel eingerichtet. Er wolle die WG aber schließen, weil es Streit gegeben habe: "Da waren Iraker und Syrer drinnen. Man soll nicht zwei Nationen zusammenlegen. Da gibt's Probleme aus religiösen Gründen." Durch die Wohnung habe er finanzielle Verluste erlitten, weil er versucht habe, die Mietpreise bescheiden zu gestalten. Wie viel er selbst bezahlt hat, möchte er nicht sagen. Seinen Untermietern habe er gesagt, dass sie bis Ende des Jahres bleiben können, wenn sie nicht früher etwas finden, auch wenn das bedeuten würde, dass er ein Minus mache.

Fliesenboden und kaum Licht. Zwei Personen mussten sich dieses Zimmer und einen kleineren Vorraum teilen.
Foto: Anastasia Hammerschmied

Plötzliche Räumung

Befristete Mietverträge müssen in Österreich auf mindestens drei Jahre abgeschlossen werden. Das wusste Mohanad, dessen Vertrag auf ein Jahr begrenzt ist, nicht. "Das Problem ist, dass wir die Gesetze nicht kennen." Vor vier Monaten sei er in seiner letzten Wohnung vor dem Fernseher gesessen, als plötzlich der Eigentümer mit der Polizei vor der Tür stand. Dabei habe er seine Miete immer bezahlt, von einer Räumungsklage habe er nichts gewusst, nur dass es Streit zwischen zwei Hauptmietern gab, die nacheinander für die Wohnung zuständig waren. Die Polizei habe ihm gesagt, er müsse die Wohnung sofort verlassen, weil der Eigentümer seit Monaten keine Miete gesehen habe. Nach inständigem Bitten wurde ihm erlaubt, seine Sachen schnell zusammenzupacken. Man habe ihm keine Dokumente gezeigt und auch nicht erklärt, warum er gehen müsse. Fünf Minuten später sei er bereits mit seinen Sachen auf der Straße gestanden. Bis er die jetzige Wohnung gefunden hatte, habe er bei Freunden geschlafen. All seine Sachen passen in einen kleinen Koffer, sagt Mohanad. Er wisse auch nicht, wozu er mehr kaufen sollte.

Keine fünf Quadratmeter misst der Raum, der in der Bernardgasse um 250 Euro im Monat vermietet wurde.
Foto: Anastasia Hammerschmied

Laut Michael Ludwig ist das Büro für Sofortmaßnahmen im Regelfall noch vor Räumungen vor Ort, um die Bewohner aufzuklären. Die Betroffenen können durch die Stadt sogar wohnversorgt werden. "Es wird immer wen geben, der sich nicht informieren will und nicht die deutsche Sprache kann", das Angebot der Stadt Wien sei jedoch ausreichend. Es gebe ein vielfältiges Informationsangebot, das wohl auch der Grund dafür sei, dass Flüchtlinge innerhalb Österreichs nach Wien kommen.

"Es ist nicht meine Schuld"

Mohanad würde sich mehr staatliche Kontrolle der Mietverhältnisse wünschen. Die Einrichtungen der Stadt kennt er nicht. Das viele Umziehen sei für ihn das Schlimmste. "Es ist nicht meine Schuld, ich mache nie Probleme. Es ist auch nicht die Schuld der Eigentümer. Die Hauptmieter sind schuld." Dass er als Mieter Rechte hat, war ihm lange nicht bewusst. Sobald er eine neue Wohnung finde, sei er froh, irgendwo untergekommen zu sein, und wolle nicht mehr darüber nachdenken. "Ich mache immer weiter bis zum nächsten Haus und hoffe, dass es das letzte ist." Doch dann komme meistens schon die nächste Überraschung, und es heiße wieder: "Weg, weg, weg." (Anastasia Hammerschmied, 14.11.2017)