Sebastian Kurz und Heinz-Christian Strache verkündeten am Freitag erste Verhandlungsergebnisse. Mehr Fotos finden Sie in Cremers Photoblog.

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Wien – Heinz-Christian Strache klingt anders als seine politischen Ahnen. Viel entspannter, als dies unter blauen Politikern einst en vogue war, gibt er sich, wenn es um Budgetdisziplin geht. "Wir sind keine Nulldefizit-Fetischisten", sagt der FPÖ-Chef, "und wollen das nicht übers Knie brechen."

Vor 17 Jahren, beim Erstversuch einer schwarz-blauen Regierung, war das nicht so. Finanzminister Karl-Heinz Grasser (FPÖ) hatte umgehend ein Nulldefizit durchgeboxt, dafür massive Steuererhöhungen verhängt – und sich der Kritik ausgesetzt, das Wirtschaftswachstum abgewürgt zu haben. Diesmal wollen es die Freiheitlichen gemächlicher angehen. Der ausgeglichene Haushalt sei ein längerfristiges Ziel, erläutert Strache, ohne Widerspruch von Verhandlungspartner Sebastian Kurz zu ernten: Irgendwann jenseits des Jahres 2020 möge Österreich ein echtes Nulldefizit erreichen.

Ganz ohne Sparen wollen Kurz und Strache, die am Freitagnachmittag Ergebnisse der ersten Woche gemeinsamer Koalitionsverhandlungen präsentierten, aber nicht starten. Man dürfe sich von der "relativ positiven Großwetterlage" – hohes Wachstum, niedrige Zinsen – nicht blenden lassen, mahnt der ÖVP-Chef. Schließlich schleppe der Staat insgesamt drei Milliarden Euro an zusätzlichen Ausgaben "ohne Gegenfinanzierung" mit: 2,3 Milliarden resultierten aus dem neuaufgelegten Regierungsprogramm, mit dem sich die rot-schwarze Koalition zu Jahresbeginn neues Leben einzuhauchen versucht hatte. 650 Millionen hätten jene Beschlüsse gekostet, auf die sich die Parlamentsparteien im freien Spiel der Kräfte vor der Wahl geeinigt hatten.

Laut Berechnung des Finanzministeriums, referieren die beiden Parteichefs, werde das strukturelle Budgetdefizit – konjunkturelle Effekte werden dabei herausgerechnet – deshalb von heuer 0,46 auf 1,5 Prozent steigen. Dies gelte es zu verhindern, so das schwarz-blaue Ziel: Die EU-Vorgabe von 0,5 Prozent sei einzuhalten.

Auch Kurz gibt sich diesbezüglich aber betont unaufgeregt. Er klage nicht über die Zahlen, sondern stelle sie nur dar, sagt der Kanzler in spe: Die Situation sei "nicht zu 100 Prozent wünschenswert", doch arbeiten lasse sich auf dieser Basis allemal. Was ÖVP und FPÖ genau vorhaben? Darüber redeten Kurz und Strache viel, sagten jedoch nur wenig Konkretes. Für die fünf "Cluster" der türkis-blauen Verhandlungen gibt es folgende Vorgaben:

  • Staat und Gesellschaft: ÖVP und FPÖ wollen "aktiv" die Gestaltung des EU-Ratsvorsitzes im zweiten Halbjahr 2018 vorbereiten und die EU im Sinn der Subsidiarität weiterentwickeln. Die beiden Parteien geben ein "klares Bekenntnis zur österreichischen Neutralitätspolitik" ab. Die Transparenzdatenbank solle volle Auskunft über staatliche Förderungen bringen, ein Sparziel wird aber nicht genannt. Weiters im Kapitel findet sich die Modernisierung der Sozialpartnerschaft. Strache will da Maximalvarianten nicht von vorneherein ausschließen: Auch über die Zwangsmitgliedschaft in den Kammern müsse man "ehrlich" diskutieren.

  • Sicherheit, Ordnung, Heimatschutz: Geplant ist eine "umfassende Strafrechtsreform", die Strafen für Gewalt- und Sexualverbrechen anhebt. Laut Strache geht es darum, dass es einen Unterschied zwischen Delikten im Finanzbereich und Delikten gegen Leib und Leben geben soll. Ebenfalls im Kapitel: Bessere Ausstattung der Exekutive, Maßnahmen gegen den politischen Islam und Grenzraumsicherung in Österreich, solange die Schengen-Außengrenze nicht gesichert sei.

  • Soziales, Fairness und neue Gerechtigkeit: ÖVP und FPÖ wollen das Pensionsalter heben, betonen aber auf Nachfrage, dass es nicht um das gesetzliche gehe, sondern um das faktische Antrittsalter. Demnach dürfte eine Pensionsautomatik, die das gesetzliche Pensionsalter an die Lebenserwartung anpasst, kein Thema sein. Weiters auf der Agenda stehen die Fusion von Sozialversicherungsträgern und die oft angekündigte Wartefrist für Ausländer auf Sozialleistungen von fünf Jahren. Außerdem soll die Mindestsicherung österreichweit nach Vorbild Nieder- und Oberösterreichs – Benachteiligung von Flüchtlingen, Deckelung bei 1.500 Euro – umgesetzt werden. Will die Regierung mit den neun Ländern über eine Einigung verhandeln oder versuchen, die Mindestsicherung in die Bundeskompetenz zu ziehen? Kryptische Antwort von Kurz: Man werde alle Möglichkeiten auszuschöpfen versuchen. Zudem wolle man "Leistungen in der Familie" gesellschaftlich stärker anerkennen, auch wenn es um Pensionsleistungen gehe, so Strache. Medizinische Leistungen sollen unabhängig von Wohnsitz und Einkommen qualitativ hochwertig sein.

  • Standort und Zukunft: Türkis und Blau wollen Vorschriften und Regeln für Unternehmen reduzieren und die Steuer- und Abgabenquote "in Richtung 40 Prozent bringen", wie es Kurz formulierte. Bei diesen Steuersenkungen gelte es, sich auf Kinder, Familien und arbeitende Menschen zu fokussieren. Die Importe im Energiebereich sollen sinken, um die heimische Wirtschaft zu stärken und den Klimawandel zu bekämpfen. Zudem habe man sich auf eine Bildungspflicht mit Mindeststandards bei Schreiben, Lesen und Rechnen während der Schulzeit geeinigt. Wie schon in ihren Wahlprogrammen versprechen ÖVP und FPÖ, Deutschklassen vor dem regulären Schuleintritt einzuführen. Der ländliche Raum soll gestärkt werden, etwa durch die Umsiedlung von nachgelagerten Stellen des Bundes. Die geplante Umsiedlung des Umweltbundesamts von Wien nach Klosterneuburg, sagt Strache aber, sei ein Beispiel, wie man es nicht machen solle. (Gerald John, APA, 3.11.2017)