Wenn Kritiker von Türkis-Blau vor den Konsequenzen dieser Koalitionsform warnen, geht es ihnen meist auch um die Ausweitung der direkten Demokratie. Während die ÖVP dazu nur allgemeine Floskeln von sich gibt, hat die FPÖ ganz konkrete Pläne vorgelegt, wie nach dem Vorbild der Schweiz kleine Bürgerinitiativen zu bundesweiten Volksbegehren und bei entsprechender Zustimmung schließlich zu verbindlichen Volksabstimmungen mit Gesetzeskraft führen sollen.

In der Sache haben diese Mahner – wie etwa der Schriftsteller Robert Menasse am Sonntagabend in der ORF-Sendung "Im Zentrum" – eindeutig recht. Regelmäßig stattfindende Referenden mögen zwar in der Schweiz funktionieren, in Ländern wie Österreich aber würden sie die repräsentative Demokratie aushebeln und die Suche nach vernünftigen Kompromissen im Parlament bzw. in Koalitionen durch polemische und polarisierende öffentliche Debatten mit oft unvorteilhaften Ergebnissen ersetzen.

Schweizer Modell

Mit einer EU-Mitgliedschaft ist das Schweizer Modell überhaupt nicht vereinbar. Denn was würde die Zustimmung der österreichischen Vertreter zu einer mit den anderen Staaten abgestimmten Vorlage noch zählen, wenn sie jederzeit per Referendum wieder aufgehoben werden kann?

Dennoch sind die Warnungen übertrieben: Die Chancen, dass Österreich tatsächlich zur Regierung per Referendum wechselt, sind äußerst gering. Das liegt nicht nur daran, dass die ÖVP wenig Interesse am Schweizer Modell zeigt, auch für die FPÖ hat es objektiv gesehen seinen Reiz verloren, seit sie in die Regierung drängt. In autoritären Staaten mögen die Mächtigen das Instrument des Referendums nutzen, um ihre Politik durchzusetzen – aber selbst in Ungarn und der Türkei hat es zuletzt diesen Zweck kaum erfüllt. In einer funktionierenden Demokratie aber machen Dauerreferenden der Regierung bloß die Arbeit schwer. Das kann weder im Interesse von Sebastian Kurz noch von Heinz-Christian Strache sein.

Ein massiver Ausbau der direkten Demokratie wäre ein Geschenk an die Opposition; SPÖ und Liste Pilz könnten gegen unpopuläre türkis-blaue Reformen Volksabstimmungen organisieren und sie in vielen Fällen stoppen. Die größten Nutznießer wären überhaupt die Grünen: Sie könnten – nach dem Rauswurf aus dem Nationalrat – mit geschickt gewählten Themen für Volksbegehren stärker Einfluss auf Österreichs Politik nehmen, als sie es als Kleinpartei je schafften.

Kein Bauchthema

Warum hält die FPÖ dennoch an ihrer Forderung fest? Dass sie schon jetzt für die Zeit nach Türkis-Blau plant, in der sie wieder in der Opposition sitzt, ist wenig wahrscheinlich. Eher ist sie hier Opfer ihres eigenen Populismus: Der Ruf nach direkter Demokratie klingt so gut, dass man es immer wieder gern wiederholt. Aber deshalb sollte man auch die Aussagen von FPÖ-Granden, wonach dies eine Koalitionsbedingung sei, nicht allzu ernst nehmen. Denn auch die blaue Parteispitze weiß, dass die direkte Demokratie bei den Motiven ihrer Wähler ganz unten rangiert. Es ist schließlich ein Kopf- und kein Bauchthema.

Gut möglich, dass die FPÖ das Thema still und heimlich fallen lässt in der Hoffnung, dass es niemand merkt. Für das Land wäre dies wohl das Beste. Doch wenn Rechtspopulisten später einmal wieder lautstark nach direkter Demokratie schreien, sollte man sie daran erinnern, dass sie die eine Chance dazu nicht genutzt haben. (Eric Frey, 30.10.2017)