Bild nicht mehr verfügbar.

Kataloniens Regierungschef Carles Puigdemont (mi.) am Freitag bei der Ausrufung der Unabhängigkeit.

Foto: AP/Manu Fernandez

Dass das katalanische Regionalparlament für die Unabhängigkeit von Spanien stimmen würde, war aufgrund der Dynamik der Ereignisse in den vergangenen Monaten zu erwarten. Schließlich hatten weder Kataloniens Regionalregierung noch jene in Madrid jemals erkennen lassen, ehrlich an einer gemeinsamen Lösung interessiert zu sein.

Die politischen Folgen der wohl historischen Abstimmung vom Freitagnachmittag sind ebenso klar wie unvermeidbar: Die Zentralregierung in Madrid, angeführt vom Konservativen Mariano Rajoy, wird die nordostspanische Region auf Basis des Verfassungsartikels 155 unter Kuratel stellen und so den gesamten Regierungs- und Verwaltungsapparat entmachten. Davon betroffen sind auch die Bildungseinrichtungen, die Polizei und der öffentlich-rechtliche Rundfunk. Zudem soll es in der Region kurz vor Weihnachten Neuwahlen geben. Ob diese dann eine Entspannung bringen und den Einfluss der gemäßigten Kräfte stärken werden, darüber kann heute nur spekuliert werden. Wahrscheinlich ist das eher nicht.

Konsequenzen

Auf jeden Fall müssen die Proponenten der katalanischen Unabhängigkeit mit strafrechtlichen Konsequenzen rechnen, die Justiz ermittelt bereits. Ihnen drohen wegen "Rebellion" gegen die Staatsgewalt teils langjährige Haftstrafen. Und was in den kommenden Tagen, Wochen und Monaten auf den Straßen Kataloniens passieren wird, ist beim besten Willen noch nicht abzuschätzen.

Der politische Prozess hat also keine Entspannung, sondern eine weitere Zuspitzung erfahren, eine Lösung wird schwieriger denn je. Und dafür ist nicht nur Barcelona, sondern auch Madrid verantwortlich. Auf der einen Seite dämonisierte Carles Puigdemont gekonnt die spanische Zentralregierung und rückte sie in die Nähe des verhassten diktatorischen Franco-Regimes. Dabei kam ihm das ohnehin seit Jahrzehnten gepflegte, tiefe Misstrauen der Katalanen gegenüber Restspanien zupass.

Aber auch Rajoy bemühte sich bisher mit seiner repressiv anmutenden Politik nicht gerade emsig darum, dieses Narrativ zu widerlegen. Er profitierte durchaus von diesem zuletzt immer stärker befeuerten Konflikt, weil er wohl glaubte, so von seinen eigenen Problemen ablenken zu können: Seine Minderheitsregierung tritt auf der Stelle und ist vom – oft nur spärlich gewährten – guten Willen anderer abhängig. Außerdem stehen nach wie vor massive Korruptionsvorwürfe gegen ihn und seinen Partido Popular im Raum. Das Kräftemessen mit den Aufmüpfigen in Katalonien dürfte ihm geradezu gelegen kommen.

Chance vertan

Egal, wohin diese Krise Spanien und Katalonien noch führen wird; und egal, wer deren Protagonisten sind oder in Zukunft einmal sein werden: Die Chance, das Problem auf eine für ein modernes Europa würdige Weise zu lösen, scheint bis auf weiteres vertan. Und es ist sehr fraglich, ob der politische Prozess so schnell wieder dort anknüpfen kann, wo die Sache aus dem Ruder zu laufen begann: bei der Chance auf einen ernsthaften, ehrlichen Dialog mit echten, ergebnisoffenen Optionen.

Beide Streitparteien waren bisher nicht gewillt, anstelle von Emotionen und Ressentiments Sachlichkeit und Respekt treten zu lassen. Dies wäre aber dringend nötig – nicht zuletzt auch, um ein positives Signal nach Europa zu senden. Denn dort gibt es ähnliche Problemlagen, die man idealerweise konzilianter löst. (Gianluca Wallisch, 27.10.2017)