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Koalitionsverhandler Kurz und Strache: Dem einen könnten mächtige Landeshauptleute zu schaffen machen, dem anderen falsche Freunde in der EU:

Foto: AP / Roland Zak

Wien – Die FPÖ hat die Arbeiter, die ÖVP die Selbstständigen und jede Menge Pensionisten. Auf der einen Seite stehen besonders viele Menschen mit Pflichtschulabschluss und Lehre, auf der anderen Maturanten und Akademiker. Eröffnen die beiden Parteien am Montag also ihre Koalitionsverhandlungen, gilt es, ein breites Spektrum an Interessen zu vereinen: Wo werden Sebastian Kurz und Heinz-Christian Strache über eine g'mahte Wiese schreiten, welche Themen könnten zu Stolpersteinen werden?

Erstaunlich ist: Trotz der auch einkommensmäßig unterschiedlichen Wählerschaft sind sich ÖVP und FPÖ gerade dort einig, wo es ums Geldverteilen geht. Sowohl Türkise als auch Blaue propagieren nicht nur eine niedrigere Lohn- und Einkommensteuer, sondern auch eine massive Begünstigung (bestimmter) Unternehmen in Form einer Senkung der Körperschaftssteuer. Der Teufel lauert natürlich im Detail; doch im Kern sind die Entlastungspläne bis hin zum Volumen von rund zwölf Milliarden deckungsgleich.

Auf Crashkurs mit den Ländern

Schwieriger ist die Frage, woher der Staat das Geld dafür nimmt. Dass Ausländer geringere Sozialleistungen bekommen sollen, ist türkis-blaues Allgemeingut. Doch erstens setzt das EU-Recht Schranken, zweitens entscheiden über die Mindestsicherung die Bundesländer, drittens reicht das Sparpotenzial nicht annähernd, um die Steuersenkungen zu finanzieren. Sollten die Koalitionsverhandler da also bereits ins Detail gehen wollen, könnten in den Parteien verankerte Lobbys erstmals einen Baum aufstellen. Die FPÖ etwa verspricht sich von Einschnitten im Föderalismus 2,8 Milliarden an Einsparungen. Da kann die ÖVP, in der die Landeshauptleute – Kurz' Durchgriffsrecht hin oder her – viel Einfluss haben, nicht ohne weiteres mit.

Weitere blaue Forderung mit Aussicht auf Widerstand: Eine Abschaffung der Zwangsmitgliedschaft in den Kammern würde neben roten Arbeitnehmervertretern auch die Wirtschaftskammer treffen – und die ist in der ÖVP ein Machtfaktor. Selbst der mögliche Kompromiss – Pflichtmitgliedschaft ja, aber weniger Geld – wäre in der künftigen Kanzlerpartei wohl schwer durchzukriegen.

Soziale Duftmarken

Mit Konflikten ist auch zu rechnen, falls sich die FPÖ nicht nur als "Soziale Heimatpartei" verkaufen will, sondern tatsächlich etwas für die ganz kleinen Leute durchsetzen möchte – etwa eine garantierte Mindestpension von 1200 Euro. Kurz selbst gab sich in Pensionsfragen bisher verbindlich, doch in großen Teilen der ÖVP herrscht die Meinung vor: Statt immer mehr Geld draufzulegen, müsse der Staat die Ausgaben für die Pensionen senken.

Allerdings ist die FPÖ von der Maximalforderung bereits heruntergestiegen. War im Wahlprogramm noch von einer generellen Anhebung die Rede, was 8,6 Milliarden kosten würde, so stellte Strache die 1200 Euro zuletzt nur jenen in Aussicht, die mehr als 40 Jahre gearbeitet haben. Rechnet man Kindererziehungszeiten ein, verursacht die abgespeckte Version laut Sozialministerium Ausgaben von bis zu 515 Millionen im Jahr.

Ceta als Streitfall

Links anmutende Duftmarken hat die FPÖ auch mit Globalisierungskritik gesetzt, konkret an den Freihandelsabkommen TTIP und Ceta. Letzteres birgt Konfliktstoff für die Koalition in spe: Kurz hat dafür plädiert, dass der Nationalrat jenen umstrittenen Teil des Abkommens mit Kanada, für den es den Sanktus der nationalen Parlamente in der EU braucht, ratifiziert. Die FPÖ ist dagegen und verlangt eine Volksabstimmung.

Die Regierung kann einem Krach ausweichen, indem sie Ceta gar nicht zur Ratifizierung vorlegt – womit die ÖVP das Ziel der Handelsliberalisierung quasi aus Koalitionsräson opfern müsste.

Apropos direkte Demokratie: Beide Parteien propagieren einen Ausbau, die Blauen aber in einem radikaleren Ausmaß. Geht es nach ihnen, dann sollen vier Prozent Zustimmung zu einer Volksbefragung reichen, um in einer Volksabstimmung zu münden. Die ÖVP legt die Latte auf zehn Prozent.

ÖVP fordert Bekenntnisse

Ein aus der Vorwahlzeit geerbter Dissens: Die ÖVP will das vorbereitete Sicherheitspaket ins Regierungsprogramm bugsieren, um die Überwachungsmöglichkeiten der Behörden auszuweiten. Die FPÖ war bisher dagegen.

Absolut unverzichtbar ist für Kurz und Co aber ein prinzipielles Bekenntnis zur EU – einen Wunsch, dem die Freiheitlichen, die einst mit dem Austritt kokettierten, nach der Wahl schon mehrfach nachgekommen sind. Schwerer als mit einer diesbezüglichen Präambel zum Koalitionspakt tut sich der potenzielle Juniorpartner aber mit Kurz' Kritik an "falschen Freunden" im Europaparlament: Bisher weigern sich die Blauen, die Fraktion Europa der Nationen und der Freiheit zu verlassen. Dort sprechen manche, wie die Französin Marine Le Pen, offen aus: "Wir wollen diese EU zerstören." (Gerald John, 27.10.2017)