Michael Schuster: Die Sozialpartnerschaft – im Bild ÖGB-Präsident Erich Foglar und Wirtschaftskammer-Chef Christoph Leitl – stammt aus einer anderen Zeit.

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Dieser Tage ist sie wieder in aller Munde: die Sozialpartnerschaft. Das mag daran liegen, dass Schwarz-Blau ante portas steht und es sowohl erklärtes Ziel der FPÖ ist, als auch Sebastian Kurz erstaunlich deutlich erklärt hat, in Zukunft nicht ohne Widerstand sozialpartnerschaftliche Politik betreiben zu wollen. Es kann aber durchaus als Signal für eine Zeitenwende gewertet werden.

Schon klar, die Kritik an der Sozialpartnerschaft gehört zum österreichischen Politikkanon, seit Jörg Haider jedenfalls für die Opposition, seit geraumer Zeit ebenso für Regierungsvertreter. Die tatsächlichen Erfolge lassen sich, wie überhaupt in der Innenpolitik, leider nicht ausmachen, auf den Reflex der Sozialpartner selbst ist jedoch Verlass. Resolutionen werden verabschiedet (Gewerkschaft), Erklärungen verfasst (Wirtschaftskammer), und neuerdings tritt ÖGB-Chef Erich Foglar selbst auf Facebook vor die Kamera und bedient sich der üblichen Argumentation. Der "soziale Friede" und "Zusammenhalt" sei in Gefahr, wenn mit der Tradition gebrochen würde.

Wer nicht mit der Zeit geht, geht mit der Zeit

Genau jene Frage aber ist das stärkste Argument für den schwindenden Einfluss und die deutliche Kritik an der Sozialpartnerschaft: Sie stammt aus einer anderen Zeit. Es ist die unmittelbare Nachkriegszeit, entstanden und geprägt zwischen 1945 und 1966. Die Zeiten sind damals andere: Arbeitskraft ist knapp, genauso wie Ressourcen. Viele ökonomische Mechanismen funktionieren damals nicht, die Bevölkerung hat zu Recht andere Sorgen. Man möchte Stabilität, hat jede Form von Auseinandersetzung für den Moment satt, und die Rolle der Politik ist eine gänzlich andere. Sie soll das Zusammenleben regeln, die Kriegsfolgen möglichst rasch beseitigen und eine positive Perspektive verleihen.

Es sind die Zeiten von Leopold Figl und Julius Raab, Österreich ist de facto eine Zwei-Parteien-Demokratie, in der regelmäßig 90 Prozent der Bevölkerung ihrer Wahlpflicht (!) nachkommen und die beiden Parteien nur selten gemeinsam unter die 90-Prozent-Stimmenmarke fallen. Das "Ministerium für Volksernährung" und jenes für "Handel und Wiederaufbau" zeigen die Prioritäten. Heute ist die entschiedene Entwicklung wesentlicher Politikfelder wie Bildung, Arbeitsmarkt und Demokratie angezeigt, Stabilität ein untergeordnetes Ziel.

Undemokratischer Interessensausgleich

In jener Zeit entsteht jener Mechanismus des Interessenausgleichs, oft als "Schattenregierung" bezeichnet, der Konflikt minimieren soll. Daniel Bochsler, Professor für Politikwissenschaft an der Universität Kopenhagen, bezeichnete jene korporatistischen Systeme, wie sie in Österreich (aber auch in anderen Ländern) vorzufinden sind, gar als undemokratisch, weil ihnen der Interessenausgleich und Minderheitenschutz wichtiger sei als demokratische Meinungsbildung.

Die Kritik an der Sozialpartnerschaft ist so breit, dass sie ernst genommen werden muss. Die Linke wirft ihr vor, das Streikbewusstsein untergraben und damit Klassenkampf verhindert zu haben. Intellektuelle werfen ihr einen Beitrag zur Aushöhlung des Diskurses durch erfolgreiche Vermeidung vor. Liberale kritisieren sie dem Grunde nach für die Einmischung und den Zwang, Progressive für ihre "Gestrigkeit", Regierende für ihren Machtanspruch, sie allesamt für ihre Intransparenz.

Ein echtes Trauerspiel

Aus gutem Grund sind die Sozialpartner also gerade wieder in trauter Einigkeit und mit ewig bekannten Floskeln und entsprechenden Bildern um die Rechtfertigung der eigenen Legitimität bemüht. Es ist ein wenig überzeugendes Bild, das sich bietet. Kaum Substanz im Argument, reichlich Pathos zur Rettung des Status quo wird da aufgeboten. In gewisser Weise erregt es Mitleid, ähnlich den deutschen Automobilkonzernen, deren öffentliche Gänge nach Canossa kaum glaubwürdiger sind. Es werden weiter Dieselfahrzeuge auf unseren Straßen fahren, an der unausweichlichen Transformation dieser Industrie wird das wenig ändern. Ohne Frage hat sich die Sozialpartnerschaft in eine hoffnungslose Ecke manövriert, die gegenwärtige Rezeption kann nicht in ihrem Sinne sein.

Mehr Lust am Konflikt

Muss man sie also wirklich abschaffen, entmachten, zerschlagen, diese ungeliebte und so vertraute Sozialpartnerschaft? Nicht zwingend.

Fest steht, dass sich die Zeiten geändert haben. Wir leben heute in einer Gesellschaft, die den produktiven Konflikt dringend benötigt, ja geradezu sucht. Das wirkt auf den ersten Blick bedrohlich, der "soziale Friede", so abstrakt er auch sein mag, ist uns wichtiger. Dabei geht es uns in Wahrheit um unseren Wohlstand. Der ist aber längst nicht mehr gesichert. Das spüren viele täglich, zumindest fürchten sie es, auch wenn es uns nie besser ging. Konflikt als Diskurs über Gesellschaft, Lebensmodelle, Wohlstandsverteilung und den Preis, den wir dafür zu zahlen bereit sind, zu verstehen ist höchst an der Zeit.

Vom Sozial- zum Entwicklungspartner

Die Kritik ist also kein reines Machtkalkül, sondern das deutliche, unüberhörbare Zeichen der Zeit. Hier hat sich etwas verändert. Nur waren es nicht die Sozialpartner. Die haben die Muster der Nachkriegszeit beibehalten.

Wer dieses angebliche Juwel der österreichischen Demokratie also bewahren will, täte gut daran, es dem Grunde nach neu zu erfinden. Zu erneuern. Es zu öffnen, den Sinn und Zweck neu zu bestimmen, den Wert für die Gesellschaft nicht mehr ausschließlich in der Einigkeit zu suchen, sondern im Beitrag zur Entwicklung derselben. Und Entwicklung ist manchmal schmerzhaft, aber immer wichtig und vielversprechend. Man könnte es mit einem (abgewandelten) Zitat sagen: "Wer Konflikte am Verhandlungstisch vergräbt, vergibt sich eine Chance." (Michael Schuster, 24.10.2017)