Die Autobahn als alles antreibender Organismus, als Sinnbild der kapitalistischen Ökonomie: Thomas Bayrle, "$" (1980).

Foto: Privatsammlung. Foto: Wolfgang Günzel © Bildrecht, Wien, 2017

Blick auf "iPhone Pièta" (2017) in der Ausstellung "Thomas Bayrle. If It’s Too Long—Make It Longer" im Mak.

Foto: © MAK/Georg Mayer

Thomas Bayrle: "Börsenbericht (Stock exchange report)" (1972).

Foto: Courtesy of the artist, Foto: Wolfgang Günzel © Bildrecht, Wien, 2017

Thomas Bayrle: "Tulpenfrau" (1967).

Foto: Privatsammlung, Foto: Jens Ziehe © Bildrecht, Wien, 2017

Thomas Bayrle: "Verdun (Totentanz)" (1987).

Foto: Privatsammlung Wien, Foto: Wolfgang Günzel © Bildrecht, Wien, 2017

Wien – Kein Brummen oder noch so leises Dröhnen, kein Surren von Motoren, kein Dadarittdadarittdadaritt stampfender Kolben. Kein Knarren und Klappern vom gleichgeschalteten Auf und Ab turnender Chinesen und auch kein Hin und Her von Zahnbürsten vor Blendax-Lächlern. Ja, kein bewegtes "Ornament der Masse".

Es ist still in Thomas Bayrles Ausstellung "Wenn etwas zu lang ist – mach es länger" (nach einem Zitat von Eero Saarinen) im Wiener Museum für angewandte Kunst (Mak). Das ist als Erholungsmoment in städtischer Aufgeregtheit erfreulich, gleichzeitig aber auch gewagt, schließlich zieht sich die Musik des Maschinellen durch dessen Werk: Bereits 1964 knarzte die "Mao-Maschine", und 2012 auf der Documenta verwob er die Rhythmen von Motoren mit jenen von Rosenkranzgebeten zu einem akustischen Gewebe.

"Soundgelee" nannte dies Bayrle, der vor seiner künstlerischen Karriere als Weber arbeitete: "Jede Disco ist ein Friedhof dagegen", beschrieb er den wummernden Wahnsinn einmal. Das habe man ohne Gehörschutz nur überleben können, wenn man mit dem Lärm mitging. Und ab einer bestimmten Frequenz, so der früh an Jazz Interessierte, begannen die Kolben zu singen wie Menschen.

Schon in den 1960er-Jahren galt der 1937 geborene Bayrle als Frankfurter Antwort auf die amerikanische Pop-Art, als Professor an der Städelschule prägte er Generationen von Künstlern, darunter etwa Tobias Rehberger. Aber erst die Documenta 13 gilt als sein Karrierehöhepunkt, der ihn in den internationalen Kunsthimmel katapultierte. 2012 spazierten etwa alle Besucher der Londoner Kunstmesse Frieze durch eine Art Bayrle-Tunnel, über und über mit seinem Schuhmotiv tapeziert.

Serielle Prinzipien

Und so bot dem bald 80 Jahre jungen Künstler nicht nur das Lenbachhaus in München 2016/2017 den großen Auftritt, sondern etwa zeitgleich auch das Institute of Contemporary Arts in Miami. Kommenden Juni steuert auch das New Museum in New York eine Retrospektive bei. Vielleicht ist die Mak-Schau auch deshalb so konzentriert. Dort bringen die KuratorInnen Nicolaus Schafhausen und Bärbel Vischer Bayrles Prinzipien des Seriellen – das Wiederholen, Vernetzen und Weben – stark in Verbindung zum Haus, also zum angewandten, handwerklichen Aspekt. Das führt allerdings auch dazu, dass die auf verschiedenen Etagen des Hauses verteilte Präsentation etwas zerfasert wirkt.

Ansicht der Installation "iPhone meets Japan" (2017) in der Ausstellung "Thomas Bayrle. If It's Too Long—Make It Longer" im Mak.
Foto: © MAK/Georg Mayer

"Ich liebe die Monotonie und die Langeweile und auch die Massenproduktion", so Bayrle. Die kapitalistische Massenproduktion (" Beng-deng-deng-deng-deng – zack"), die perfekte Waren am Fließband rausdonnerte, faszinierte und irritierte ihn gleichermaßen. Eine Diskrepanz, die er dem Publikum zurückspiegelt: Beeinflusst von der Op-Art eines Victor Vasarely und Warhols Pop-Art stapelte er Massenprodukte – Glücksklee-Dosenmilchdosen oder Kunststofftassen – zu Plastiken, die die Warenpyramiden in den Supermärkten parodierten; oder er bildete aus einer unendlichen Zahl von Miniaturbildern eine "Superform". Ideologische Unterschiede machte er zwischen politischen, religiösen und Alltagssymbolen nicht. "Ich mischte – gegen den Protest meiner linken Freunde – kommunistische und kapitalistische Elemente."

Aber gerade in der Konfrontation unterschiedlicher Symbolwelten machte Bayrle diese brüchig. Er schrieb den Börsenberichten Gesichter ein und hielt den Maoisten entgegen, dass die Menschheit keine "Volksmasse" wie Kartoffeln sei, sondern jeder einzigartig. Manchmal hat das Komik, selbst wenn das Thema traurig ist: Das Sterben von Millionen Soldaten in Verdun während des Ersten Weltkriegs wurde durch die Waffenproduktion am Fließband erst möglich, so Bayrle, der aus abertausenden kleinen Monitoren ein Ornamentmeer aus Kreuzen gebildet – ja gestempelt – hat.

Analoge Technik

Denn obwohl Bayrles Drucke aussehen, als hätte sie der Computer ausgespuckt, steckt analoge Technik und Handarbeit dahinter: Motive wurden klischiert auf Latexgummi abgedruckt, dieser mit sechs bis acht helfenden Händen verzogen und fotokopiert, dann wieder montiert. Fantastisch. Zuletzt haben Smartphones die Funktion als Ikone der Massen übernommen. Sie verbinden sich in einem handgeknüpften Teppich mit der Pietà, also mit Trauer und Empathie, und in einer Bodeninstallation in der Säulenhalle mit Erotik. Dazu heißt es heute meist nur "Gefällt mir". (Anne Katrin Feßler, 24.10.2017)