Wenn die Chinesen über ihr Land sprechen, dann verwenden sie das Wort "Zhongguo". Es bedeutet wörtlich "Reich der Mitte" und wird mitunter auch als "vollendete Zivilisation" übersetzt. Dabei schwingt ohne Zweifel ein gewisses Überlegenheitsgefühl mit und jedenfalls die Referenz auf mehrere Tausend Jahre Geschichte, deren Großartigkeit aus chinesischer Sicht im Wesentlichen nur durch den Zusammenbruch des Kaiserreichs Anfang des vergangenen Jahrhunderts und die darauffolgenden (Bürger-)Kriegswirren unterbrochen wurde.

China, der alte – und neue – Mittelpunkt der Welt also. Genau darauf hat Xi Jinping, der starke Mann in Peking, in seiner Rede vor dem Parteitag der chinesischen KP angespielt. In drei Stunden führte er ganze 36-mal an, dass sein Land nun in eine "neue Ära" eintrete. China rücke "ins Zentrum der Welt", der Sozialismus chinesischer Prägung sei ein Vorbild für Entwicklungsländer. Sein Land werde bis 2035 in allen Teilen moderat entwickelt sein. Ab 2050 dann werde es eine globale Führungsmacht darstellen, an der niemand mehr vorbeikomme. Anders ausgedrückt: Spätestens ab 2050 will Peking auf der Pfeife blasen, nach der alle anderen tanzen müssen.

"Chinesischer Traum"

Es ist eine unverhohlene ideologische Herausforderung, die der selbstsichere Xi vor allem dem Westen an den Kopf wirft. Der Subtext der Rede: Wir haben den "Chinesischen Traum" und den "Chinesischen Weg" – zwei Schlüsselbegriffe in der Modernisierungs- und Konsolidierungsstrategie des beinharten kommunistischen Autoritarismus Xis -, mit denen für Ordnung, Prosperität und Harmonie gesorgt wird. Ihr im Westen dagegen, ihr habt in euren überkommenen Demokratien Krisen und Chaos am laufenden Band.

Den Preis der scheinbar so erfolgreichen wie heilen chinesischen Welt erwähnt der Staatschef nicht: Mit einer gnadenlosen "Antikorruptionskampagne" geht er gegen bestechliche Funktionäre, aber vor allem gegen politische Gegner vor. Bürgerrechtler, Dissidenten und Menschenrechtsanwälte bekommen seine eiserne Faust zu spüren. Über die Digitalisierung der Gesellschaft lässt er einen umfassenden Überwachungsstaat aufbauen, mit dem die chinesische Gesellschaft gelenkt wird. Es geht dabei um Linientreue, Staatswirtschaft und Parteiherrschaft. Und es geht um so viel Disziplin und Kontrolle wie schon lange nicht mehr in China. Das sind die Folgen, die Menschen – viele bereitwillig, wenige unter der Knute der Staatsgewalt – für die Auferstehung des Reichs der Mitte tragen.

Tatenloser Westen

Der Westen sieht dem nicht nur weitgehend tatenlos zu. An mancher Stelle wird China in der Auseinandersetzung der ideologischen Konzepte tatkräftig unterstützt. US-Präsident Donald Trump etwa lässt ein globales Führungsvakuum zu, von dem die kommunistischen Mandarine gerne profitieren. In Europa werfen sich Staaten – auch EU-Mitglieder – den Chinesen leichtfertig an den Hals, wenn diese ihnen über die "Neue Seidenstraße"-Initiative Geld und das Blaue vom Himmel versprechen. Südosteuropäische Regierungschefs sitzen jedes Jahr im sogenannten 16+1-Format wie Ministranten auf großen Sesseln in Peking und machen ihren Kotau.

Vielleicht liegt Xi tatsächlich richtig, wenn er wie ein chinesischer Kaiser denkt: Das Reich der Mitte beherrscht die Welt. Alle anderen sind tributpflichtige Vasallen, auch wenn einige das noch nicht begriffen haben. (Christoph Prantner, 18.10.2017)