Christian Kern – der beste Bundeskanzler seit Bruno Kreisky. Und die heutige SPÖ – die schlechteste Sozialdemokratie seit Victor Adler. Keine eindrucksvollen Persönlichkeiten in Sicht. So das Urteil eines Insiders nach der Wahl.

Ob richtig oder falsch – dass die einst stolze Sozialdemokratische Partei in einer Krise steckt, bestreitet niemand. Und auch nicht die Aufgabe, die auf den Parteichef jetzt wartet: seine Partei von Grund auf neu aufzustellen, mindestens so neu, wie es seinem Gegner Sebastian Kurz mit dessen ÖVP gelungen ist. Das Pouvoir dazu hätte er, denn jeder weiß, dass das Wahlergebnis ohne ihn, trotz Silberstein und miserablen Wahlkampfs, schlechter ausgefallen wäre.

Die große Zeit der österreichischen Sozialdemokraten in der Epoche zwischen den beiden Weltkriegen beruhte auf dem historischen Bündnis zwischen der meist jüdischen Intelligenzija und der organisierten Arbeiterbewegung, getragen nicht zuletzt von den massenweise zugewanderten Arbeitern aus den ehemaligen Kronländern. Gemeinsam schufen sie das in ganz Europa bewunderte Rote Wien mit seinen zahlreichen kulturellen und gesellschaftlichen Initiativen, die einer ganzen Generation von Proletariern, aber auch Intellektuellen ein Ziel, Stolz und neues Selbstbewusstsein gaben.

Sowohl das fortschrittliche jüdische Bildungsbürgertum wie auch die Arbeiterbewegung alten Stils gibt es nicht mehr. Die Substanz der SPÖ schrumpfte, bis Bruno Kreisky mit seinen vielfältigen Reformen seine Partei für diejenigen öffnete, die "ein Stück des Weges mit uns gehen wollen", liberale Bürger, unabhängige Intellektuelle, junge Aufsteiger und Arbeiterkinder, die oft als Erste in ihren Familien höhere Schulen und Universitäten besuchen konnten. Und siehe da: Es reichte für dreimalige absolute Mehrheiten.

Lässt sich dieses Kunststück wiederholen? Das Potenzial wäre da. Es gibt jede Menge Menschen, die ein weltoffenes Land wollen, jenseits der vom deutschen Historiker Gustav Seibt so genannten abgeschotteten Stammesgesellschaften der Rechtspopulisten und jenseits des Miefs der Traditionsparteien. Und es gibt die neue Arbeiterklasse der Migranten und Zuwanderer, viele Hochbegabte und Hochqualifizierte darunter, um die sich bisher weder die einstige Arbeiterpartei SPÖ noch die Gewerkschaften sonderlich gekümmert haben. Man sieht sie weder am 1. Mai in größerer Zahl mitmarschieren noch bei Betriebsratskonferenzen oder in Funktionärspositionen. Warum nicht?

Schielt man neuerdings vielleicht zu sehr auf die Wähler, die zur neuen Arbeiterpartei FPÖ abgewandert sind und meinen, sich nur in Abwehr der "Ausländer" behaupten zu können, auch wenn diese schon seit langem hier sind? Versucht man, durch Anbiederung an die Populisten Wähler zu fischen? Will man gar à la Hans Niessl die extreme Rechte salonfähig machen? Das kann man natürlich tun. Nur: Das ist der sichere Weg in die Bedeutungslosigkeit. Und das Ende von Christian Kern als politischem Hoffnungsträger. Als Anführer einer starken Opposition als Alternative zu einer Rechtsregierung könnte er diese Rolle auch nach der verlorenen Wahl behalten. Als Nachläufer von Kurz und Strache nicht.(Barbara Coudenhove-Kalergi, 18.10.2017)