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Raqqa am 17. Oktober: Im Jänner 2014 hatte der "Islamische Staat" die syrische Stadt übernommen, nun wurde die Terrormiliz von einer US-unterstützten kurdisch-arabischen Koalition vertrieben.

Foto: Reuters / Erik De Castro

Damaskus/Wien – Der "Islamische Staat" hat nach seiner irakischen nun auch seine syrische "Hauptstadt" verloren: War Mossul drei Jahre unter der Herrschaft der Terrormiliz, so waren es bei Raqqa, das soeben von den US-unterstützten kurdisch-arabischen "Syrischen Demokratischen Kräften" (SDF) erobert wurde, beinahe vier.

Laut Meldungen haben sich zuletzt an die 350 meist ausländische IS-Kämpfer in der schwer zerstörten Stadt ergeben. Zu Beginn der Woche hatte eine ungefähr ebenso große Gruppe von Jihadisten gemeinsam mit ihren Familien Raqqa verlassen: Dabei handelte es sich offenbar um einheimische IS-Angehörige. Sie durften unter einem Deal, den der "Lokalrat" der Stadt und arabische Stammesvertreter abgeschlossen hatten, abziehen, Ziel unbekannt.

USA wissen von nichts

Die USA – die mit ihrer Rolle in Raqqa nun in einem syrischen Gouvernement das Sagen haben – betonen, dass sie mit dieser Abmachung, die immerhin Terroristen entgegenkommt, nichts zu tun haben. In der Vergangenheit hatte sich Russland darüber beklagt, dass IS-Kämpfer quasi weitergeschickt werden, damit die SDF schnellere Siege feiern können.

Nach Raqqa ist nun Deir ez-Zor, wo die syrische Regimearmee mit libanesischer Hisbollah und russischer Luftunterstützung kämpft, zum letzten großen Schlachtfeld im Krieg gegen den IS geworden, der sonst nur mehr vereinzelte Flecken Land hält. Aber auch die US-gestützten SDF wollen in Deir ez-Zor mitkämpfen: Dabei geht es nicht nur um die Vernichtung des IS, sondern um die Kontrolle danach. Bereits seit Monaten ist ein Wettlauf zwischen SDF und syrischer Armee um die Gasfelder in der Region zu beobachten.

Alte Konkurrenz, neue Allianzen

Der Punkt ist – genau wie im Irak beim Konflikt zwischen Erbil und Bagdad – die "Post-Daesh"- Neuordnung ("Daesh" ist die arabische Bezeichnung für den IS). Dabei kommt es nicht nur zur Konkurrenz von Akteuren, es werden auch neue Allianzen geschmiedet. Dass sie die Gruppe von lokalen IS-Kämpfern aus Raqqa abziehen ließ, kann als Versuch der kurdisch-dominierten SDF gewertet werden, die arabischen Stämme zu beruhigen: Diese befürchten, dass der SDF-Sieg auf ihre Kosten geht.

Hier kommt auch Saudi-Arabien, das zuletzt in Syrien weit gehend abgemeldet schien, wieder ins Spiel. Am Dienstag traf der saudische Minister Thamer al-Sabhan in Ayn Issa, nördlich von Raqqa, mit dem US-Koordinator für den Kampf gegen den IS, Brett McGurk, zusammen: Das Thema war der Wiederaufbau von Raqqa. Aber klar ist, dass eine saudische Rolle eine Rückversicherung der Araber in der vom IS befreiten Region sein soll. Es gibt auch Spekulationen darüber, dass der Exilpolitiker Ahmad Jarba, der unter den arabischen Stämmen in Ostsyrien sehr angesehen ist, wieder in eine Führungsrolle in der Opposition zurückkehren soll.

Saudi-Arabien bemüht sich darum, die disparate syrische Opposition zu einer einheitlichen Verhandlungsposition zu bringen, ein Treffen dazu gab es soeben wieder in Riad. Seit dem Besuch des saudischen Königs Salman in Moskau funktionieren auch die russisch-saudischen Kanäle wieder besser. Russland bemüht sich, die Opposition zu engagieren, empfängt SDF-Vertreter in Moskau, checkt das Assad-Regime und hält die Iraner bei der Stange.

Türkei in Ostsyrien draußen

Ein weiterer Akteur fehlt allerdings in dieser Raqqa-Gleichung, der mit der Entwicklung nicht glücklich sein dürfte: die Türkei. Sie wurde mit ihrer Aufgabe in Idlib, wo Rebellen und die als Terrororganisation eingestufte Nusra-Front konzentriert sind, abgefunden (und durfte dafür auch noch russische Waffen kaufen).

Dass Saudi-Arabien jetzt in der Region von Raqqa mit den SDF zusammenarbeiten will, ist für Ankara besonders schwer zu schlucken: In den SDF dominiert die YPG, die Miliz der syrischen Kurdenpartei PYD, die ja für die türkische Regierung identisch mit der türkisch-kurdischen PKK ist. Aber seit sich Ankara in der Katar-Krise entschieden auf die Seite Katars und damit gegen Saudi-Arabien gestellt hat, gibt es noch weniger Rücksichten als zuvor.

Sowohl im Irak als auch in Syrien besteht die Angst, dass der IS, auch wenn er sein Territorium verliert, zum Wiedergänger in unterschiedlichen Gestalten wird, der unter den sunnitischen Arabern wieder Breschen schlägt. Aber auch Al-Kaida treibt wieder aus: Nachdem die Nusra-Front offiziell nicht mehr dazugehört, soll Al-Kaida in Idlib einen neuen syrischen Zweig gegründet haben: unter der Führung von Hamza, Sohn von Osama bin Laden. (Gudrun Harrer, 19.10.2017)