Viele Kommentatoren haben aus dem Ergebnis der Nationalratswahl den Schluss gezogen, dass Österreich massiv nach "rechts" gerückt sei. Sie unterstellen dabei, dass die Menschen Parteien grundsätzlich auf Grundlage der Inhalte ihrer – rechten oder linken – Parteiprogramme gewählt hätten.

Wie kann es dann aber sein, dass sich eine Mehrheit der Österreicher klar dafür ausspricht, Einkommensunterschiede durch Umverteilung zu reduzieren, jedoch gleichzeitig ein Großteil der Bevölkerung für Parteien stimmt, die sich – mehr oder weniger deutlich – gegen die Umverteilung von Einkommen und Vermögen aussprechen? Die FPÖ spricht sich in ihrem Wahlprogramm zum Beispiel klar gegen "Umverteilung" aus. Wie soll das Wahlverhalten zumindest eines Teils der Bevölkerung in diesem Fall erklärt werden?

Dank der Wahl- und Nachwahlbefragungen sowie der Wählerstromanalysen wissen wir heute relativ gut darüber Bescheid, welche Menschen vermehrt für welche Parteien gestimmt haben. Die Wähler einer als "populistisch" bezeichneten Partei wie der FPÖ zum Beispiel sind tendenziell jünger, männlich, stark im Arbeitermilieu vertreten und besitzen meistens einen Pflichtschul- oder Lehrabschluss, jedoch meist keine Matura oder einen tertiären Abschluss.

Populistische Ursachen

In Bezug auf die eigentlich interessante Frage, warum diese Menschen letztendlich für populistische Parteien wie die FPÖ stimmen, tappten wir bislang jedoch noch ziemlich im Dunkeln. Dabei liegt gerade in der Ursachenforschung des Populismus der Schlüssel zum Verständnis der politischen Entwicklungen unserer Zeit und somit auch die Antwort, wie man solchen Entwicklungen begegnen kann.

Für die FPÖ ist der Weg zur Regierungsbeteiligung nach der Wahl offen.
Foto: APA/HANS KLAUS TECHT

Spannend wird die Ursachenforschung zum Populismus vor allem dann, wenn sie sich auf empirische Daten stützt. In einer kürzlich veröffentlichten Forschungsarbeit ist es einer Gruppe von Ökonomen und Politikwissenschaftern gelungen, erstmals auch empirisch Licht ins Dunkel der Mechanismen des Aufstrebens von Populismus zu bringen. Aufbauend auf einer Arbeit des bekannten Harvard-Ökonomen Dani Rodrik nahmen sie sich die Daten des European Social Survey (ESS) vor, um dem Phänomen populistischer Parteien und Bewegungen in Europa genauer auf den Grund zu gehen.

Populistische Parteien werden dabei als Parteien definiert, die

  1. von sich aus behaupten, aufseiten der Bürger zu stehen, um gegen die Elite einzutreten,
  2. Ängste oder Enthusiasmus der Bevölkerung zum eigenen Vorteil ausnutzen und
  3. die mittel- bis langfristigen Konsequenzen ihrer Handlungen verschweigen oder ignorieren.

Wirtschaftskrisen bereiten Populisten den Boden

Ein wesentlicher Faktor im Aufstreben populistischer Parteien sind Wirtschaftskrisen sowie die dadurch verursachte wirtschaftliche Unsicherheit in den Ländern. Wenn sowohl klassische "rechte" als auch "linke" Parteien im Land keine geeigneten Antworten auf diese Krisen finden, kommt es zu einem starken Vertrauensverlust vieler Wähler in die Parteien und das alte politische System. Dieser Vertrauensverlust ist die Grundvoraussetzung für die Geburt sowie den politischen Aufstieg populistischer Parteien.

It’s the economy, stupid

Der Schlüssel zum Verständnis der Wahlentscheidung für populistische Parteien liegt in der – tatsächlich vorhandenen oder nur wahrgenommenen – wirtschaftlichen Unsicherheit der Wähler: Sowohl Jobverlust und Einkommensschwierigkeiten als auch die Effekte der Globalisierung wie vermehrte Konkurrenz am Arbeitsmarkt oder auch die Automatisierung tragen zum Anstieg der von den Wählern wahrgenommenen wirtschaftlichen Unsicherheit bei. Der Effekt der Unsicherheit ist zweifach: Einerseits trägt er dazu bei, dass Menschen aufgrund des Vertrauensverlusts in das System oft nicht mehr an der Wahlentscheidung teilnehmen. Wenn jedoch bei der Wahl eine populistische Partei als Alternative zur "etablierten Parteienlandschaft" zur Verfügung steht, ist die Wahrscheinlichkeit sehr groß, dass die Wahlentscheidung auf die populistische Alternative fällt.

Populistische Parteien als Chance

Ein wesentlicher Faktor, der in diesem Fall zur Wahlentscheidung für oder gegen populistische Parteien beiträgt, ist die Bildung: Es sind vor allem Menschen mit weniger Bildung, die die mittel- bis langfristigen Konsequenzen der Wahlversprechen populistischer Parteien schwerer einzuschätzen vermögen, die in solchen Fällen auf die "populistische Option" zurückgreifen. Anders ausgedrückt: Menschen, die das Gefühl haben, wirtschaftlich mit dem Rücken zur Wand zu stehen, und die Konsequenzen der Wahlversprechen populistischer Parteien nicht einzuschätzen vermögen, sehen in diesen Parteien ihre einzige Chance für ein Leben in Sicherheit und Wohlstand.

Populistische Parteien wie die FPÖ nutznießen seit Jahren die Ängste der Bevölkerung – und gewinnen damit Stimmen.
Foto: APA/HANS KLAUS TECHT

Migration als Verstärker

Den Ängsten vor Migration und Massenmigration kommt dabei eine Schlüsselrolle zu: Durch den ständigen Verweis auf die "dramatischen" Konsequenzen der Migration für den Sozialstaat – und nicht zuletzt die Sicherheitslage im Land – wird die von Bevölkerungsteilen (subjektiv) wahrgenommene ökonomische Unsicherheit noch einmal massiv verstärkt. Dazu gesellt sich eine Komponente der physischen Unsicherheit (Terror, Vergewaltigungen ...), die der Rhetorik rechtspopulistischer Parteien noch einmal zusätzliche Legitimität verschafft. Die rechtspopulistische Lösung all dieser Probleme besteht dann in der Schließung der Grenzen sowie wirtschaftlichem Protektionismus – jedoch ohne Umverteilungsmaßnahmen.

Während wirtschaftliche Unsicherheit generell zu einer Zunahme von migrationsfeindlichen Haltungen im Land führt, ist es interessanterweise in erster Linie die Immigration aus muslimischen Ländern, die populistischen Parteien eine perfekte Existenzgrundlage schafft.

Antielitäre Rhetorik: "Wir gegen die"

Was alle Populisten Europas eint, ist also das Versprechen, mit einfachen und kurzfristigen Maßnahmen die Bevölkerung zu schützen. Gleichzeitig ignorieren beziehungsweise verschweigen sie die tatsächlichen mittel- bis langfristigen Wirkungen und Kosten ihrer Versprechen. Schließlich bedienen sie sich immer einer antielitären Rhetorik ("Wir gegen die") und positionieren sich dadurch auf der Seite des Volkes. Die gegenseitigen Wirkungen aus antielitärer Rhetorik sowie wirtschaftlicher Unsicherheit sind dabei der Schlüssel zum Verständnis populistischer Phänomene.

Die Wähler populistischer Parteien wiederum sind gekennzeichnet durch einen hohen Grad an wahrgenommener wirtschaftlicher Unsicherheit sowie der mangelnden Fähigkeit, die tatsächlichen Kosten der Wahlversprechen populistischer Parteien für das eigene wirtschaftliche Wohlergehen zu durchschauen.

Dem Populismus auf den Leim gegangen?

Sind die österreichischen Wähler also dem Populismus auf den Leim gegangen? Vermutlich mag das ein Teil der Antwort auf die politischen Entwicklungen in unserem Land sein. Andererseits sollten wir nicht vergessen, dass abgesehen von ein paar Steueroasen und der Schweiz – größte Ausländergruppen aus Deutschland, Italien, Portugal – fast kein anderes europäisches Land einen so großen Anteil an Bevölkerung mit Migrationshintergrund aufweist wie Österreich – größte Ausländergruppen aus Deutschland, Türkei, ehemaligem Jugoslawien. Der Anteil der im Ausland geborenen Bevölkerung in Österreich ist insbesondere in den Jahren nach 1990 stark gestiegen, und nicht immer hat die Integration so funktioniert, wie man sich das hätte wünschen mögen. Dass sich die Sicherheitslage durch die massive Migrationswelle des Jahres 2015 nicht gerade verbessert hat, ist auch kein Geheimnis.

Problem wirtschaftlicher Unsicherheit

Die Einkommensentwicklung des untersten Quartils der österreichischen Bevölkerung ist seit Jahren stagnierend beziehungsweise rückläufig. Und wir wissen auch, dass die Immigration in den österreichischen Arbeitsmarkt zu einem Verdrängungswettbewerb für bestimmte Gruppen von österreichischen Arbeitnehmern führt und geführt hat – das zeigen auch Studien. Bei noch so vielen Umschulungs- und Nachschulungsmaßnahmen wird man aus Bau- oder Industriearbeitern in der Regel keine IT-Experten machen können. Die betroffenen Menschen wissen das, und sie wissen auch, dass der Grund für diesen Verdrängungswettbewerb in der Arbeitnehmerfreizügigkeit der EU liegt. Die von vielen wahrgenommene wirtschaftliche Unsicherheit ist für diese sehr real, und die einzige größere Partei, die es wagt, am Baum der EU-Grundprinzipien beziehungsweise am EU-Beitritt selbst zu rütteln, ist nun einmal die FPÖ.

Eine Gegenstrategie zum zunehmenden Populismus kann also nicht in der Verkennung dieser sehr realen Probleme selbst liegen. Sie muss bei den von populistischen Parteien angebotenen kurzfristigen Lösungen für diese Probleme ansetzen und die Konsequenzen und Kosten dieser vermeintlichen Lösungen klar und deutlich benennen. Am wichtigsten jedoch, um dem grassierenden Populismus einen Riegel vorzuschieben, ist das Anbieten echter, effektiver Alternativen für die betroffenen Menschen. Alternativen, die diesen Menschen wieder eine Perspektive für ihre Zukunft eröffnen.

Dabei darf es keine Denkverbote geben, und es muss auch möglich sein, die Grundprinzipien der Europäischen Union wieder infrage zu stellen. Denn eine funktionierende, lebendige Opposition ohne Blatt vor dem Mund war bislang noch überall das wirksamste Gegenmittel gegen das Aufkeimen populistischer Bewegungen und Parteien. (Michael Radhuber, 19.10.2017)