Nijmegen/Wien – Ein zahlenmäßiger Rückgang vieler Insektenarten alarmiert Wissenschafter schon seit vielen Jahren, bekannte Opfer sind etwa Bestäuber wie Bienen, Hummeln oder Schmetterlinge. Vergangenen Juli erhitzte die Untersuchung eines Entomologenvereins im deutschen Krefeld die Gemüter: Die Biomasse von Insekten in einem Naturschutzgebiet, hieß es, sei seit 1989 um nahezu 80 Prozent zurückgegangen.

Schnell entbrannte in der Bundesrepublik eine Debatte: Die Grünen machten das Insektensterben zum Wahlkampfthema, Medien stürzten sich darauf und schrieben teilweise apokalyptisch das Ende der Insektenwelt herbei. Entomologen warnten indes vor vorschnellen Generalisierungen der lokalen Messungen – noch lag keine wissenschaftliche Publikation der Daten vor -, Vertreter der Agrarindustrie wiederum zweifelten Methodik und Ergebnisse an.

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Eine abnehmende Insektenvielfalt bringt enorme ökologische Folgen mit sich. Experten sehen dringenden Forschungsbedarf.
Foto: AP/Sergei Grits

Rückgang um 76 Prozent

Nun kommt ein internationales Forscherteam im Fachblatt "Plos One" in einer umfangreichen Analyse der Krefelder Datensammlung zum Schluss: In 63 deutschen Schutzgebieten nahm die Biomasse von fliegenden Insekten in den vergangenen 27 Jahren tatsächlich dramatisch ab – um ganze 76 Prozent. Unabhängige Wissenschafter attestieren der Studie methodische Solidität und Sauberkeit. "Die Publikation liefert nun den Beleg dafür, dass wirklich ein großflächiges Problem vorliegt", sagte etwa Josef Settele vom Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung in Halle, der nicht an der Studie beteiligt war.

Konkret wertete das Forscherteam der niederländischen Radboud-Universität und der britischen University of Sussex Daten aus, die der Entomologische Verein Krefeld über fast drei Jahrzehnte in 63 Schutzgebieten in den deutschen Bundesländern Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz und Brandenburg gesammelt hatte. Die Entomologen hatten seit 1989 jeweils im Frühling, Sommer und Herbst sogenannte Malaise-Fallen genutzt, in denen Insekten während des Fluges gefangen werden, um deren saisonale Biomasse zu bestimmen.

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Die wertvolle – weil langjährige –Datensammlung der Krefelder Entomologen zeigt einen eindeutigen Trend.
Foto: dpa/Martin Gerten

Das Ergebnis: Zwischen 1989 und 2016 nahm die gesamte jährliche Biomasse im Mittel um 76 Prozent ab. Im Hochsommer, der aktivsten Insektenflugzeit, beträgt der Verlust sogar 82 Prozent – und das, obwohl alle Daten aus geschützten Arealen stammen. Die Frage nach den Ursachen für den dramatischen Verlust kann die vorliegende Studie allerdings nicht beantworten.

Hauptfaktor Landwirtschaft?

Die Forscher äußern zwar die Vermutung, dass der Temperaturanstieg infolge des Klimawandels kein wesentlicher Faktor für den schwindenden Insektenbestand sein dürfte, die Intensivierung der Landwirtschaft aber sehr wohl: Nahezu alle untersuchten Standorte waren von landwirtschaftlich genutzten Flächen umgeben. Es sei denkbar, dass die Insekten in den begrenzten Schutzgebieten in eine ökologische Falle gerieten und dadurch ihre Populationen schrumpften, spekulierte Erstautor Caspar Hallmann. Er hält es zudem für wahrscheinlich, dass die Ergebnisse auf große Teile Europas übertragbar sind.

Doch für verlässliche Aussagen, aus denen wirksame Gegenmaßnahmen abgeleitet werden können, seien weitere Untersuchungen unumgänglich. Dem stimmt auch Settele zu: "Es ist dringend nötig, systematische Monitorings aufzubauen – als öffentliche Aufgabe mit öffentlichen Geldern." (David Rennert, 18.10.2017)