Screenshot: Andreas Proschofsky / STANDARD

Die Zeit der Alleingänge ist vorbei: Mit einer neuen Release kehrt die Linux-Distribution Ubuntu zu ihren Wurzeln zurück. Sieben Jahre nach dem Wechsel zu Unity ist nun wieder GNOME für die Desktop-Agenden bei der Softwaresammlung von Canonical zuständig. Was dies für die User bedeutet, und wie sich die neue Version allgemein schlägt, soll im folgenden näher beleuchtet werden.

Reboot

Der erste Eindruck von Ubuntu 17.10 ist zunächst einmal ein bekannter. Hat sich doch an der Installation im Vergleich zu den Vorgängerversionen praktisch nichts geändert. Ganz anders sieht dies nach dem Reboot ins frische System aus. Schon der Login-Screen präsentiert sich anders, nimmt man doch vom zuletzt genutzten LightDM Abstand, stattdessen kommt auch hier nun eine GNOME-Komponente zum Einsatz – GDM.

Der Desktop von Ubuntu 17.10 basiert nun auf GNOME.
Screenshot: Andreas Proschofsky / DER STANDARD

Neues und Bekanntes am Desktop

Beim ersten Login zeigt sich dann, dass die Ubuntu-Entwickler einiges an Arbeit investiert haben, um den Wechsel von Unity auf GNOME möglichst reibungslos ausfallen zu lassen. Hat man doch einige Anpassungen an der GNOME Shell vorgenommen. So ist hier etwa von Haus aus am linken Bildschirmrand ein Dock mit den wichtigsten Apps zum Schnellstart positioniert, ganz so wie man es von Unity gewohnt war. Selbst das umstrittene Amazon-Icon ist weiter an dieser Stelle zu finden – lässt sich aber natürlich leicht entfernen. Auch rein optisch hat Canonical einige Modifikationen vorgenommen, damit sich Ubuntu-User gleich zuhause fühlen, so gibt es ein eigenes Theme für die GNOME-Shell und es werden die üblichen Schriften und Icons verwendet.

Gestrichen

Gelernten Unity-Usern wird allerdings auch recht bald auffallen, was es alles nicht mehr gibt: Die globalen Menüs wurden ebenso komplett gestrichen wie das HUD oder die Unity Lenses. Das Dock bietet weniger Möglichkeiten – vor allem was die Tastatursteuerung anbelangt – und die nützliche Übersicht für die verfügbaren Keyboard Shortcuts wurde ebenfalls entfernt – hier sei stattdessen auf das GNOME Wiki verwiesen. Dazu kommen noch einige gewöhnungsbedürftige Änderungen wie die Verlagerung der Fensterknöpfe auf die rechte Seite.

GNOME-Spezifika

Dafür erbt der Desktop aber natürlich einige GNOME-spezifische Verbesserungen: Also etwa die bessere Übersicht der gerade geöffneten Programme oder das Konzept der dynamischen Workspaces, die je nach Bedarf erweitert werden, und so die Organisation der Programme erleichtern. Zudem können jetzt am Lock-Screen – auf Wunsch – Benachrichtigungen dargestellt werden, womit sich dann beispielsweise auch Musik steuern lässt, wie man es von mobilen Betriebssystemen her kennt.

Im direkten Vergleich: Zwischen der angepassten Ubuntu- (links) und der "puren" GNOME-Session gibt es eine Reihe von grafischen Unterschieden.
Screenshot: Andreas Proschofsky / DER STANDARD

Interessant ist auch, wie Ubuntu die eigenen GNOME-Anpassungen implementiert hat, nämlich simpel über Änderung der Default-Einstellungen sowie den Einsatz von Erweiterungen. So ist etwa das Dock eine Extension für die GNOME Shell, auch die Integration der Ubuntu-typischen gewohnten App Indicators in die Titelzeile wurde auf diesem Weg implementiert. Dies minimiert den Wartungsaufwand, da Ubuntu so die GNOME-Entwicklungen mit relativ wenig Aufwand direkt übernehmen kann. Eine Lösung, die so simpel ist, dass sich natürlich die Frage aufdrängt, warum man nicht schon früher diesen Weg beschritten hat, anstatt jahrelang – und im Alleingang einen eigenen Desktop und all die dafür nötigen Komponenten zu pflegen.

Purer GNOME

Diese Art der Implementation bedeutet übrigens auch, dass Ubuntu-User problemlos einen nicht-veränderten GNOME nutzen können, wenn sie diesen vorziehen. Alles was sie dafür tun müssen, ist das Paket "gnome-session" installieren, nach einem Neustart steht dann eine entsprechende Session am Login-Screen alternativ zur Wahl.

Fensterübersicht im puren GNOME.
Screenshot: Andreas Proschofsky / DER STANDARD

Was ebenfalls an Ubuntu 17.10 auffällt: Im Vergleich zum alten Unity-Desktop wirkt GNOME zum Teil merklich flotter, was aber natürlich stark von der verwendeten Hardware abhängt. Unity steht übrigens als Alternative weiterhin über die Paketquellen zur Installation bereit, und bleibt auch bei einem Upgrade als Option beim Login erhalten. Wirklich empfohlen kann dieser Schritt aber nicht werden, da der Hersteller seinen alten Desktop nur mehr sehr eingeschränkt pflegt, und selbst in Sicherheitsfragen keinerlei Garantien zur Fehlerbereinigung mehr abgibt.

Tweaking

Für den Feinschliff am Desktop liefert Ubuntu in den GNOME-Systemeinstellungen lediglich eine recht spartanische Auswahl an Optionen für das erwähnte Dock, darunter die Möglichkeit dieses automatisch ausblenden zu lassen oder Icon-Größe und Positionierung des Docks zu verändern. Wer den Desktop im Detail den eigenen Bedürfnissen anpassen möchte, sei auf das GNOME Tweaks verwiesen, wo sich etwa auch die Positionierung der Fensterknöpfe wieder ändern lässt.

Aktuelle Software

Eine der erfreulichsten Entscheidungen von Canonical ist es Ubuntu 17.10 gleich mit GNOME 3.26.1, und damit der aktuellsten Ausgabe des Desktops, auszuliefern. In der Vergangenheit war der Softwarehersteller ja eher langsam bei der Integration jener GNOME-Anwendungen, die man über all die Zeit weiter verwendet hatte. Daraus resultiert, dass es bei einigen mitgelieferten Programmen dieses Mal gleich zwei größere Versionssprünge gab – etwa beim Dateimanager Nautilus. Zu den größeren Änderungen der letzten Zeit gehört auch, dass die Systemeinstellungen weitgehend neu gestaltet wurden, außerdem gibt es nun einen Nachtmodus, der den Blauanteil reduziert. Weitere Details zu GNOME 3.26 können in einem separaten Artikel nachgelesen werden.

Firefox und Co.

Apropos Softwareausstattung: Auch jenseits der GNOME-Anwendungen zeigt sich hier ein gewohntes BIld. Es wird also weiterhin Firefox (56) als Browser genutzt, für Office-Agenden ist LibreOffice (5.4.1) verantwortlich, und Thunderbird (52.4) dient als Mail-Client. Beim Musik-Client Rhythmbox tut sich zwar in der Entwicklung derzeit recht wenig, Ubuntu hat hier aber via Extension das User Interface neu gestaltet. Als Backup-Lösung wird Deja Dup mitgeliefert, das sich nun besser ins GNOME3-Design einfügt.

Firefox und LibreOffice gehören zu den den zentralen Komponenten der Softwareausstattung.
Screenshot: Andreas Proschofsky / DER STANDARD

Ebenfalls beibehalten hat man die Zweigleisigkeit in Update-Fragen: Können diese doch sowohl über GNOME Software – hier als Ubuntu Software bezeichnet – als auch über die alte Softwareaktualisierung installiert werden. Letztere bietet dabei wesentlich mehr Details, während erstere eher auf Anfänger abzielt. Hier sollte sich Ubuntu früher oder später in der Vorinstallation auf eine Lösung fokussieren, stehen sich die beiden Lösungen doch zum Teil gegenseitig im Weg, wenn das eine im Hintergrund nach Updates sucht, und dabei das zweite blockiert.

Aufräumen

Auch sonst gibt es noch einige Relikte in der Ubuntu-Softwareauswahl: Programme wie vim oder xterm sind zwar fraglos für viele äußerst nützlich, in der Default-Installation eines Desktops wirken sie aber trotzdem fehl am Platz – vor allem wenn sie über den App Launcher angeboten werden. Zumal im Falle von xterm ohnehin mit gnome-terminal noch ein zweites Programm für diese Aufgaben angeboten wird. Hier würde Ubuntu die eine oder andere Aufräumarbeit an der Softwareausstattung gut anstehen.

Wayland

Ein der wichtigsten Neuerungen von Ubuntu 17.10 findet aber auf einer tieferen Ebene statt. Parallel mit dem Wechsel auf GNOME kommt nun nämlich Wayland statt X11 für die Grafikausgabe zum Einsatz. Damit folgt man dem Vorbild anderer Distributionen – wie etwa Fedora – die schon eine zeitlang Wayland favorisieren. Ubuntu hatte hingegen jahrelang die Hoffnungen in die Eigenentwicklung Mir gesetzt, die aber jenseits der Smartphone-Variante von Ubuntu nie wirklich alltagstauglich wurde. Der aktuelle Wechsel bedeutet nun, dass praktisch alle Linux-Distributionen hinter Wayland stehen – was im Sinne einer einheitlichen Entwicklungsrichtung von nicht zu unterschätzender Bedeutung ist.

Am Login-Screen kann zwischen GNOME- und Ubuntu-Sessions gewählt werden. Wayland steht nur auf jenen Rechnern zur Verfügung, wo es problemlos genutzt werden kann – in diesem Fall also nicht.
Screenshot: Andreas Proschofsky / DER STANDARD

Die User sollten von dem Wayland-Wechsel nur wenig merken, geschieht dieser doch automatisch. In Fällen, wo es derzeit noch bekannte Probleme gibt, setzt Ubuntu zudem weiterhin auf X11 – etwa wenn die proprietären Treiber für Nvidia-Grafikkarten zum Einsatz kommen. Außerdem können die Nutzer bei Problemen mit Wayland über den Login-Screen auch manuell auf eine X11-Session wechseln.

Ganz allgemein sei erwähnt, dass der Wechsel auf Wayland nicht heißt, dass man X11 damit gleich vollständig los wird. Bis dies soweit ist, werden noch einige Jahre vergehen, heißt dies doch auch, dass sich sämtliche Anwendungen zuerst von ihren X11-Abhängigkeiten verabschieden müssen. Solange diese Aufräumarbeiten nicht vorgenommen wurden, nutzen solche Legacy-Programme eine Brückentechnologie namens XWayland, die die Kompatibilität sichert.

Kein 32-Bit-Image mehr

Der Linux Kernel ist bei Ubuntu 17.10 in der Version 4.13 enthalten, insofern ist man auch in dieser Hinsicht derzeit auf dem aktuellsten Stand, woraus vor allem eine bessere Unterstützung aktueller Hardware resultiert. Doch die neue Release bringt auch eine entscheidende Einschränkung in dieser Hinsicht: Bietet Canonical doch keine 32-Bit-Images für x86-Prozessoren mehr an, am Desktop wird nun also ein 64-Bit-CPU benötigt.

Die Suche der GNOME Shell.
Screenshot: Andreas Proschofsky / DER STANDARD

Ubuntu 17.10 trägt übrigens den Codenamen "Artful Aardvark", die Rückkehr an den Anfang des Alphabets für die Namensgebung könnte angesichts der großen Umbauten durchaus als symbolträchtig betrachtet werden. In Wirklichkeit ist dies aber bloßer Zufall, man war einfach mit Ubuntu 17.04 bereits bei Z angekommen.

Fazit

Mit Ubuntu 17.10 nimmt Canonical zum ersten Mal seit einiger Zeit große Umbauten an der Desktop-Ausgabe seiner Linux-Distribution vor. Das mag auf den ersten Blick für viele User ungewohnt sein, der Hersteller tut aber einiges, um diesen Umstieg abzufedern. Zudem fällt positiv auf, dass die neue Version trotz der weitreichenden Änderungen im Test ziemlich stabil lief, hier profitiert man von den Vorarbeiten anderer Distributionen.

Wer sich mit dem GNOME-Desktop auch in der angepassten Ubuntu-Version nicht anfreunden kann, dem bleibt langfristig aber wohl nur der Griff zu einer anderen Desktop-Variante der Distribution – oder gleich auf den Wechsel zu einem anderen Anbieter. Sonderliche Hoffnungen auf eine Wiederkehr von Unity sollte man sich hingegen lieber nicht machen.

Download

Ubuntu 17.10 steht kostenlos von der Seite des Herstellers zum Download und kann via USB-Stick oder DVD installiert werden. Bestehende Nutzer können wie gewohnt über die Systemaktualisierung auf die neue Version upgraden. Parallel dazu gibt es auch Server- und Cloud-Varianten von Ubuntu sowie neue Versionen von Ubuntu-Derivaten mit anderen Desktops – wie Xfce oder Budgie. (Andreas Proschofsky, 19.10.2017)