Wien – Der 2002 verstorbene britische Musiker Frank Tovey hat einmal die deutsche Band Einstürzende Neubauten besungen. Unter seinem Alias Fad Gadget beschrieb er im Song Collapsing New People den Aufwand, den Blixa Bargeld und Co betrieben haben, um so abgewrackt daherzukommen, wie es das Image der Band vorsah. "Takes hours of preparations, to get that wasted look", sang Tovey mit Augenzwinkern.

Drollig schauen sie schon aus, aber Tradition verpflichtet nun mal. The Horrors veröffentlichen mit "V" ein poppiges Gruftiealbum. Anfang Dezember gastieren sie im Wiener Flex.
Caroline / Universal Music

Betrachtet man die britische Band The Horrors, kommt einem dieses Lied in den Sinn. Spindeldürre Männer mit auf zerstört gestylten Frisuren, auf hartes Nachtleben geschminkten Augen, und der Dresscode ist natürlich dunkelschwarz. The Horrors haben nun ein neues Album veröffentlicht, es heißt V und ist ihr fünftes seit 2007.

Bäche auf den Backen

Die Gruftikultur verlangte ihren Anhängern immer schon eine besondere Überzeugung ab. Der Rest der Welt lächelte milde, wenn ihnen im Sommer die schwarze Schminke in Bächen über die Backen rann oder sie an feuchten Tagen erst einmal zehn Minuten auf dem Klo eines Lokals die Frisur in Ordnung bringen mussten, bevor es an die Theke ging, zum nachtschwarzen Cola.

Die vor zehn Jahren mit dem Alles-oder-nichts-Bandnamen aufgetauchten The Horrors hatten also alles Zeug, um bestenfalls als Karikatur wahrgenommen zu werden. Doch anders es kam.

Schulden bei Julian Cope

Schon ihr zweites Album Primary Colours (2009) überraschte. Zwar suhlte der Fünfer sich neigungsgruppenaffin im Gruftipop, behübschte diesen aber mit zarten Psychedelic- und Krautrockanleihen, so als wäre er bei Julian Cope zur Nachhilfe eingekehrt. Einem Musiker, dem die Berge des Wahnsinns lange schon Heimat sind und bei dem Sänger Faris Badwan auf dem Inspirationskonto einiges hat anschreiben lassen.

"Press Enter To Exit" – ein früher Höhepunkt auf "V".
troppikx

Mit Primary Colours gelang The Horrors zugleich der Schritt übers große Wasser, in die USA. Dass Gruftis ein hartnäckiger Orden sind, bestätigte sich also auch in der Karriere der Horriblen. Die beiden Folgealben landeten dann jedes Mal verlässlich in diversen Charts, die Band ist heute längst Headliner großer Festivals. Das nun erschienene V wird ihre Popularität wohl noch vergrößern.

Zwar bildet die Ursuppe mit Bands wie Bauhaus, Gary Numan und The Cure weiterhin deutlich hörbar das Nährgebiet der Formation aus Southend, erstmals ziehen sie aber, was den Popappeal ihrer Songs betrifft, mit ihren Vorbildern gleich.

Bohren wie der Zahnarzt

Wobei The Horrors weniger der Grabschänderszene zugetan sind, sondern auf V ihre romantische Seite etwas unterstreichen – mit Songs wie Weighed Down oder dem akustisch einzählenden Gathering. Das sind hübsche Popsongs, in denen Badwan folgerichtig jeglichem Halloweenfirlefanz entsagt. Würde es nicht so doof nach Obst klingen, könnte man ihm unterstellen, er sei gereift.

Die Burner des Albums sind aber die Uptempo-Songs. In World Below bohrt der Synthesizer wie der Zahnarzt, dazu flirrt und blubbert es, obendrüber schmachtet der 31-jährige Badwan.

Bohren wie der Zahnarzt: "World Below" von The Horrors.
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Ein Song wie It's A Good Life wirkt ideologisch zwar ein wenig deplatziert, das mit der Anziehungskraft des Todes muss man aber auch nicht übertreiben. Punkt für die Band. Mit Something To Remember Me By nimmt sie am Ende des Albums den Hut, es ist ein weiterer hübscher Popsong, der ohne übertriebene Düsternis auskommt.

Der letzte Song auf "V": "Something To Remember Me By."
TheHorrorsVEVO

Andererseits fehlt diesem Album vielleicht genau das. Die Bereitschaft, sich bedingungslos ins offene Grab zu schmeißen. Kein Song hier ist hemmungslos, keiner legt das Herz des Sängers offen, keiner lässt in die Seele der Band blicken. Letztlich ist sie doch auf hohem Niveau verklemmt. All die unterstellte Jenseitssehnsucht krepiert auf den Stufen zum Friseursalon, am Eingang zum Jeanshosendesigner für Spinnenbeinige. Vielleicht war aber bloß Julian Cope zu abschreckend. Schade, aber das Leben lehrt uns, Kompromisse zu schließen. V ist so ein Kompromiss, ein gutes Album allemal. (Karl Fluch, 18.10.2017)