Parteivize Werner Kogler und Klubchef Albert Steinhauser: Nach 31 Jahren im Parlament droht den Grünen mit Donnerstag das Aus.

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Wien – Angesichts der neusten Briefwahlauszählung von Montagnacht bereiten die Grünen schon ihren Auszug aus dem Parlamentsklub vor: Wie berichtet landen sie laut jüngster Sora-Prognose inklusive der Wahlkarten, die noch bis Donnerstag ausgezählt werden, bloß bei 3,8 Prozent. Damit wird immer wahrscheinlicher, dass die Partei nach 31 Jahren aus dem Nationalrat fliegt. Um 13 Uhr ist der Bundesvorstand der Grünen abseits der Medienöffentlichkeit zusammengetreten – am späten Nachmittag ist dann ein Pressestatement geplant.

Damit müssten nicht nur 21 Mandatare aus dem Parlament ausziehen, schon am Montag hat Klubchef Albert Steinhauser dem Vernehmen nach intern mitgeteilt, dass voraussichtlich bis zu 110 Mitarbeiter beim AMS angemeldet werden – rund 90 sollen im Klub betroffen sein, der Rest arbeitet bei der Bundespartei. Bis 8. November, einen Tag bevor sich der neue Nationalrat konstituiert, sollen die Dienstverhältnisse angeblich noch aufrecht bleiben. Auch die Klubräume in der Löwelstraße sollen bald geräumt werden – "das betrifft vier Stockwerke", sagt ein Mitarbeiter.

Sozialplan auf grüner Agenda

Steinhauser selbst hat bereits am Montag getwittert: "Zehn tolle Jahre im Parlament sind vorbei. Dass ich nicht weitermachen darf, trifft mich hart, aber ich kann's nicht ändern." Beim Treffen des Bundesvorstands soll auch das Verhindern sozialer Härten für die von Kündigung bedrohten Mitarbeiter Thema gewesen sein.

Angeblich ebenfalls Thema: die Finanzlage. Aus dem Wahlkampf müssen Millionenschulden beglichen werden, ebenso wie aus dem Hofburg-Wahlkampf vom Vorjahr. Mit dem Ende als Parlamentspartei verlieren die Grünen 8,9 Millionen Euro an Subventionen – und zwar Parteien-, Klub- und Akademieförderung. Die meisten Länder haben sich zwar solidarisch erklärt, doch einige sind selbst finanzschwach oder stehen vor Wahlen.

Personalbedarf bei Liste Pilz

Ob die Liste von Peter Pilz Mitarbeiter übernehmen wird, ist noch offen, denn: "Wir sind noch gar nicht so weit, die Planungen beginnen erst", sagt Pilz zum STANDARD. Noch wisse er selbst gar nicht, wie groß der Stab seiner Liste sein werde. Klar sei aber: "Alle Posten werden ausgeschrieben. Wir werden uns die besten Leute auf offene Art suchen." Bei den Grünen gebe es natürlich "exzellente Leute", aber: "Bei uns geht es um einen Neubeginn und nicht um eine grüne Übernahme."

Willi: Felipe soll sich auf Tirol konzentrieren

Der grüne Noch-Nationalratsabgeordnete und nunmehrige Spitzenkandidat bei der Innsbrucker Gemeinderatswahl, Georg Willi, drängt Bundessprecherin und Landeshauptmann-Stellvertreterin Ingrid Felipe, sich nach dem Wahldesaster auf Tirol zu konzentrieren. "Ingrid muss Tirol und der Landtagswahl jetzt Priorität einräumen", sagte Willi der "Tiroler Tageszeitung". "Ich stelle mir schon die Frage, ob die Funktion der Bundessprecherin da noch Platz hat", erklärte das Grünen-Urgestein, selbst viele Jahre lang Klubobmann im Landtag. In Tirol findet am 25. Februar die Landtagswahl statt.

Rauch: "Grüne Neugründung geht von Ländern aus"

Der Vorarlberger Landessprecher Johannes Rauch sagte am Dienstag auf einer Pressekonferenz: "Die Neugründung der Grünen wird von den Ländern ausgehen." Er habe konkrete Vorstellungen: "Sämtliche Gremien auf Bundesebene werden abgeschafft. Die politische Weichenstellung machen die Länder." Die Grünen hätten gravierende Fehler gemacht, das gelte es zu analysieren. Und noch etwas steht für Rauch fest: "Wir müssen die innerparteiliche Demokratie völlig neu organisieren."

Rauch hatte sich eine eintägige Nachdenkpause gegönnt, kam zu dem Schluss, den Krempel nicht hinzuschmeißen, und will nun "schonungslos hinschauen". Erneuerung brauche es auf allen Ebenen, auch in den Ländern und Gemeinden. Künftig sollten nicht Funktionärinnen und Funktionäre entscheiden, sondern Bürgerinnen und Bürger. Wie genau er sich das vorstellt, konnte Rauch nicht sagen. Darüber müsse intensiv nachgedacht werden.

Rauch geht von Rücktritten aus

Zuerst gelte es, das Unternehmen Bundespartei abzuwickeln. Allein aus dem Bundespräsidenten-Wahlkampf hätten die Grünen drei Millionen Euro Schulden. Ob die Länder finanzielle Beiträge leisten können, müsse aber erst rechtlich geklärt werden. Ebenso, ob einige der Partei- und Klubbeschäftigten in den Ländern Arbeit finden werden. Personelle Konsequenzen auf Führungsebene werde es geben, "die betroffenen Personen werden dazu aber selbst Stellung nehmen".

Auf seine Arbeit in der schwarz-grünen Vorarlberger Landesregierung werde das Wahldebakel der Grünen auf Bundesebene keine Auswirkungen haben, sagt Rauch. "Das Regierungsprogramm gilt bis 2019."

Anschober sieht "Riesenfehler" im Wahlkampf

Nach einer eintägigen Nachdenkpause meldete sich am Dienstag auch Oberösterreichs grüner Landesrat Rudi Anschober zu Wort. Die Situation sei jetzt "eine absolute Katastrophe" und man habe "eine große Chance verspielt". Und das grüne Ur-Gestein sieht vor allem grobe Fehler in den eigenen Reihen: "Das Ergebnis ist eigenverschuldet, wir können und werden auch nicht die Verantwortung jetzt auf Dritte schieben."

Man sei bei den Grünen nach dem erfolgreichen Bundespräsidentenwahlkampf "nicht in dieser Breite geblieben". Hinzu seien dann der Streit mit den jungen Grünen, der Rücktritt von Eva Glawischnig und die Abwahl von Peter Pilz gekommen, so Anschober. Und er ortet einen "Riesenfehler" in der Schlussphase des Wahlkampfs: "Als klar war, dass es knapp werden könnte und wir in den Umfragen schlecht lagen, hätte man die Sache dramatisch zuspitzen müssen – und den Wählern deutlich vermitteln müssen, dass es um ‚Sein oder Nichtsein‘ geht."

"Viel Gegenwind"

Anschober räumt aber auch ein, dass von Anbeginn des Wahlkampfs "sehr viel Gegenwind" spürbar gewesen sei. Die Entscheidung für eine grüne Doppelspitze sei dennoch "kein Fehler" gewesen. Nachsatz: "Ich schließe personelle Bewegungen jetzt aber nicht aus."

Anschober fordert eine grundlegende Reform der Parteistrukturen ein: "Wir müssen bereit sein, zu lernen und tabulos Reformen durchziehen. Die Strukturen der Grünen haben sich in den letzten 30 Jahren nicht weiterentwickelt. Es ist zum Beispiel nicht der Weisheit letzter Schluss, wie wir Kandidaten finden." Also eine Absage an die Basisdemokratie? Anschober: "Nein, überhaupt nicht. Aber wir brauchen ein besseres Personalmanagement. Jemanden, der die Personen hin zu einer Kandidatur führt. Vorstellbar ist für mich auch ein Model ähnlich dem der deutschen Grünen. Dort hat es eine Urabstimmung über die ersten beiden Listenplätze gegeben."

Und Anschober mahnt nun Solidarität von den grünen Länderorganisationen ein: "Der Start in Richtung Wiedereinzug wird nur über die Länder gehen. Es braucht jetzt eine echte Mitverantwortung in allen Bereichen – auch finanziell." Mit Grabenkämpfen in der Partei rechnet der oberösterreichische Grüne aber nicht. Und einen Wechsel an die Parteispitze? Anschober: "Schließe ich definitiv aus." (Peter Mayr, Nina Weißensteiner, Jutta Berger, Markus Rohrhofer, 17.10.2017)