Wenn man den Chef, diesen Erotomanen, wieder einmal bei einer dieser misslichen Situationen überrascht: Kim Min-hee und Kwon Haehyo in "The Day After" von Hong Sang-soo.


Foto: Viennale

"Claire's Camera" von Hong Sang-Soo spielt während des Festivals von Cannes, mit Isabelle Huppert als guter Fee.


Foto: Viennale

Arbeitswut ist noch kein Wert an sich und Filmemachen auch keine sportliche Disziplin. Der Output des koreanischen Regisseurs Hong Sang-soo ist allerdings schon deshalb bemerkenswert, weil seine Filme immer wieder auf ähnliche Konstellationen und Motive zurückkommen. Sie erzählen von Begegnungen, von Trinkgelagen und wechselseitigen Projektionen, vom Mysterium der Liebe und davon, wie man mit dem Leben zurande kommt, wenn sich dieses wieder erledigt hat. In diesem Jahr hatte Hong gleich drei neue Filme im Gepäck – einen auf der Berlinale, zwei in Cannes -, und obwohl sie nicht direkt zusammenhängen, ergeben sie doch ein Kaleidoskop variabler Welten.

Eine Konstante aller drei Filme ist auch die Schauspielerin Kim Min-hee. Sie ist überdies Hongs Lebensgefährtin, eine Liaison, die in Korea viel Staub aufgewirbelt hat, weil der Filmemacher bereits verheiratet war und Ehebruch in seiner Heimat noch etwas gilt. On the Beach at Night Alone ist insofern auch als Antwort auf die Erfahrung einer öffentlichen Ächtung zu verstehen, wenngleich mit verändertem Spin zur Realität. Kim spielt die Schauspielerin Younghee, die wegen einer Affäre nach Hamburg geflohen ist und dort darauf wartet, dass der Geliebte ihr nachfolgt.

Cine maldito

Der erste Teil von On the Beach at Night Alone wirkt wie die Verteidigung der Aufrichtigkeit eines Gefühls. Zart wie profund melancholisch setzt er die Sehnsucht seiner Protagonistin ins Bild, Hamburg wird zur entrückten Entsprechung eines nicht erfüllten Versprechens. Die Emotionen treiben nur punktuell an die Oberfläche, etwa wenn Younghee einmal beim Spazierengehen auf einer Brücke langsam niedersinkt.

Ironische Umkehrung

In der zweiten Hälfte des Films, der dann wieder in Korea, an einem Seeort spielt, hat sich Younghee schon wieder besser im Griff. Kims Züge, ihr angedeutetes Lächeln, das sich gleichsam in zwei gegensätzliche Richtungen bewegt, bilden nicht nur an dieser Stelle den Mittelpunkt des Films, auch wenn sich der erhoffte Liebesbeweis des Regisseurs – er sagt einmal, er habe sie nur aufgrund ihrer Schönheit ausgewählt – doch nur als Traum herausstellt. Fiktion ist bei Hong auch die ironische Umkehrung der Realität.

Überhaupt sind es die Männer, die hinter ihren Vorstellungen (von sich selbst) zurückbleiben. In dem in Schwarz-Weiß gedrehten The Day After gibt es eine fantastische Tischszene mit großen Mengen Soju – eine der wiederkehrenden Elemente aller Hong-Filme -, in der die Exgeliebte des Verlagsleiters Bongwan (Kwon Haehyo) mit diesem hart ins Gericht geht.

Mutlos sei er, feige, schreit sie, bis ihr der Speichel und Rotz über den Mund läuft. Es ist einer dieser existenziellen Momente, in dem die luftig-leichte Verwechslungskomödie aufreißt und dahinter das Versehrtsein der Figuren zum Vorschein kommt.

Fabricio Duque

The Day After ist ein besonders anschauliches Beispiel dafür, wie Hong – darin Verwandter von Meisterregisseur Eric Rohmer -, archetypische Begehrensmuster zu philosophischen Etüden über die Zerrissenheit seiner Figuren weiterspinnt. Bongwan ist ein notorischer Frauenheld, ein Wiederholungstäter, der alle seine Assistentinnen zu verführen versucht. Kim Min-hee verkörpert das jüngste Ziel seiner Avancen, die sie jedoch amüsiert abwehrt und hinterfragt – nur, um dann doch noch ins Zentrum einer hitzigen Auseinandersetzung zu rücken.

Claire's Camera, der dritte Film auf der Viennale, hat mit Isabelle Huppert einen Gaststar (sie war schon in In Another Country dabei) und macht in seiner verspielten Tonart deutlich, wie viel Spontaneität zu Hongs Art des Filmemachens gehört. Zur Gänze auf den Straßen und Cafés von Cannes während des Festivals gedreht, versagt sich der Film dem dazugehörigen Rummel zum Glück. Stattdessen erzählt er eine Komödie rund um Huppert als guter Fee, die mit Polaroidkamera und Hut durch den Ort flaniert. Ihre Bilder, sagt sie, vermöchten im Leben der Porträtierten etwas zu ändern.

Cine maldito

Dies tritt dann zwar nicht ganz wie prognostiziert ein, doch immerhin lindert sie mit ihrer fröhlichen Natur den Groll einer koreanischen Sales-Assistentin, die gerade von ihrer Chefin gefeuert wurde. Kim Min-hee spielt die verzagte Frau natürlich, die auch in dieser Parallelwelt eine Affäre mit einem Regisseur einging. (Dominik Kamalzadeh, 14.10.2017)