Noch immer sind nicht alle Gerichtsprozesse abgeschlossen, in denen Protagonisten der ersten schwarz-blauen Systemzeit von 2000 bis 2006 vorgeladen sind und die damit für jeden, der sich erinnern will, auch das System selber ins Gedächtnis zurückrufen. Und schon zeichnet sich, sollten die Umfragen nicht völlig falsch sein, ein Rückfall in dieses System ab. Es wäre ein Fall österreichischer Erinnerungskultur, die die Freiheit einschließt, aus Erfahrung nicht klüger werden zu müssen. Eine Änderung des Personals reicht offenbar aus, um bei vielen die Illusion zu nähren, an den wirtschafts- und sozialpolitischen Prinzipien von damals habe sich viel geändert. Neu hinzugekommen ist nur das Spiel mit der Angst vor allem, was an Fremdem über die Grenzen hereinströmen könnte, die man nur kräftig schüren muss, um daraus billig Kapital zu schlagen.

Sogar die gute alte Tradition des Antisemitismus, damals in Verschwörungsverdacht gegen die amerikanische Ostküste gekleidet, durfte wieder Urständ feiern. Besser konnte es sich ja gar nicht treffen, dass der Schöpfer der Schmuddelkampagne unter den Fittichen der SPÖ den klingenden Namen Silberstein trägt, was zu einer wahren Flut von Silberstein-Beschwörungen vor allem, aber nicht nur in den Boulevardmedien führte, unterfüttert mit dem Meuchelfoto von der Einvernahme in Israel, dessen Wiederholung weit über jeden Neuigkeitswert hinaus eher an den Illustrationsstil des Stürmer erinnerte, mit durchaus gerechtfertigter kritischer Berichterstattung aber nicht mehr viel zu tun hatte. Hätte Sebastian Kurz in der Konfrontation mit Bundeskanzler Kern seinen Satz, wir brauchen keine Silbersteins in Österreich, auch so gesagt, wenn der Mann Müller oder Hofer hieße? In dieser Form hätte die Aussage ihre Reizwirkung wohl nicht ganz entfaltet.

Aber vielleicht wird Kurz von allen, die mit dem Nächstliegenden, einer Neuauflage von Schwarz-Blau, rechnen, einfach unterschätzt, und er hat einen Schachzug in petto, dessen Genialität alle Anhimmelungen seiner Fans rechtfertigen könnte. Irgendetwas wird er sich gedacht haben, als er die Koalition aufkündigte, seine Partei in Duldungsstarre versetzte und den Führungsanspruch auf das ganze Land erweiterte. Der exakt ausgeklügelte Wahlkampf schließt einen Masterplan nicht aus, der über das Nächstliegende hinausgeht. Die Zeit der schönen Phrasen ist mit Sonntag vorbei, von da an muss er liefern, soll der Lack nicht rasch abblättern.

Das selbstverständliche Ziel, Partner für eine stabile Mehrheit zu finden, wird höchstwahrscheinlich nur entweder mit den Freiheitlichen oder mit den Sozialdemokraten zu erreichen sein. Der Gedanke einer schwarzen Minderheitsregierung wäre bei deutlich weniger als vierzig Prozent frivol. Für die Freiheitlichen spricht ideologische Nähe, vor allem in der hochgespielten Flüchtlingsfrage. Mit Ruhm würde er sich damit bei Orbán bedecken. Den Sozialdemokraten hat er den Sessel vor die Tür gestellt hat. Dort fehlt es zwar nicht an Sesselklebern, aber wie ein Angebot aussehen soll, das diese annehmen könnten, ohne ihren Abstieg zu beschleunigen, ist noch offen. Wenn er eines macht. (Günter Traxler, 12.10.2017)