Will am Sonntag auch eine Volksabstimmung darüber, ob "wir die Silbersteins in Österreich wollen": ÖVP-Obmann Sebastian Kurz.

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Wollte die Republik "Silberstein-frei machen", spricht nun aber von einer "unsensiblen Äußerung": Listenchef Peter Pilz.

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"Wieso sagt man nicht einfach, 'wir wollen auch keine Pullers und Fußis haben'?", fragt Diskursforscherin Ruth Wodak.

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Wien – Nach der Aufregung rund um die Sudelfacebookseiten des ehemaligen SPÖ-Beraters Tal Silberstein, der aus Israel stammt und auch für antisemitischen Inhalt verantwortlich sein soll, bringen sich zwei Spitzenkandidaten ins Gerede, ebenfalls mit derartigen Codes zu hantieren. Am Wochenende erklärte ÖVP-Chef Sebastian Kurz in Graz, am 15. Oktober sei nicht nur Nationalratswahl, sondern auch eine Volksabstimmung darüber, ob "wir die Silbersteins in Österreich wollen".

Am Montag legte Peter Pilz, der mit eigener Liste antritt, nach und forderte: "Wenn wir diese Republik Silberstein-frei machen wollen, (...) dann müssen wir klare Strafbestimmungen und Gefängnisstrafen in die Gesetze gegen den Parteienstaat reinschreiben".

Diktion aus den 30er-Jahren

Seitdem tobt in den virtuellen Diskussionsforen ein Streit darüber, ob Kurz und Pilz antisemitische Aussagen getätigt haben. "ZiB"-2-Moderator Armin Wolf etwa hielt Pilz auf Twitter ein Foto aus den 1930er-Jahren vor, auf dem ein nationalsozialistisches Transparent mit dem Slogan "Diese Stadt ist judenfrei" zu sehen ist – und fragte: "Ist echt zu viel verlangt, dass sich Politiker daran erinnern?"

Pilz' Replik auf demselben Kanal: "Keine andere Partei wäre auf die Idee gekommen, mich zum Antisemiten zu erklären." Zum STANDARD sagt er: "Das war eine unsensible Äußerung." Genauso wie er das aber klarstelle, wolle er "vom ORF-Sprecher Wolf eine entsprechende Klarstellung". Nachsatz: "Wer Menschen wie mich als Antisemiten bezeichnet, entwertet den Begriff vollkommen" – was Wolf auch nie behauptet hat.

Martin Engelberg wiederum, auf Platz elf der ÖVP-Bundesliste und bis vor kurzem in der Israelitischen Kultusgemeinde mit seiner Liste "Chaj" aktiv, erklärte angesichts der Vorwürfe, mit Kurz telefoniert zu haben: "Selbstverständlich keinesfalls Bezug auf das Jüdischsein von Silberstein, sondern auf seine Methoden!", vermeldete er auf Twitter.

Doch sind diese Aussagen tatsächlich so einfach vom Tisch zu wischen? Die Sprachwissenschafterin Ruth Wodak stellt zwar klar, dass sie "nicht in die Köpfe der Politiker hineinsehen" könne, um zu bewerten, ob sie ihre Kampfansagen gegen Silberstein bewusst als antisemitische Botschaften setzen wollten. Sie hält aber fest, dass mit derartigen Äußerungen eine bestimmte Wirkung erzielt werde, die "bei einigen Menschen, vor allem jenen mit historischem Wissen, große Irritationen verursacht".

Symbol für Böses von außen

Denn, so die Expertin für Diskursanalyse: Silberstein biete sich mit seinem typisch jüdischen Namen hier als Metonym und damit als Symbol für alle bösen Spindoktoren und Kampagnisierer an – und mit dem Verweis, dass man seinesgleichen nicht in Österreich haben wolle, werde impliziert, das Böse sei hierzulande nicht existent und komme daher von außen. Wodak: "Doch es gibt auch Nichtjuden, die Dirty Campaigning machen – und damit könnte den Wählern suggeriert werden: 'Wir wollen keine jüdischen Spindoktoren.'" Daher fragt die Wissenschafterin unter Hinweis auf andere verdächtige Berater: "Wieso sagt man als Politiker nicht einfach, 'wir wollen auch keine Pullers und Fußis haben'?"

Ihr Fazit lautet: "In der polarisierten Situation im Wahlkampf wird damit die Stimmung weiter aufgeheizt. Das Spiel mit jüdischen Namen ist gefährlich – und hat in Österreich Tradition."

Affären rund um Greenberg, Soros & Co

Einst verunglimpften die Nazis die Namen der jüdischen Mitbürger, im Wiener Wahlkampf 2001 verhöhnte der damalige FPÖ-Chef Jörg Haider etwa Stanley Greenberg, Spindoktor von Wiens Bürgermeister Michael Häupl (SPÖ), mit den Worten: "Den hat er sich von der Ostküste einfliegen lassen!" Die Wähler könnten also zwischen Greenberg "oder dem Wienerherz entscheiden".

Seit der Kurt-Waldheim-Affäre 1986 gilt die Ostküste als Codewort für die jüdische Bevölkerung in und um New York und ihren angeblichen Einfluss. Dazu verspottete Haider mit einem Namensspiel auch den ehemaligen Präsidenten der Kultusgemeinde Ariel Muzicant: "Ich verstehe nicht, wie einer, der Ariel heißt, so viel Dreck am Stecken haben kann!"

Auch Silberstein, dem nachgesagt wird, mit einem Sujet gegen Kurz kampagnisiert zu haben, das den US-Investor George Soros als Einflüsterer des ÖVP-Chefs zeigt, setzte offenbar auf das alte Stereotyp – nämlich, dass "jüdische machtbesessene US-Banker an einer Weltverschwörung beteiligt sind. Und Kurz wurde damit als Soros' Marionette dargestellt", erklärt Wodak.

In Anspielung auf Ex-Kanzler Alfred Gusenbauer, der wiederum als Ratgeber von SPÖ-Chef Christian Kern gilt, präzisiert Pilz jetzt: "Gut, ich möchte, dass es weder einen Silberstein noch einen Gusenbauer in dieser Republik gibt." (Nina Weißensteiner, 10.10.2017)