In Barcelona demonstrierten Hunderttausende am Sonntag für einen Verbleib bei Spanien.

Foto: APA/AFP/LLUIS GENE

Kataloniens Regierungschef Carles Puigdemont könnte eine einseitige Unabhängigkeit erklären.

Foto: APA/AFP/LLUIS GENE

Barcelona/Madrid – Trotz einer Massendemonstration in Barcelona gegen die Abspaltung Kataloniens von Spanien hat Regionalregierungschef Carles Puigdemont seine Pläne für die Unabhängigkeit der Region bekräftigt. "Die Unabhängigkeitserklärung (...) ist im Referendumsgesetz vorgesehen. Wir werden das Gesetz befolgen", sagte Puigdemont am Sonntag dem katalanischen Fernsehsender TV3.

Beitrag aus der "ZiB" am Sonntag.
ORF

Puigdemont bezog sich auf das Anfang September vom Regionalparlament verabschiedete Gesetz, das als rechtliche Grundlage für das Referendum am 1. Oktober gelten sollte, vor der Volksbefragung aber ebenso wie die Befragung selbst vom Verfassungsgericht für illegal erklärt worden war. Es wird erwartet, dass Puigdemont die Unabhängigkeit bei einer Rede am Dienstagabend im Parlament in Barcelona verkünden wird.

Verhärtete Fronten

Der Regionalpräsident warf der Zentralregierung vor, sich einem Dialog zu verweigern. "Wir haben die Tür zu einer Vermittlung geöffnet, wir haben Ja gesagt zu allen uns präsentierten Vermittlungsmöglichkeiten. Die Tage vergehen, und wenn der spanische Staat nicht auf positive Weise reagiert, werden wir das tun, wozu wir hergekommen sind."

Die Fronten verhärteten sich unterdessen, die Atmosphäre ist von wachsendem Nationalismus auf beiden Seiten geprägt. "Es ist wie auf der Titanic, wo das Orchester bis zum Untergang spielt", kommentierte der katalanische Journalist Joaquin Luna von der Zeitung "La Vanguardia" das Festhalten der Regionalregierung an ihrem Unabhängigkeitskurs. Der katalanische Nationalismus habe für einige der vehementesten Verfechter schon fast "religiösen" Status.

Rajoy will nicht reden

Zuvor hatte der konservative spanische Ministerpräsident Mariano Rajoy sich erneut unnachgiebig gezeigt. In einem Interview der Zeitung "El País" wies er alle Aufrufe zum Dialog mit den Unabhängigkeitsbefürwortern scharf zurück, solange diese nicht auf die Unabhängigkeit verzichteten. "Spanien wird nicht geteilt werden, und die nationale Einheit wird erhalten bleiben", sagte Rajoy. "Wir werden alle uns zur Verfügung stehenden gesetzgeberischen Instrumente nutzen, um das sicherzustellen." Er halte es nicht für ausgeschlossen, Artikel 155 der Verfassung anzuwenden, um Kataloniens Autonomie auszusetzen und die Region unter Verwaltung der Zentralregierung zu stellen.

Am Sonntag vor einer Woche hatte Puigdemont ungeachtet eines Verbots durch das Verfassungsgericht und gegen den Willen der Zentralregierung ein Referendum über die Unabhängigkeit abhalten lassen. Bei der von den Gegnern der Abspaltung mehrheitlich boykottierten Befragung gewann das Ja-Lager mit rund 90 Prozent, die Beteiligung lag jedoch bei nur 43 Prozent. Dennoch reklamierte Puigdemont anschließend, damit habe Katalonien das Recht auf Unabhängigkeit erlangt. Die spanischen Behörden hatten unter anderem mit Einsatz von Polizeigewalt versucht, die Abstimmung zu verhindern. Millionen Stimmzettel waren beschlagnahmt worden, zahlreiche Stimmlokale wurden geräumt.

"Viva España"

In Barcelona waren am Sonntag hunderttausende Menschen gegen die Abspaltungspläne auf die Straße gegangen. Auf ihrem Marsch durch das Zentrum Barcelonas skandierten sie unter anderem "Ich bin Spanier" und "Viva España".

Der Chef der Linkspartei Podemos, Pablo Iglesias, warnte Puigdemont davor, bis zum Äußersten zu gehen. "Wir raten der katalanischen Regierung zur Vorsicht: Erklären Sie nicht einseitig die Unabhängigkeit!", sagte er der "Frankfurter Rundschau" vom Montag. Wenn man das Terrain der politischen Auseinandersetzung verlasse, könne man sehr schnell auf das gefährliche Terrain der Verhaftungen, des Verbots von Parteien, der Ausgangssperre und der Versammlungsverbote geraten. Iglesias hatte sich mit den katalanischen Nationalisten solidarisch erklärt und wegen der Polizeigewalt beim Referendum ein EU-Sanktionsverfahren gegen Spanien ins Spiel gebracht.

Sorge in Europa

Die Katalonien-Krise löst auch zunehmend Sorge im Rest Europas aus. Der deutsche Europaabgeordnete und Außenpolitikexperte Elmar Brok griff die katalanische Regierung scharf an. Der "Schweriner Volkszeitung" vom Montag sagte er: "Dem reichen Barcelona geht es nur darum, die Solidarität mit anderen spanischen Regionen aufzukündigen." Brok machte auf die Sprengkraft der Unabhängigkeitsbemühungen aufmerksam. Diese könnten die Abspaltungstendenzen in anderen EU-Ländern anheizen, etwa in Korsika und Südtirol.

Weniger dramatisch sieht der Historiker Walther Bernecker die Entwicklung. Puigdemont werde voraussichtlich auf eine einseitige Erklärung der Unabhängigkeit erst einmal verzichten. Stattdessen wäre denkbar, dass er am Dienstag eine Unabhängigkeit als Ziel für die Zukunft ausgeben werde, auf das er weiter hinarbeiten wolle, sagte der emeritierte Professor für Neuere Geschichte der Deutschen Presse-Agentur. "Damit hätte Puigdemont sein Gesicht gewahrt." (APA, 9.10.2017)