ORF

Wien – Das Dirty Campaigning eines Teams rund um den israelischen SPÖ-Berater Tal Silberstein bleibt zwei Wochen vor der Wahl das zentrale innenpolitische Thema. Vieles in der Causa ist bisher aber unklar, DER STANDARD versucht einen Überblick zu geben, was bisher bekannt ist und was nicht.

Auf ATV lieferten sich Christian Kern und Sebastian Kurz (re.) am Sonntagabend einen heftigen Schlagabtausch.
Foto: apa

Frage: Was wurde auf den Seiten "Die Wahrheit über Sebastian Kurz" und "Wir für Sebastian Kurz" gepostet?

Antwort: Die Facebook-Seite "Die Wahrheit über Sebastian Kurz" stellte den Außenminister und ÖVP-Chef vor allem als Befürworter der Flüchtlingsbewegung dar sowie als Marionette von Altkanzler Wolfgang Schüssel. Zudem wurde mehrmals darauf hingewiesen, dass Kurz wieder eine Koalition mit der SPÖ und Kern plane. Kurz wird durchgängig als "Fake-Basti" und SPÖ-Chef Christian Kern als "Pizzakanzler" bezeichnet.

Die Seite sollte so aussehen, als ob sie von der FPÖ betrieben wird, wurde aber offenbar von Silbersteins Team befüllt. Sinn der Sache: potenzielle FPÖ-Wähler von der Stimmabgabe für Kurz abzuhalten. Die Truppe schreckte dabei auch nicht davor zurück, Inhalte der FPÖ-nahen Seite unzensuriert.at zu verbreiten. Die Seite "Wir für Sebastian Kurz" wiederum diente dazu, liberale Wähler von Kurz fernzuhalten. So ließ man die "Fans" des ÖVP-Chefs etwa darüber abstimmen, ob der Islam zu Österreich gehört. Alle Seiten sind mittlerweile offline.

George Soros wurde als Einflüsterer von Sebastian Kurz dargestellt.

Frage: Kern hat gesagt, dass es auf der Seite "Die Wahrheit über Sebastian Kurz" nach dem Abgang Silbersteins zu einer "massiven Beschleunigung des Tons" gekommen ist. Stimmt das?

Antwort: Nicht wirklich. Zwar ist das antisemitische Sujet, das den ungarischen jüdischen Milliardär George Soros als Einflüsterer von Kurz zeigt, erst nach dem Ausscheiden Silbersteins erschienen. Der rassistische Unterton beherrscht die Seite aber seit deren Bestehen. So wurde am 3. August ein Sujet verbreitet, das Kurz im Gespräch mit Flüchtlingen zeigt. Der Kommentar dazu: "Zeig mir deine Freunde, und ich sag dir, wer du bist!"

Frage: Was hat es mit der Seite "Die Wahrheit über Christian Kern" auf sich?

Antwort: Auch diese Seite ist mittlerweile offline. Sie hatte bis zum 29. September 685 "Gefällt mir"-Angaben, war also wesentlich weniger erfolgreich als "Die Wahrheit über Sebastian Kurz" mit fast 15.500 Likes. Es ist unklar, wer die Seite betrieben hat. Facebook gab diese Information auf eine STANDARD-Anfrage bereits im August nicht weiter und begründete dies mit Datenschutz. Kern wurde darauf jedenfalls lächerlich gemacht, als "Mogelkanzler" und "Prinzesschen" bezeichnet.

Auf der Seite "Die Wahrheit über Christian Kern" macht man sich über den Kanzler lustig.
Foto: Screenshot

Frage: Wer hat die Facebook-Seiten beziehungsweise deren Bewerbung finanziert?

Antwort: Das ist die große Frage, auf die es bisher keine Antwort gibt. Das "Profil" kolportiert Kosten von 500.000 Euro, was für das Betreiben beziehungsweise Bewerben zweier Facebook-Seiten ziemlich viel wäre, bestätigt hat das bisher aber niemand. Kern hat beteuert, dass das Geld nicht von der SPÖ gekommen sei – eine Garantie, die sein Büro auf Nachfrage des STANDARD am Montag noch einmal erneuert hat.

Über mögliche Finanziers kursieren viele Gerüchte. Genannt wurden etwa der Holzindustrielle Gerald Schweighofer, Hans Peter Haselsteiner und – wie eigentlich immer bei unaufgeklärten Fällen – Martin Schlaff.

Alle bestreiten auf Anfrage allerdings explizit deren Involvierung. "Das stimmt nicht. Jeder, der so etwas behauptet, lügt", sagt Haselsteiner und betont, immer nur die Liberalen finanziell unterstützt zu haben. Ein Schlaff-Sprecher hält auf Anfrage fest: "Das schließe ich aus." Und Schweighofer kündigt rechtliche Schritte an, sollte jemand behaupten, er habe die Finanzierung übernommen.

"Die Wahrheit über Sebastian Kurz" arbeitete gern mit rassistischen Untertönen.

Frage: Was sagen Silberstein und der PR-Berater Peter Puller, der Teil des Silberstein-Teams gewesen sein soll, zur Frage der Geldgeber?

Antwort: Puller, der in der Vergangenheit bereits für Wissenschafts- und Justizministerin Beatrix Karl (ÖVP) sowie für die Volkspartei selbst und die Neos gearbeitet hat, wollte auf STANDARD-Anfrage keinen Kommentar abgeben. Zu Silberstein hatte DER STANDARD noch keinen Kontakt, auch in der SPÖ heißt es, man habe mit dem Exberater noch nicht sprechen können.

Frage: Silberstein hat aber auch offiziell für die SPÖ gearbeitet. In welcher Form?

Antwort: Laut dem neuen Bundesgeschäftsführer Christoph Matznetter, der die ganze Causa für die SPÖ aufarbeiten soll, hatte Silberstein einen ab Jänner 2017 laufenden Vertrag, aber auch noch Aufträge für zusätzliche Leistungen. Insgesamt habe sich das Honorar auf etwa 500.000 Euro belaufen. Etwa drei Viertel davon soll die Partei tatsächlich bezahlt haben – der Rest floss nicht mehr, weil die SPÖ die Zusammenarbeit mit Silberstein wegen dessen Verhaftung in Israel am 14. August 2017 aufgekündigt hat.

Der Betrieb der umstrittenen Webseiten und ähnliche Aktivitäten seien im offiziellen Vertrag definitiv nicht angeführt, betont Matznetter im STANDARD-Gespräch, der Auftrag an Silberstein habe lediglich auf Meinungsforschung via Fokusgruppen und Strategiearbeit gelautet. Kern hat versprochen, den Vertrag offenzulegen. Das soll aber erst dann geschehen, wenn wirklich alle Unterlagen vorliegen: Schließlich käme es peinlich rüber, wenn Matznetter einen Vertrag präsentiert, einen Tag später dann aber womöglich ein zweiter auftaucht, von dem er nichts gewusst hat.

Der Türkei-Kurs von Kurz sollte mit diesem Sujet als unglaubwürdig dargestellt werden.

Frage: Wer hat die Unterlagen zum Dirty Campaigning an Medien gespielt?

Antwort: Auch das weiß man bis jetzt nicht. Es gibt vorerst nur Gerüchte und Theorien, die vor allem in der SPÖ aufgestellt werden. Als möglichen "Maulwurf" betrachtet die SPÖ eine Frau, die als Dolmetscherin für Silberstein gearbeitet hat. Sie soll der Partei gedroht haben, belastendes Material zu "verkaufen", sollte sie nach der Kündigung des Silberstein-Vertrags nicht über den Wahltag hinaus beschäftigt werden.

Für den STANDARD war auch sie über mehrere Tage hinweg nicht erreichbar. Gestützt auf Social-Media-Aktivitäten sowie ein privates Naheverhältnis zu einem Familienmitglied eines hochrangigen ÖVP-Politikers vermuten SPÖler jedenfalls eine Nähe zu den Schwarzen.

Dokumentiert ist auf Facebook und Twitter eine Wanderung am Rande des Forums Alpbach mit einem früheren ÖVP-Ministeriumssprecher. Dieser bestätigt auf Anfrage zwar, die Frau zu kennen, beteuert aber, seit dem Sommer keinen Kontakt mehr gehabt zu haben. Auch ein zweiter Ex-ÖVP-Sprecher wird als möglicher Info-Empfänger gehandelt. Beweise dafür, dass die ehemalige Silberstein-Mitarbeiterin zur ÖVP übergelaufen ist, gibt es allerdings nicht.

Frage: Gibt es weitere Verdächtige?

Antwort: Ja. Immer wieder fällt der Name einer ehemaligen Pressemitarbeiterin der Neos Wien. Sie soll gemeinsam mit Peter Puller die Seiten befüllt haben, war aber auf STANDARD-Anfrage nicht erreichbar. Laut "Falter" war auch ein früherer Mitarbeiter von Exkanzler Alfred Gusenbauer Teil des Teams. Dieser hatte in einem zuvor geleakten Papier ein schonungloses Psychogramm über Kern erstellt ("ist eine Prinzessin und ungemein eitel").

Die ÖVP berichtet zudem, Puller habe in den vergangenen Wochen mehrere Kabinettsmitarbeiter von ÖVP-geführten Ministerien getroffen. Der Verdacht der Schwarzen: Ihr einstiger Kollege habe sie "aushorchen" wollen.

Und schließlich gibt es sogar einige in der SPÖ, die nicht ausschließen wollen, dass frühere Mitarbeiter von Kern-Vorgänger Werner Faymann ein doppeltes Spiel gespielt haben könnten. Mehr als eine Verschwörungstheorie ist das derzeit aber nicht.

Sebastian Kurz wurde "an der kurzen Leine" von Exkanzler Wolfgang Schüssel dargestellt.

Frage: Wie groß war das Silberstein-Team für das Dirty Campaigning?

Antwort: Diese Frage sorgte in der ATV-Elefantenrunde für eine hitzige Debatte zwischen Kern und Kurz. Der Außenminister hatte zunächst gemeint, das Silberstein-Team habe aus rund zwölf Mitarbeitern bestanden, worauf Kern die Frage stellte, woher Kurz dieses "beachtliche Insiderwissen" habe. Kurz berief sich auf Gespräche mit Journalisten.

Am Montag wollte sich das Kurz-Büro dazu nicht mehr äußern. Ganz dürfte die Auskunft aber auch nicht stimmen, in Medienberichten ist von einem halben Dutzend Mitarbeitern die Rede, nach STANDARD-Informationen hat die Zahl der Mitarbeiter auch geschwankt – je nachdem, welches Know-how (Video, Grafiker et cetera) gerade benötigt wurde. Kurz fordert jedenfalls eine Entschuldigung der SPÖ und bezeichnet es als "absurd", dass er Insiderwissen habe.

Auf diesem Sujet machte man sich über Kern und Kurz lustig.

Frage: Apropos Insider: Laut Kern und dem zurückgetretenen SPÖ-Bundesgeschäftsführer Georg Niedermühlbichler gab es einen Mitarbeiter in der Parteizentrale, der von den Silberstein-Aktivitäten nach Ende des offiziellen Vertrags gewusst haben soll. Was weiß man darüber?

Antwort: Leider auch nicht viel. Es gibt die Aussagen der SPÖ-Spitzen, der betreffende Mitarbeiter war bisher nicht erreichbar. Es gibt allerdings viele in der SPÖ, die diese Variante bezweifeln, zumal der Mitarbeiter, der derzeit im Krankenstand ist, kein Freund der Silberstein-Methoden gewesen sein soll.

Frage: Wie schaut eigentlich die rechtliche Situation aus? Muss die Causa vor Gericht geklärt werden?

Antwort: Da bei den Seiten "Die Wahrheit über Sebastian Kurz", "Die Wahrheit über Christian Kern" und "Wir für Sebastian Kurz" auf Facebook nicht offengelegt wurde, wer sie bespielt hat, wurde die Transparenzpflicht verletzt. Diese ist im österreichischen Mediengesetz verankert und gilt auch für Facebook-Seiten. Sobald (Falsch-)Nachrichten verbreitet werden, gilt auch eine Facebook-Seite als Medium, erklärt die Medienjournalistin Ingrid Brodnig in ihrem Blog. Als Hostprovider, also als Gastgeber der Seite, ist Facebook laut dem E-Commerce-Gesetz verpflichtet. Namen und Adresse eines Nutzers mitzuteilen, wenn diese Info "eine wesentliche Voraussetzung für die Rechtsverfolgung bildet". In der Folge könnte dann Anzeige bei der Bezirksverwaltungsbehörde erhoben werden, was die SPÖ am Montag ankündigte.

Frage: Drohen den Verantwortlichen der Seite auch strafrechtliche Konsequenzen?

Antwort: Das ist nicht eindeutig zu beantworten, hier müssten alle Beiträge, die über die Seiten verbreitet wurden, analysiert werden. Der Straftatbestand der üblen Nachrede etwa kommt dann zur Anwendung, wenn jemandem unehrenhaftes Verhalten vorgeworfen wird. Aber auch die Verbreitung falscher Nachrichten vor einer Wahl ist strafrechtlich relevant, jedoch nur dann, wenn die "Äußerung nicht mehr wirksam vor der Wahl widerlegt werden kann". Zwei Wochen vor der Wahl gilt das wohl nicht. (go, jo, koli, mte, stui, nw, fsc, 2.10.2017)