Graz – In der Causa eines steirischen Arztes, der am Freitagabend im Straflandesgericht Graz – nicht rechtskräftig – vom Vorwurf des jahrelangen Quälens seiner Kinder freigesprochen worden ist, soll es am Montag einen Entscheid über die weitere Vorgangsweise geben. Dies sagte Staatsanwalt Christian Kroschl gegenüber der APA. Indes gab es vom Verein Autonome Österreichische Frauenhäuser Kritik am Urteil.

Der Arzt ist am Freitagabend im Grazer Straflandesgericht – für viele Beobachter überraschend – vom Vorwurf des jahrelangen Quälens seiner vier Kinder freigesprochen worden. Ihm war u.a. vorgeworfen worden, sich selbst vor den Augen der Kinder verletzt zu haben und sie dann gezwungen zu haben, ihm zu helfen. Richter Andreas Rom führte in seiner Urteilsbegründung u.a. aus: "Es ist zwar in der Familie viel passiert, aber aus den Akten und den heutigen Aussagen findet man keinen Anhaltspunkt, dass die Handlungen mit derartiger Intensität begangen wurden, dass es strafbar ist."

Der Staatsanwalt hatte Freitagabend keine Erklärung abgegeben, wodurch das Urteil nicht rechtskräftig ist. Am Montag werde es nach Ablauf der dreitägigen Frist Klarheit über die weitere Vorgangsweise geben, ob Rechtsmittel in Form einer Berufung eingelegt würden, sagte ein Sprecher der Staatsanwaltschaft.

ORF-Beitrag: In Graz wurde am Freitag der Prozess gegen einen Arzt fortgesetzt, der jahrelang seine vier Kinder gequält und bedroht haben soll.
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Kind Beruhigungsmittel gespritzt

Die Einvernahmen der Kinder und der Exfrau hatten am Freitag mehr als sechs Stunden gedauert. Wie schon im Jänner schilderten die heute zwischen 18 und 28 Jahre alten Töchter und Söhne jahrelangen Psychoterror und Übergriffe. Mit Selbstmorddrohungen habe der Vater sie ständig unter Druck gesetzt und sich wiederholt selbst verletzt.

Unter anderem soll sich der Vater einen Schraubenzieher in den Bauch gestochen und von einer Tochter verlangt haben, dass sie ihn herausziehe. Eine weitere Tochter soll er tablettenabhängig gemacht haben, indem er ihr Beruhigungsmittel spritzte. Alle Kinder waren jahrelang in psychotherapeutischer Behandlung. Die Mutter antwortete auf die Frage, warum sie den Kindern nicht geholfen habe: "Ich habe erst nach der Scheidung erfahren, wie es ihnen gegangen ist."

Die Verhandlung am Freitag war die Fortsetzung eines im Jänner unterbrochenen Gerichtsverfahrens. In der Zwischenzeit hatte der von Staatsanwalt Christian Kroschl bestellte psychiatrische Gutachter Manfred Walzl wegen – wie der Kurier berichtete – angeblicher Interventionsversuche seine Befangenheit erklärt. Eine nunmehrige Expertise der Psychiaterin Adelheid Kastner bescheinigt dem Arzt Zurechnungsfähigkeit.

Parlamentarische Anfrage

SPÖ-Justizsprecher Hannes Jarolim hat in Zusammenhang mit dem Kastner-Gutachten eine parlamentarische Anfrage an den Justizminister gestellt. Aussagen der Kinder und anderer Zeugen seien nicht ausreichend gewürdigt, Beweise nicht vorgelegt worden. Der Freispruch sei ein "Skandalurteil", sagte er am Freitag dem Standard.

"Erschüttert" zeigte sich der Verein Autonome Österreichische Frauenhäuser (VAÖF) über das Urteil in einer Aussendung am Samstag. Der Mann soll seine Frau bei jedem Trennungsversuch mit Selbstmorddrohungen unter Druck gesetzt haben, wurde argumentiert. Die Züchtigung von Frauen und Kindern sei in Österreich seit der Familienrechtsreform 1978 verboten, Nötigung und gefährliche Drohungen strafbare Handlungen. Vom Staatsanwalt und der Opferanwältin sei detailliert und nachvollziehbar aufgezeigt worden, dass der Mann das Leben seiner Kinder und Frau zerstört habe. Daher sei die Aussage des Richters "unbegreiflich und unfassbar und nicht akzeptabel".

"Schritt in die juristische Steinzeit"

Das Urteil sei laut VAÖF "ein Schritt in die juristische Steinzeit" und ein Beispiel dafür, dass Justiz und Staatsbedienstete Gewalt an Frauen und Kindern nach wie vor ignorierten und verharmlosten, nach 20 Jahren Gewaltschutzgesetze und Ratifizierung der Istanbulkonvention. Bei letzterer handelt es sich um ein Übereinkommen des Europarats zur Vermeidung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen sowie gegen häusliche Gewalt. Sie ist seit August 2014 in Kraft.

Seitens des VAÖF forderte man "Opferschutz statt Täterschutz und daher einmal mehr verpflichtende Fortbildung und klare Richtlinien bei Gewalt in der Familie" für alle Richter und Justizbeamten sowie ein einjähriges Praktikum im Opferschutzbereich für alle angehenden Richter und Staatsbedienstete. (APA, bri, 29.9.2017)