Wer verliert, ist bald nach dem Wahltag wohl Geschichte: Kanzlerkandidaten Kurz (ÖVP) und Kern (SPÖ).

Foto: APA/HERBERT NEUBAUER

Sieht sich im Zweikampf mit Kurz um den ersten Platz: FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache.

Foto: APA / Georg Hochmuth

Bild nicht mehr verfügbar.

Wollen nichts mit dem Fallbeileffekt zu tun haben: Pilz, Lunacek und Strolz mit den Kanzlerkandidaten Strache, Kurz und Kern.

Michael Gruber / EXPA / picturedesk

Wien – Übermäßige Bescheidenheit kann man dem Boss der Neos in diesen Tagen keineswegs nachsagen: Bei jeder Gelegenheit erklärt Matthias Strolz, dass er für die Vizekanzlerei "bereit" sei – und dazu würde er als Minister gern das Bildungsressort übernehmen.

Trotz Abgangs ihrer langjährigen Chefin samt Parteiabspaltung tragen auch die Grünen ein übersteigertes Selbstbewusstsein zur Schau. Immer wieder betonen Ulrike Lunacek, Ingrid Felipe & Co, dass sie wieder "zweistellig" werden wollen – und dass das Land dann endlich ein eigenes Umweltministerium verpasst bekommen soll. Ganz ähnlich klingen die Abtrünnigen rund um Peter Pilz, der es nun mit eigener Liste von null gleich über die Zehn-Prozent-Marke schaffen will.

Nahezu wortident hören sich übrigens auch die Weißen, bisher unter jeder Wahrnehmungsschwelle, an, von denen man bis dato vor allem weiß, dass sie von ehemaligen Stronachianern unterstützt werden. Geht's noch großspuriger – wo doch die meisten Umfragen sogar den Neos, den Grünen sowie der Liste Pilz bescheinigen, dass sie am 15. Oktober mitunter um den Einzug ins Parlament bangen müssen? Durchaus.

Türkiser Sonnenkönig

ÖVP-Chef Sebastian Kurz, bis dato zwar mit 30 Prozent plus dezidierter Umfragekaiser, denkt für die Zeit nach der Wahl schon über eine türkise Minderheitsregierung mit wechselnden Mehrheiten nach – eine abenteuerliche Variante, wo er den anderen Parteien doch einiges für deren Duldung anbieten müsste. Zur Erinnerung: In der Geschichte der Republik hat dieses Kunststück bisher bloß der rote Sonnenkönig Bruno Kreisky, damals allerdings mit satten 48 Prozent ausgestattet, geschafft, indem er den Freiheitlichen ein minderheitenfreundliches Wahlrecht zusagte.

Kanzler Christian Kern, laut Meinungsforschern gegenüber Kurz schon weit abgeschlagen, drohte bereits mit dem Gang in die Opposition, sollte die SPÖ diesmal bloß Zweiter werden – doch hinter den Kulissen muss man längst zittern, dass es nicht Platz drei wird. Die FPÖ von Heinz-Christian Strache wiederum, von den Demoskopen derzeit als Dritter gehandelt, hat längst den Zweikampf mit Kurz um den ersten Platz ausgerufen.

So selbstüberzeugt, wie sich die Kontrahenten aktuell gerieren, müssten in Summe anstatt hundert "bis zu 130 Prozent" zu vergeben sein, bestätigt Politikwissenschafter Peter Filzmaier. Doch treibt tatsächlich reine Hybris die Spitzenkandidaten an?

Zwischen Sieg und Fallbeileffekt

Fest steht, dass solche taktischen Grundsatzentscheidungen, in den USA "expectations games" genannt, für die Spitzenkandidaten auch ein hohes Risiko bergen. Die erste Lehrmeinung dazu besagt, dass die Hochstapelei im Wahlkampf einen derartigen Hype erzeugen kann, dass möglichst viele Wähler quasi als "Mitläufer" ihr Kreuz beim vermeintlichen Sieger machen wollen, erklärt der Experte. Doch spätestens am Wahlabend besteht arger Rechtfertigungsbedarf, sollte er doch einige Prozentpunkte unter den Erwartungen bleiben.

These Nummer zwei besagt außerdem das genaue Gegenteil – nämlich dass es mit dem absehbaren Verlierer durchaus zu einem "Solidarisierungseffekt" kommen kann. Bestes Beispiel dafür: Vom Bawag-Skandal geschüttelt und längst als Loser abgestempelt, konnte die SPÖ so im Jahr 2006 mit SPÖ-Spitzenkandidat Alfred Gusenbauer doch noch den ersten Platz erringen.

Was die Parteien aber am allermeisten fürchten, ist der sogenannte Fallbeileffekt, der nicht nur bei den Wählern, sondern auch bei ihren Funktionären für eine völlige Demobilisierung sorgt – nämlich dann, wenn die Lage ohnehin schon als hoffnungslos erscheint. Vor diesem Phänomen wollen sich derzeit vor allem die kleineren Parteien hüten – und das ist auch der Grund dafür, warum sie aktuell "absichtlich hoch greifen", wie Filzmaier erklärt.

Ihre Horrorvision, die auch historisch belegt ist: Bei der Nationalratswahl 1999 scheiterte das Liberale Forum genau wegen dieser Stimmung an der Vier-Prozent-Hürde – und war seither nicht mehr im österreichischen Parlament vertreten. Und genau deswegen stellen Strolz, Lunacek und Pilz das Wahlvolk derzeit auch nicht vor die realistischerweise naheliegende Entscheidung: "Wollt ihr uns jetzt im Nationalrat haben – oder nicht?" Sondern haschen lieber nach dem Vizekanzleramt und diversen Ministerien. (Nina Weißensteiner, 30.9.2017)