Wien/Straßburg – Österreich ist eines der ersten Länder, die der vom Europarat installierte Monitoring-Mechanismus Grevio (Group of Experts on Action against Violence against Women and Domestic Violence) hinsichtlich des Umgangs mit Gewalt an Frauen und häuslicher Gewalt geprüft hat. Das Ergebnis des Berichts wurde am Mittwoch veröffentlicht und ortete in mehreren Bereichen Verbesserungsbedarf.

Ende November des vergangenen Jahres führte ihr erster Kontrollbesuch die Grevio-Expertengruppe für fünf Tage nach Österreich. Sie befragte neben den zuständigen Ministerien, Vertretern aus Justiz und Kinderschutz auch Einrichtungen der Zivilgesellschaft sowie Experten aus Opferschutzeinrichtungen zur Umsetzung der Konvention. Im Juli des heurigen Jahres erhielt die Regierung den Zwischenbericht und die Möglichkeit, diesen zu kommentieren.

Vorreiter bei Betretungsverbot

Grundsätzlich bescheinigte Grevio Österreich eine "starke Führungsrolle" beim Schutz vor häuslicher Gewalt. Vor 20 Jahren war Österreich das erste Land in Europa, das per Gesetz Personen – in erster Linie Frauen und Kinder – mittels Betretungsverbot (Wegweisung) vor Gewalt im familiären Umfeld schützte. Dieses System der Wegweisung sei heute überaus anerkannt und werde im Allgemeinen als erfolgreich angesehen, erklärten die Experten.

Weitere Gesetzesänderungen, insbesondere im Strafrecht, hätten zu einem umfassenden Katalog von Straftatbeständen geführt und weitreichende juristische und psychosoziale Prozessbegleitung für Opfer von Gewalt- und Sexualstraftaten ermöglicht, hieß es im Bericht weiter. Als positiv gewertet wurden auch die Berichterstattungspflichten für Personal im Gesundheitswesen, die den Opfern das Anzeigen von Gewalterfahrungen erleichtern und sie besser unterstützen sollen.

Verbesserungen nötig

Verbesserungen seien laut Monitoring im Bereich spezialisierter Einrichtungen für von bestimmten Gewaltformen betroffene Frauen nötig, etwa für Opfer von Vergewaltigung oder spezifische Zielgruppen wie Migrantinnen oder Frauen mit Behinderungen. Alle neun Bundesländer müssten laut den Experten etwa mit Beratungsstellen für Opfer von sexueller Gewalt und Vergewaltigung ausgestattet sein.

Viel zu gering ist laut Grevio derzeit auch die Unterstützung für Opfer von weiblicher Genitalverstümmelung oder Zwangsehe. Asylsuchenden Frauen muss es ermöglicht werden, in ihren Verfahren unabhängig von ihrer Familie über geschlechtsspezifische Gewalt zu berichten. Um eine entsprechende Sensibilität für das Thema zu erreichen, müssten etwa Sachbearbeiter und Übersetzer speziell geschult werden.

Schutz von Kindern verbesserungswürdig

Weiters müsse der Schutz von Kindern verstärkt werden, die Zeugen von Gewalt an einem Elternteil geworden sind. Die Expertengruppe kritisierte, dass die psychosoziale Unterstützung für diese Kinder in den Beratungsstellen, die sich an Erwachsene wenden, nicht finanziert werde und daher nicht ausreichend gegeben sei. Weiters seien die Maßnahmen bei der Ermittlung und der strafrechtlichen Verfolgung der Gewaltdelikte unzureichend.

Bei Stalking oder häuslicher Gewalt kämen häufig diversionelle Maßnahmen zum Einsatz, etwa Tatausgleich oder Anti-Gewalt-Training – anstelle von strafrechtlicher Verurteilung, nicht zusätzlich. Die Folge seien niedrige Verurteilungsraten, ein Großteil der Verfahren werde eingestellt.

Um schwere Gewalttaten zu vermeiden, sei es nötig, den Schutz von Frauen vor Wiederholungstätern zu verstärken, hieß es seitens des Europarates weiter. Der Report bezog sich als Beispiel dazu auf den Fall einer Frau in Österreich, die im vergangenen Jahr von ihrem Mann erstochen wurde – obwohl mehrmals Wegweisungen gegen ihn ausgesprochen worden waren.

Bessere Datenlage zu Gewaltdelikten nötig

Dringend nötig ist laut Grevio, die Datenlage zu Gewaltdelikten an Frauen zu verbessern, die in Österreich zu wünschen übrig lasse. Informationen müssten in standardisierter Weise gesammelt, bewahrt und aufgearbeitet werden, damit sie von verschiedenen Institutionen herangezogen und verglichen werden können.

Eine gesicherte, längerfristige bzw. nachhaltige Betreuung scheitere bei allen Arten der Gewalt gegen Frauen häufig an fehlender bzw. regelmäßiger Finanzierung. Österreich solle sich zudem nach außen hin deutlicher zum Gewaltschutz bekennen, und zwar nicht nur symbolisch, sondern auch finanziell.

Derzeit beträgt das Budget des zuständigen Ministeriums für Gesundheit und Frauen für die Bekämpfung von häuslicher Gewalt und Gewalt gegen Frauen aufgewendete Budget fünf Millionen Euro. Der größte Teil davon werde für die Beratungsstellen aufgewendet – für Präventionsarbeit, Datenerhebung oder Forschung sei daher kaum Geld vorhanden.

Aufstockung der finanziellen Mittel gefordert

Um eine längerfristige Bekämpfung von Gewalt an Frauen und häuslicher Gewalt zu ermöglichen, brauche es dringend eine Aufstockung der finanziellen Mittel. "Besorgniserregend" sei für Grevio die Tatsache, dass es keine zusätzlichen Geldmittel gibt, obwohl das Ministerium die Rolle der Koordinierungsstelle für die Umsetzung der Maßnahmen der Istanbul-Konvention übernehmen soll.

"Die Höhe der zur Verfügung gestellten finanziellen Ressourcen gibt Aufschlüsse darüber, wie viel Bedeutung einem politischen Themenfeld zugestanden wird. Die Tatsache, dass wichtige Aufgaben wie die Koordinierungsstelle und die Umsetzung des Nationalen Aktionsplans gegen Gewalt gegen Frauen ohne eigene finanzielle Mittel umgesetzt werden sollen, lässt darauf schließen, dass hier die notwendige politische Unterstützung fehlt", kritisierte Grevio.

Einhaltung der Forderungen wird geprüft

Das Expertengremium prüft die Einhaltung der in der 2014 in Kraft getretenen Istanbul-Konvention festgelegten Forderungen des Europarats zur Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen. Die Expertinnen und Experten von Grevio führen das Monitoring in Form von Evaluationsrunden durch.

Basierend auf einem Fragebogen erstatten die Mitgliedstaaten Bericht über die von ihnen getroffenen Maßnahmen zur Umsetzung der im Übereinkommen festgelegten Forderungen. Grevio kann dabei zusätzlich auch Informationen von NGOs, der Zivilgesellschaft sowie nationalen Menschenrechtsorganisationen miteinbeziehen. Der verabschiedete Bericht wird dem betroffenen Land sowie dem Ausschuss der Vertragsparteien übergeben, und sowohl der Bericht als auch die Stellungnahme des betroffenen Landes dazu werden veröffentlicht. (APA, red, 27.9.2017)