Bild nicht mehr verfügbar.

Demonstranten vor dem katalanischen Wirtschaftsministerium werfen Spaniens Zentralregierung antidemokratisches Vorgehen vor.

Foto: Reuters / Albert Gea

Bild nicht mehr verfügbar.

Foto: Reuters / Albert Gea

Spanien setzt im Vorfeld der Volksabstimmung über die Unabhängigkeit Kataloniens, die die Regionalregierung am 1. Oktober abhalten will, fundamentale demokratische Grundrechte außer Kraft. Am Mittwoch drang die militarisierte Polizei Guardia Civil in mehrere Ministerien der katalanischen Autonomieregierung "Generalitat" ein und beschlagnahmte Unterlagen. Mindestens zwölf hochrangige Regierungsvertreter wurden verhaftet. Sie alle sollen an der Organisation der vom Verfassungsgericht suspendierten Abstimmung gearbeitet haben.

Damit nicht genug. Mehrere Tausend Polizisten und Mitarbeiter der Guardia Civil wurden zusätzlich in Katalonien stationiert. Die Staatsanwaltschaft in Madrid weist die Autonomiepolizei sowie Gemeindepolizisten direkt an, über den Kopf des katalanischen Innenministers hinweg. Gegen mehr als 700 Bürgermeister, die das Referendum unterstützen, sowie gegen die Mitglieder der Autonomieregierung und mehrere Parlamentarier wird wegen Delikten ermittelt, deren Verurteilung mit Haftstrafen enden kann. Druckereien und Redaktionen wurden durchsucht, weit mehr als eine Million Plakate und Flugblätter beschlagnahmt, die Adressen derer aufgenommen, die Infomaterial verteilen oder Plakate kleben.

Debatten verboten

Selbst im restlichen Spanien werden Veranstaltungen mit dem Thema Katalonien verboten. Allein die Debatte wird damit kriminalisiert. Und all das, weil die Verfassung ein Unabhängigkeitsreferendum nicht vorsieht. Ein Dialog, der wie in Schottland in einer gemeinsam organisierten Abstimmung enden könnte, findet nicht statt.

Was in Katalonien vor sich geht, verdient nur einen Namen: schleichender Ausnahmezustand. Egal wie man letztendlich zur Unabhängigkeitsbewegung stehen mag, das, was da geschieht, hat nichts mit der vom spanischen Ministerpräsidenten, dem Konservativen Mariano Rajoy, proklamierten Verteidigung der Verfassung und ihrer demokratischen Freiheiten zu tun. Die Politik Rajoys und seines konservativen Partido Popular (PP) ähnelt vielmehr einem Konzept von Spanien, wie es bereits die Diktatur unter General Franco hatte. Dass er dabei auch von den Sozialisten unterstützt wird, ist mehr als traurig.

Ungarn darf nicht, Spanien schon

Es ist nicht das erste Mal, dass die Regierung die Bürgerrechte beschneidet. Bereits vor zwei Jahren wurde das Strafrecht geändert. Mit dem sogenannten Knebelgesetz werden Aufruf und Teilnahme an spontanen Demonstrationen und die Verbreitung von Fotos von Polizeibeamten beim Einsatz mit Bußgeldern zwischen 100 und 600.000 Euro geahndet. Ein Anti-Jihadisten-Gesetz sollte dazu dienen, die sozialen Netzwerke auf mutmaßliche "Verherrlichung des Terrorismus" zu durchsuchen. Jene, die das Gesetz bisher trifft, sind aber vor allem Linke, die schwarzen Humor über den von der baskischen ETA 1973 ermordeten Nachfolger von Diktator Franco, Carrero Blanco, verbreitet haben.

Und bei alledem schaut die Europäische Union weg. Beim Streit über das Referendum in Katalonien handle es sich um einen innerspanischen Konflikt, lautet die Begründung. Es stellt sich die Frage: Mit welchem Recht mischt sich Brüssel in Polen und in Ungarn ein, wenn es in einem Kernland wie Spanien all dies einfach durchgehen lässt? Bürger- und Menschenrechte sind universal gültig und dürfen nicht konjunkturellen politischen Interessen untergeordnet werden. (Reiner Wandler, 20.9.2017)