ÖVP-Chef Sebastian Kurz hat es abgelehnt, in den letzten Monaten der rot-schwarzen Koalition das Vizekanzleramt zu übernehmen. Mit der Regierung will er möglichst wenig zu tun haben.

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Wien – In den vergangenen Wochen sind einige angebliche Strategiepapiere aus dem Umfeld von Sebastian Kurz aufgetaucht. Sie sollen belegen, dass der Chef der sogenannten "neuen Volkspartei" die Machtübernahme schon lange geplant hat. Zuerst legte FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache im Interview mit oe24.TV ein Papier vor, das Strategien für die "Politik neu mit Sebastian Kurz" und das "Projekt Ballhausplatz" enthält.

Noch etwas ausführlicher zitierte zuletzt die "Krone" aus einer mit 21. Juli 2016 datierten Unterlage über die "strategische Grundlage und Positionierung" einer neuen ÖVP-Bewegung. Viele Dinge, die darin vorkommen, erinnern sehr stark an die Politik von Sebastian Kurz.

Einige Beispiele:

  • Es ist die Rede von "Systemverdrossenheit", die thematisiert werden müsse. Inbegriff für "das System" sei die rot-schwarze Regierung – Kurz war nach dem Mitterlehner-Rücktritt tatsächlich bemüht, ja nicht den Eindruck zu erwecken, er habe mit dieser Regierung etwas zu tun.

  • Es heißt, man müsse hervorstreichen, dass die Koalition "für die großen Fragen keine Lösungen" habe – genau das wurde vom 31-Jährigen seit der Neuwahlankündigung immer wieder kritisiert.

  • Nachzulesen ist auch, ein Wahlkampf müsse klar auf die Person Kurz zugeschnitten sein – von den schwarzen Ministern hört man de facto nichts mehr.

  • Und schließlich ist auch Teil des Papieres, Kurz brauche Quereinsteiger von außerhalb der Partei sowie junge Leute für seine Bewegung – genau die hat er über den ganzen Sommer angeworben und präsentiert.

Nicht aus dem Kurz-Büro

Die ÖVP ließ danach ausrichten, die Papiere würden nicht aus dem Büro Kurz stammen. Wenn das stimmt, dann hatte jemand vor mehr als einem Jahr beinahe prophetische Fähigkeiten.

Im Grunde ist es aber auch egal, ob das Papier aus dem engsten Beraterkreis stammt, von Leuten aus seinem weiteren Umfeld oder von selbsternannten Helfern. Wer die Innenpolitik im letzten Jahr etwas intensiver verfolgt hat, konnte ohnehin beobachten, wie sich der Außenminister ganz gezielt in Stellung brachte.

Intensive Kontakte zur Wirtschaft

Er baute intensive Kontakte zu Wirtschaftstreibenden auf und beackerte damit ein Feld, das eigentlich zum Kerngeschäft des damaligen ÖVP-Chefs und Wirtschaftsministers Reinhold Mitterlehner gehörte. In der Regierung erschwerte er durch beinharte Verhandlungsstrategie Kompromisse mit der SPÖ, die Mitterlehner so dringend benötigte.

Wie DER STANDARD in einem zuletzt erschienen Porträt über Justizminister Wolfgang Brandstetter berichtete, war Kurz auch eine der treibenden Kräfte, die zu Jahresbeginn das von Kanzler Christian Kern und Mitterlehner überarbeitete Regierungsprogramm zu Fall bringen wollten – damals noch vergeblich.

Bessere Chancen

Es ist also nicht überraschend, dass sich Kurz seit Langem auf die ÖVP-Obmannschaft vorbereitet hat. Alles andere wäre auch fahrlässig gewesen. Alle Granden in der ÖVP wussten: Mit dem Außenminister hat die ÖVP zehn mal mehr Chancen, die Wahl zu gewinnen als mit Mitterlehner.

Glaubt man den Umfragen, dann kann er dieses Ziel am 15. Oktober auch erreichen. Und dann wird dem ÖVP-Chef niemand mehr böse sein, dass er für die Vorgeschichte zum Machtwechsel nicht mit dem Loyalitätspreis 2017 ausgezeichnet wird. Außer vielleicht Reinhold Mitterlehner. (Günther Oswald, 17.9.2017)