Angela Merkel blickt ihrer vierten Amtszeit entgegen.

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Die Linke antwortet der AfD.

Bewahrheiten sich die Umfragen, bleibt Angela Merkel deutsche Bundeskanzlerin. Ihr Herausforderer, SPD-Kandidat Martin Schulz, liegt deutlich dahinter auf Platz zwei. Spannend dürfte es am Sonntag demnach nur beim Rennen von Linken, FDP, Grünen und AfD um Platz drei werden.

Warum Schulz nicht der falsche Kandidat der SPD ist, die AfD nicht wegen ihres Rentenkonzepts gewählt wird, die Grünen mit ihrer Themensetzung wenig punkten können und Merkel wiedergewählt werden wird, erklärt STANDARD-Korrespondentin Birgit Baumann. Ausgewählt hat die Fragen aus den STANDARD-Foren rund um die Berichterstattung zur Deutschland-Wahl Judith Handlbauer.

Judith Handlbauer: In den STANDARD-Foren bringen viele User Kanzlerin Angela Merkel nicht gerade Sympathie entgegen, sind aber davon überzeugt, dass sie Platz eins schaffen wird. Das zeigen auch die Umfrageergebnisse. Hat sich die SPD für den falschen Spitzenkandidaten entschieden?

Birgit Baumann: Es liegt nicht an Martin Schulz alleine. Im Gegenteil: Es war nicht unklug, jemanden gegen Angela Merkel antreten zu lassen, der nicht in die Kabinettsdisziplin eingebunden ist, sondern von "außen", also Brüssel, kommt. So einer kann Merkel besser angreifen als jemand, der mit ihr am Kabinettstisch sitzt beziehungsweise saß. Es ist eher eine ungünstige Konstellation für die SPD. Merkel ist beliebt, viele Deutschen fühlen sich von ihr gut regiert, es läuft alles einigermaßen. Die Lust, auf ein neues Pferd zu setzen, hält sich daher in Grenzen – zumal Schulz ja nicht für eine völlig andere Politik steht.

Handlbauer: In der Flüchtlings- und Migrationsfrage punktet die AfD vielfach, allerdings nur bei diesem Thema. Ist die AfD keine Bedrohung, weil sie ausschließlich darauf setzt?

Baumann: Niemand geht davon aus, dass die AfD nicht in den Bundestag kommt. Untersuchungen zeigen, dass diese Partei in ihren Reihen die meisten Protestwähler von allen hat. Das bedeutet: Sie wird nicht wegen eines klugen Rentenkonzepts (sie hat übrigens gar keines) oder ihrer Überlegungen zur Steuerpolitik gewählt, sondern wegen ihrer oppositionellen Haltung in der Asylpolitik. Das reicht ihr auch. Die Frage ist natürlich, ob sich die AfD auf Dauer halten wird können, wenn das Thema wieder in den Hintergrund rückt.

Handlbauer: Ein User fasst die Parteiprogramme von AfD, FDP, Grünen und Linken sehr knapp zusammen. Wie werden diese Parteien in Deutschland wahrgenommen?

Baumann: Das kann man so zugespitzt sehen, muss man aber nicht. Wenn man es – umgekehrt – positiv für die Parteien formuliert, könnte die Beschreibung so lauten:
AfD: die einzige Partei, die in der Asylpolitik scharf gegen Merkels Kurs steht (Stichwort Grenzen schließen).
FDP: Hilfe zur Selbsthilfe und Eigenverantwortung, Eintreten für Datenschutz.
Grüne: das Öko-Gewissen in Berlin.
Linke: die Vertreter der kleinen Leute, die darauf hinweisen, dass es auch im reichen Deutschland viele Arme gibt.

Handlbauer: Warum haben die Grünen in Deutschland nicht mehr Potenzial?

Baumann: Das Spitzenduo der Grünen, Katrin Göring-Eckardt und Cem Özdemir, wirkt ziemlich etabliert. Die beiden sind lange im Politbetrieb, gehören also irgendwie zum Establishment. Offenbar sind grüne Themen den Menschen gerade nicht so wichtig. Die Grünen wollen die 20 schmutzigsten Kohlekraftwerke in Deutschland schnell abschaffen und ab 2030 nur noch emissionsfreie Autos auf den Straßen sehen. Das geht vielen zu weit, sie fragen sich, wie das finanziert werden soll, und haben Sorge, dass Strom und Mobilität zu teuer werden.

Handlbauer: Setzen die Grünen auf die falschen Themen? Oder wird dem Thema Flüchtlinge und Migration von jeder Partei wenig Raum gegeben?

Baumann: Die Themen sind nicht falsch, aber die Grünen kommen damit nicht durch, zumal jede Partei davon spricht, etwas gegen Klimawandel tun zu wollen – außer der AfD. Aber die wird ja auch nicht wegen ihrer Umweltpolitik gewählt. Beim Flüchtlingsthema war es eine Zeitlang eher ruhig – nachdem die Zahl der Neuankommenden gesunken war und CDU und CSU einen Burgfrieden geschlossen hatten, um den Wahlerfolg nicht zu gefährden. Doch die AfD hat das Thema und alles, was ihrer Meinung nach dazugehört ("drohende Islamisierung"), wieder in den Wahlkampf gebracht.

Handlbauer: Wie sinnvoll ist es, im Wahlkampf mit Versprechen über EU-Verhandlungen punkten zu wollen, wie Schulz es getan hat?

Baumann: Schulz wollte offenbar mal einen richtigen Punkt setzen, was ihm vordergründig auch gelungen ist. Die meisten Deutschen sind vom türkischen Präsidenten Erdoğan absolut genervt. Allerdings dürfte so etwas nicht wahlentscheidend sein. Und ob Schulz bedacht hat, dass der Großteil der in Deutschland lebenden Türken eigentlich SPD wählt und durch seine Aussage vor den Kopf gestoßen sein könnte, ist nicht ganz klar. Grundsätzlich aber waren EU-Themen in diesem Wahlkampf nicht sehr stark präsent.

Handlbauer: Was bedeutet eine starke AfD für den Bundestag und eine große Koalition?

Baumann: Zunächst ist eine Partei wie die AfD ein Novum im deutschen Bundestag. Man muss erst sehen, wie sie sich entwickelt. Manche wollen dort Frontalopposition machen, anderen auf längere Sicht durchaus regierungsfähig werden. Klar ist: Mit der AfD wird zunächst niemand zusammenarbeiten, sie wird isoliert sein. Falls es zu einer neuen großen Koalition kommt, ist zu erwarten, dass die AfD sich halten kann oder sogar zulegt. Das wird in Berlin schon bedacht. Vor der Wahl hält man sich noch bedeckt, aber die Option einer Jamaika-Koalition liegt durchaus am Tisch, zumal eine geschwächte SPD vielleicht nicht mehr mitregieren will.

Handlbauer: Wie steht Deutschland tatsächlich da, und welches Versagen kann man Merkel vorwerfen?

Baumann: Die Bilanz ist zweischneidig, und Schulz bringt es so auf den Punkt: Insgesamt ist Deutschland wohlhabend, aber es gibt viele Menschen, die es nicht sind. Natürlich hat es Merkel nicht geschafft, alle mitzunehmen. Aber das gelingt in keinem Land, es gibt immer Opposition. All die erwähnten Punkte (Altersarmut, hohe Mieten) sind Fakt. Aber umgekehrt gibt es eben viele Menschen, denen es gutgeht, und die daher wieder Merkel wählen wollen.

Handlbauer: Es geht um den dritten Platz. Tendieren unentschlossene Wählerinnen und Wähler eher zur FDP? Wie war die Situation 1961?

Baumann: Die Wahl 1961 fand am 17. September statt, kurz nach dem Bau der Berliner Mauer (13. August). Dem damals regierenden Bundeskanzler Konrad Adenauer (CDU) wurde angelastet, sich nicht entschieden genug gegen den Mauerbau geäußert zu haben. Das nützte der FDP, die sich als "Partei der Freiheitsrechte" sieht. Man kann die Situation aber nicht mit der heutigen vergleichen, es sind neue Parteien (Linke, Grüne, AfD) dazugekommen. SPD-Herausforderer Schulz sagt, er setze bis zum Schluss auf die Unentschlossenen. Aber diese werden nicht alle SPD wählen. (Birgit Baumann, Judith Handlbauer, 21.9.2017)