Jean-Claude Juncker vor den Abgeordneten des EU-Parlaments am Dienstag.

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Im Herbst 2016, genau zwischen dem Referendum in Großbritannien zum Austritt aus der EU (Brexit) und der Wahl des Protektionisten Donald Trump zum US-Präsidenten, sah es schlecht aus für die Europäische Union. Jean-Claude Juncker kommt im vollen Plenum des Europäischen Parlaments am Mittwoch gleich zu Beginn seiner Rede zur Lage der Union darauf zu sprechen: "Der Zustand war nicht gut".

Die Europäer waren nicht nur in Fragen der Freihandelsverträge mit Kanada (Ceta) und den USA tief zerstritten. In mehreren EU-Staaten schienen rechtspopulistische EU-Skeptiker unaufhaltsam auf dem Vormarsch – in Österreich ebenso wie in den Niederlanden und in Frankreich.

Dementsprechend dunkel, pessimistisch hatte der Kommissionspräsident damals seine Diagnose von völlig uneinigen Regierungschefs ("so noch nie erlebt") vorgetragen. Das alles sei wie Schnee von gestern, munterte Juncker die EU-Abgeordneten auf, "wir haben wieder Wind in den Segeln".

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Zum ersten Mal seit fünf Jahren gebe es in allen Mitgliedsländern wieder Wirtschaftswachstum, 2,2 Prozent in der Eurozone, mehr als im EU-Schnitt. "Wir haben die USA überholt", fährt er fort. Acht Millionen neue Arbeitsplätze seien geschaffen worden. 235 Millionen EU-Bürger hätten einen Job – so viele wie noch nie. So reiht er ein positives Element nach dem anderen ein, um zum eigentlichen Ziel seiner Ansprache, der Vorlage seiner persönlichen Reformvision, zu kommen: "Die Union hat wieder zur Einheit gefunden. Die Zeit ist gekommen, ein geeintes demokratisches Europa anzudenken."

"Noch 16 Monate Zeit"

Laut Juncker "bleiben uns dafür (nur) noch 16 Monate". Denn bis Ende 2018 solle nicht nur der Brexit ausverhandelt sein, und die Briten würden am 29. März austreten. "Ein trauriger und tragischer Moment, das werden die Briten selber noch merken." Gleich anschließend im Mai wird es Europawahlen geben, also ein neues EU-Parlament, und dann eine neue EU-Kommission. Geht es nach Juncker, dann soll bis dahin ein ganzer Werkzeugkasten an Reformideen zu einer runderneuerten Union zusammengesetzt werden. Er schlug konkret vor, dass die Staats- und Regierungschefs unter rumänischem EU-Vorsitz am 30. März 2019 in Sibiu/Hermannstadt einen Sondergipfel abhalten, um die "EU-27 neu" auf den Weg zu bringen.

Was stellt der Präsident selber sich vor? Stärker als bisher sprach er sich gegen das Europa der zwei Geschwindigkeiten oder eine Trennung von Kerneuropa um den Euro und dem Rest aus. Es könne auch nur ein Parlament für alle Mitgliedstaaten geben, wie das in Straßburg, sagte er unter großem Applaus.

Euro als einheitliche Währung

Dem EU-Vertrag folgend, sollten alle Staaten – mit Ausnahme von Großbritannien und Dänemark – der Währungsunion beitreten. Um das zu erleichtern, will die Kommission eine Art "Vorbeitrittshilfe" vorschlagen. Der Kommissionspräsident sprach sich auch für die rasche Aufnahme Bulgariens und Rumäniens in den Schengen-Raum aus.

Damit die Union effizienter arbeite, sollte man auch die Ämter des Ständigen Ratspräsidenten und des Kommissionschefs zusammenlegen, wobei er sich für die Beibehaltung des Spitzenkandidatensystems ausspreche. In ähnlicher Weise sollte man das Amt des Währungskommissars mit dem des Eurogruppenchefs zusammenlegen. Er sei auch dafür, dass ein solcher gemeinsamer Finanzminister alle Möglichkeiten haben sollte, die Fiskalpolitik der Eurozone zusammenzuführen, inklusive eines Budgets, wie Frankreich das will.

Ein besonderes Anliegen ist Juncker die Stärkung der gemeinsamen Außenhandelspolitik, so wie man im Bereich der Außenpolitik zu Mehrheitsentscheidungen kommen solle. Mit Australien und Neuseeland strebt er Handelsabkommen an. (Thomas Mayer aus Straßburg, 13.9.2017)