ÖVP-Chef Sebastian Kurz stellte den zweiten Teil seines Programms vor. Unterstützt wurde er von der ehemaligen Skirennläuferin Alexandra Meissnitzer.

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Salzburg – Die ÖVP hat Mittwochvormittag den zweiten Teil ihres Wahlprogramms präsentiert, die Schwerpunkte: Bürokratie abbauen, ein "inklusives Bildungssystem", der Ausbau von Forschung und Digitalisierung und ein "verantwortungsvoller Umgang" mit Umwelt und Energie. Um eine möglichst permanente Medienpräsenz zu sichern, wird der dritte und vorerst letzte Teil dann kommende Woche vorgestellt.

Der Ort für die Präsentation unter dem Titel "Aufbruch und Wohlstand" sollte jedenfalls Wirtschaftsnähe signalisieren: Man verlegte die Pressekonferenz in eine Lagerhalle eines Holzhändlers im Tennengauer Kuchl. Immerhin seien 99 Prozent der österreichischen Betriebe Klein- und Mittelbetriebe, sagt ÖVP-Chef Sebastian Kurz.

Die Erfüllung der Schulpflicht will die ÖVP an Mindeststandards knüpfen und eine "Bildungspflicht" in der achten Schulstufe – also nach der Neuen Mittelschule oder der Unterstufe – einführen. Die Erfüllung der bereits bestehenden Bildungsstandards – ergänzt um weitere Tests – soll zur Pflicht werden. Diese Prüfung soll "ähnlich der Matura" sein, heißt es im Programm. Am Ende der achten Schulstufe steht ein "Chancenpass", der eine Kombination aus einer Prüfung der Bildungsstandards, einer Projektarbeit, einer verbalen Beurteilung der Stärken, Schwächen und besonderen Talente der Schüler durch die Lehrer und einem standardisierten Berufsorientierungstest sein soll.

Die Schulpflicht gilt demnach erst dann als absolviert, wenn die Kinder "sinnerfassend lesen können und die Grundrechnungsarten beherrschen" – oder das 18. Lebensjahr vollendet ist. All jene, die diese Prüfung nicht bestehen, sollen in eigenen Förderklassen die Grundkompetenzen gelehrt bekommen. Eigentlich von SPÖ und ÖVP bereits jetzt umgesetzt ist die "Ausbildungspflicht bis 18" – Jugendliche müssen also bis zu diesem Alter in Beschäftigung oder Ausbildung sein. Derzeit seien in Österreich 75.000 Jugendlich ohne Ausbildung, aber auch ohne Job, argumentiert der ÖVP-Obmann.

Deutsch vor Schuleintritt

Im Programm vorgesehen sind auch eigene Klassen für Schüler, die nicht ausreichend Deutsch sprechen – eine langjährige Forderung von Kurz. Kinder, deren Deutsch für den Unterricht nicht ausreicht, sollen automatisch in separaten Deutschförderklassen unterrichtet werden. Das Alter soll hier keine Rolle spielen. Erst wenn die Kinder auf einem bestimmten Deutschniveau sind, sollen sie in den Regelschulbetrieb kommen.

Derzeit besuchen solche Schüler als außerordentliche Schüler den regulären Unterricht, werden aber nicht bewertet. In Wien gibt es jedoch schon jetzt sogenannte "Neu in Wien-Klassen" für Flüchtlingskinder.

Einführen will die ÖVP auch einen verpflichtenden Ethikunterricht und ab der fünften Schulstufe das Pflichtfach "Staatskunde".

Bei den Kinderbetreuungseinrichtungen will sich die Volkspartei an den "Bedürfnissen der Eltern" orientieren. Die Sprachkenntnisse sollen für die Einschulung elementar sein. Im Wahlprogramm heißt es: "Dazu braucht es verpflichtend ein zweites Kindergartenjahr für jene, deren Deutschkenntnisse noch nicht ausreichend sind, und wo notwendig Deutschklassen, bevor die Kinder in den Regelschulbetrieb einsteigen können."

Erhöhen will die Volkspartei die Durchlässigkeit ins Schulsystems. So sollen Lehrer in Sabbaticals und Praktika im Wirtschaftsbereich Erfahrung sammeln können, umgekehrt soll es Menschen aus der Wirtschaft ermöglicht werden, für begrenzte Zeit an Schulen zu unterrichten. Zur Förderung benachteiligter Kinder soll es ein Mentorenprogramm geben und ein Sommerschulprogramm eingeführt werden. "Wenn der Spracherwerb nicht vorangeht", sollen Nachmittags- und Sommerkurse zur Pflicht werden.

Gymnasium muss bleiben

Im Programm festgeschrieben ist der "Erhalt des differenzierten Schulsystems und des Erfolgmodells Gymnasium".

Im Bereich der Hochschulen fordert die Volkspartei "flächendeckende Zugangsregeln", "moderate Studienbeiträge in Kombination mit einem Stipendiensystem" und einen Ausbau des Fachhochschulsektors. Wie hoch die Studiengebühren sein sollen, steht nicht im Programm. Das Wort "Studiengebühren" nahm Kurz bei seiner Programmpräsentation erst nach explizitem Nachfragen in den Mund.

Wie die Eingangsprüfungen zur Reduktion der Zahl der Studierenden ausgestaltet werden sollen, blieb am Mittwoch offen; das solle den einzelnen Unis obliegen, sagt Kurz. Bis 2025 will die Volkspartei jedenfalls gleich mehrere Unis unter die Top 100 der Welt bringen. Die Forschungsquote in Österreich müsse auf 3,76 Prozent des BIP angehoben werden.

Geringerer Beitrag zur Arbeitslosenversicherung

Betriebsansiedlungen will die ÖVP durch "steuerliche Anreize" und den "Abbau von bürokratischen Hürden" ermöglichen. Was damit gemeint ist, wird im Programm nicht näher ausgeführt. Kurz verlangt auch, die Betriebsgründungen zu beschleunigen: In Neuseeland sei die Gründung einer Firma in einem Nachmittag erledigt, in Österreich benötige man im Schnitt 21 Tage.

Teilweise ist das Programm hier auch widersprüchlich: Einerseits wird Rechtssicherheit für Unternehmen gefordert, Gesetze sollen sich nicht mehr so oft ändern. Zugleich spricht das Programm aber davon, dass das Steuergesetz komplett neu geschrieben werden soll, auch im Arbeitnehmerschutz soll es eine Reihe gesetzlicher Änderungen geben.

Niedrigere Einkommen sollen durch eine Reduktion der Arbeitslosenversicherung entlastet werden, heißt es im Programm: Bis 1.648 Euro soll kein Beitrag mehr eingehoben werden – derzeit liegt die Grenze bei 1.342 Euro. Erst ab 1.948 Euro soll der derzeit geltende Satz von drei Prozent eingehoben werden – derzeit beginnt man ab 1.648 Euro drei Prozent zu zahlen.

Das Arbeitsmarktservice (AMS) soll stärker mit Unternehmen zusammenarbeiten, so sollen Arbeitssuchende künftig verstärkt auf einen konkreten Job hingeschult werden. Was den Arbeitnehmerschutz betrifft, drückt das Programm seine Skepsis aus: Dieser sei oft "nicht mehr zeitgemäß" und "Quelle sehr vieler Einschränkungen für Unternehmen". EInige Vorschriften sollen wegfallen, wenn es nach der ÖVP geht. Zudem soll das Arbeitsinspektorat verstärkt mit dem Wirtschaftsministerium zusammenarbeiten.

GmbH ohne Mindest-Stammkapital

Erleichtern will die Volkspartei die Gründung einer GmbH, das soll in Zukunft auch ohne Einlage von Stammkapital möglich sein. Die Mindest-Körperschaftssteuer soll wegfallen.

Um den Börsegang von Klein- und Mittelbetrieben zu fördern, soll die Obergrenze für reduzierte Informationspflichten angehoben werden, die Kosten für den Börsegang sollen reduziert werden. Auch hier werden keine Details genannt.

Generell will Kurz, dessen Partei seit 1986 in der Regierung ist, den "Bürokratieabbau endlich umsetzen". So soll es Gesetze mit Ablaufdatum geben ("Sunset Clause") und eine neue Regulierung erst dann verabschiedet werden, wenn eine alte abgeschafft wurde ("one in, one out"). Kurz kritisiert einen "Investitionsstau" in Österreich, der durch diese neue Regelungen gelöst werden könne.

Auch für Großprojekte soll es Erleichterungen geben und die Einspruchmöglichkeiten für Bürgerinitiativen sollen beschränkt werden. Konkret nennt Kurz die dritte Piste am Flughafen Schwechat als Beispiel, wo das Verfahren bereits 17 Jahre dauere. Er will, dass in Hinkunft während laufender Verfahren keine neuen Argumente mehr eingebracht werden können.

Abgeschafft werden sollen auch "unnötige Informations-, Melde- und Aushangpflichten" für Unternehmen, so soll statt Pflichtveröffentlichungen im Amtsblatt der "Wiener Zeitung" eine Veröffentlichung auf einer neuen Online-Plattform genügen.

Kreuz im öffentlichen Raum

Im Umweltbereich bekennt sich die Volkspartei zur Umsetzung des Pariser Klimaabkommens und den EU-Zielen zur Reduktion von CO2-Emissionen. Gleichzeitig will man die Wettbewerbsfähigkeit von energieintensiven Betrieben sicherstellen. Einführen will die ÖVP auch ein "Österreich-Ticket", mit dem alle öffentlichen Verkehrsmittel genützt werden können. Wie viel das kosten soll, steht nicht im Programm.

Im Bereich Religion fordert die ÖVP einen "jährlichen Religionsgipfel" und die Beibehaltung des Kreuzes im öffentlichen Raum sowie der christlichen Feiertage. Das Kultusamt soll zur Religionsbehörde ausgebaut werden. Schüler, die keinen Religionsunterricht besuchen, sollen einen Ehtikunterricht bekommen. Auf jeden Fall müsse verhindert werden, dass der Religionsunterricht in irgendeinen HInterhof "ohne Kontrolle" verschwinde, sagt Kurz.

Auftritt Meissnitzer

Als neues Testimonial für die Kurz-Wahlkampagne ist bei der Programmpräsentation am Mittwoch die ehemalige Profi-Skirennläuferin Alexandra Meissnitzer aufgetreten. Sie referierte über die Bedeutung sportlicher Betätigung ohne dabei ins Detail des ÖVP-Programmes einzugehen. Auch betonten Meissnitzer wie Kurz, dass die ehemalige Ski-Weltmeisterin kein Teil der Wahlbewegung von Kurz sei und auch nicht der Partei angehöre. Sie untersütze aber "den Sebastian", weil sie ihn sehr schätze, sagte Meissnitzer. (seb, koli, sterk, neu 13.9.2017)