Sutivan ist gespalten.

Foto: Bogumil Balkansky
Foto: Bogumil Balkansky

Sutivan ist gespalten! Es geht um die touristische Zukunft und um die Identität Sutivans höchstselbst: Masse oder Klasse?

Kurz kann man diese Geschichte auch erzählen: Diplomhotelier Helena Ramsbacher, früher Bundes- und Nationalrätin, krempelt den Tourismus in einem Fischerdorf um – und manchen taugt's. Anderen nicht so sehr. Eh üblich. Eine längere Fassung braucht jedoch die satt bekannte Metapher von der Fassade. Und der Rede von dem, was dahinter ist.

Worum es mir geht – und worum nicht

Ich wollte nur der Chronist von Sutivan sein. Ein neutraler Beobachter, der diesem geliebten Fischerdorf eine Stimme geben kann, mit der es zu den Generationen sprechen wird, die noch kommen. Was durchaus unbescheiden ist. Weil ich mich damit in eine Reihe mit viel größeren Vorgängern stelle. Darunter ist ein Bischof Cedulin, der über die Verhältnisse in Sutivan aus dem fernen Barock zu uns spricht. Da ist Jerolim Kavanjin, von dem ich noch hier berichte. Und da sind auch Dasen Vrsalović und Radovan Vidović, dessen wunderbares Büchlein "Sutivan" (zuletzt 1984 gedruckt) mir die Recherche zu diesem Text so unendlich erleichtert hat.

Doch nun ist die Zeit da, Partei zu ergreifen. Auch für den unbescheidenen, neutral bleiben wollenden Chronisten. Ich will nicht, dass Sutivan zu Ende vergewaltigt wird, zu Ende geschändet, bis nur noch ein Nebel aus ranzigem Ćevapčići-Öl die Schande gnädig zudeckt.

Wenn es nach Frau Helena Ramsbacher geht, soll genau das niemals geschehen. Deswegen stelle ich mich auf ihre Seite und die Seite der besseren Idee, der besseren Zukunft für Sutivan und des besseren Tourismus, den sie in mein Fischerdorf bringen will! Und deswegen werde ich in diesem Text kein einziges Mal den Namen ihres Hotels nennen.

Von Menschen und Steinen

Am Beginn dieses Textes sage ich, dass die Metapher von der Fassade und dem, was dahinter ist, bemüht werden muss. Der Investor hinter dem Projekt, dem Sutivan die Rettung der Häuser Ilić und des ehemaligen Hotels Vesna vor dem Verfall, eine Umfahrungsstraße, einen Gemeindeparkplatz und die verkehrsberuhigte Zone in halb Sutivan verdankt, ist Hans Peter Haselsteiner. Er ist ein Mensch, der noch genau weiß, wie es ist, kein reicher Mann zu sein. Seine guten Taten für Ute Bock, obdachlose Menschen und Künstler am Rande des Nervenzusammenbruchs sind bekannt. H. P. H. ist ein Philanthrop. Punkt.

Das andere Hausgesicht in dieser Geschichte ist hingegen aus echtem Stein: der sogenannte Komplex der Häuser Ilić im kleinen Fischerhafen Sutivan auf der Insel Brač. Die dritte Fassade samt ihrem Innenleben zu guter Letzt ist wenig greifbar. Weil sie ein zäher Nebel ist, den zwanzig Generationen Wein- und Olivenbauern, Fischer, Seefahrer, Schafhirten und Landarbeiter erschaffen, die auf einer kargen Insel leben, von der ihr großer Sohn, der Dichter Vladimir Nazor, sagt: "Brač, Insel aus Stein, Insel ohne Wasser. Du lehrtest mich gehen, du lehrtest mich dürsten ..."

Der venezianische Soldat

Nun will ich von der Geschichte der Häuser Ilić berichten.

Als das Jahr 1505 geschrieben wird, ist noch die Formulierung "im Jahre der Errettung" vor der römischen Jahreszahl üblich. So wie der Gebrauch der lateinischen Sprache, um Wichtiges in Stein zu meißeln. Daran hält sich auch Jakov Natalis aus Split. Für seine Verdienste im Kampf gegen die Osmanen erhält er von der Republik Venedig Land und Privilegien in der Bucht von Sutivan, wo er ein Haus baut. Die Kunde darüber lässt er in Stein meißeln und an der Fassade anbringen, wo sie heute noch zu lesen ist.*

Doch Jakovs Haus ist gleichzeitig eine kleine Festung, ein Kaštel, wie man hier sagt. Es ist direkt am Strand gebaut und hat Fundamente aus Holzbohlen, die bis zum Muttergestein reichen. Wie die Häuser in Venedig. Jakov baut sein Haus als Festung, weil zu seiner Zeit die Türken nie weit weg sind und einige der Piratenfamilien aus dem nahen Omiš auf dem Festland ihr altes Gewerbe weiterbetreiben, obwohl Venedig die größeren Piratennester schon Jahrzehnte davor gründlich ausräuchert.

An dieser Stelle ist eine Abschweifung angebracht.

Der venezianische Soldat und seine Familie sind nicht die Ersten, die in dieser Bucht siedeln. Unweit von Sutivan leben vor ihm paläolithische Jäger und Sammler. Später dann in der Bucht von Sutivan Illyrer, Römer und am Ende die Slawen. Doch das ist dem Jakov Natalis und seiner Familie unbekannt. Und wahrscheinlich egal. Von Venedig geadelt und mit Land und Haus ausgestattet, begründet die Familie Natalis einen Stammbaum geschickter Seefahrer und Händler. Ihre Nachkommen leben noch heute in Sutivan, nur dass sie jetzt Nadali oder Božičević heißen.

Und das Kaštel am Strand wächst und gedeiht wie ein Feigenbaum, dem im Frühling sorgsam und satt Wasser gegeben wird. Bald ist es keine Wohnfestung mehr, sondern ein Heim für Generationen.

Die Händler von Sutivan

Ihren Namen bekommen die heutigen Häuser Ilić von einer adligen Familie, die von den Erben des Jakov Natalis den Häuserkomplex übernimmt, ihn zur Zentrale eines florierenden Handelsunternehmens macht und den Häusern ihr heutiges Aussehen gibt. Unter den Zubauten ist auch ein verzauberter Garten, der sich in das windgeschützte Tal hinter der Bucht erstreckt. Als ich ein Kind bin, luge ich oft über die Mauer zum Garten, der zu dieser Zeit ein Gewusel aus mediterranem Wildwuchs ist und nur noch von den Katzen von Sutivan zum Gebären ihrer Jungen aufgesucht wird. Trotzdem kann ich mit der Fantasie der Kinderaugen die einstige Noblesse und Schönheit eines venezianischen Gartens mehr spüren, als die kargen Reste zwischen Oleandersträuchern sehen lassen.

Doch auch die Familie Ilić kann das Kommen neuer Zeiten nicht verhindern. Die sozialistische Utopie vergisst auf das große, schöne, verzauberte Haus am Strand von Sutivan. Die neuen Herren des Landes lassen ungerührt den Zahn der Zeit heftig zubeißen. Viele Jahre lang gehen die meisten Bewohner und Besucher von Sutivan achtlos an der Fassade vorbei und wollen nichts vom Moder dahinter wissen, hören, sehen oder gar riechen. Und selbst als die Utopie der Arbeiterklasse zu Ende geht und wieder neue Herren des Landes kommen, wird es nicht besser. Sondern schlimmer.

Bis eines Tages Helene Ramsbacher kommt. Und macht, dass eines Morgens die Sonne von Sutivan die Häuser Ilić in ihrem alten Glanz, ihrer verdienten Würde und der Grazie, die ihnen zusteht, vorfindet. Im Jahre der Errettung 2016.

Vision im Nebel

In diesem Sommer vor einem Jahr eröffnen Frau Ramsbacher und ihre Crew aus Piraten der Spitzengastronomie und des gediegen-langsamen Urlaubens ein Hotel im Komplex der Häuser Ilić und revitalisieren das alte Hotel Vesna. Was die beste Idee ist, die jemand nach Sutivan bringt – ever!

Ungesagt soll aber nicht bleiben, dass auch vor dem Gespann H. P. H. und Ramsbacher gute Menschen gute Ideen nach Sutivan bringen: Einst bringt ein Tscheche den Strom, ein anderer Landsmann ein Heil- und Ferienheim für rachitische Kinder. Eine Mädchenschule, eine Bücherei und einen Kulturverein errichten gebildete Stivanjani aus eigenem Antrieb, als es im Rest Europas kaum solche Einrichtungen gibt. Und der Naturphilosoph und Dichter Jerolim Kavanjin-Capogrosso aus Split hat hier die Idee zum weltweit längsten Barockgedicht unseres Planeten. Diese Leistung ist jedoch dreihundert Jahre her.

Doch Ramsbacher ist das Jetzt von Sutivan: Sie gibt den jungen Gastronomen von Sutivan Jobs, die ihre künftigen Bewerbungen enorm aufwerten. Sie arbeiten neben und mit einem der besten jungen Haubenchefs Kroatiens und dem ersten afrikanischen Zuckerbäcker in der Geschichte der Insel und wahrscheinlich Dalmatiens. Und sie arbeiten neben und mit dem Sohn von Frau Ramsbacher, der kein verzogener Schnösel ist, sondern den ganzen Sommer in der Bäckerei arbeitet und wie alle anderen nur einen Tag in der Woche frei hat. Und nicht zuletzt arbeitet im verzauberten Garten auch mein Freund Klinton als Gärtner – und ist glücklich!

Nebel über dem Meer

Die Trübung, also jenen Nebel des Eigensinns, dessen Beschreibung nun an der Reihe ist, findet man wohl in jedem Fischerdorf auf jeder Insel eines jeden Meridians. Und im Grunde ist es eine einfache und verständliche Geschichte: Manche hier denken, mehr Touristen bedeuten mehr Geld.

Sagt man diesen aber, dass mehr Touristen gleichzeitig weniger Wald, weniger Strand, weniger Schönheit und weniger Ruhe bedeuten, dann geben sie zur Antwort: "Das ist doch nur Pinienwald, die Pinie ist ein Unkraut! Weniger Strand? Wir schütten neuen auf! Schönheit? Schau dir das Meer an: Ist es etwa nicht schön? Und die Ruhe! Den ganzen Winter ist hier Ruhe, mehr als du vertragen kannst!"

Das, so meine ich, ist die Rede, die jene führen, die schon drei Jahrhunderte davor die Anwesenheit und die Ideen des Jerolim Kavanjin in Sutivan als Belästigung und Besserwisserei empfinden. Der Dichter jedoch schreibt nie über sie. Statt sie beim Namen zu nennen, sagt Kavanjin in seinem Gedicht "Bogatstvo i uboštvo" über diese Leute nur, es seien jene, "die pfurzen und pfürzeln, die stinken und stänkern".

So kann am Ende dieser Story auch Ramsbacher nicht verhindern, dass in Sutivan ein Pinienwald gerodet wird und eine 300-Betten-Burg entsteht, direkt vor dem Strand, an dem ich einst das Schwimmen erlerne und der wohl mit Kieselsteinen "vermehrt" werden wird. Die Gemeinde freut sich über die Grundsteuer und alle anderen Einkünfte, die mit dieser Art Tourismus erzielt werden.

Arbeit werden hier wohl Menschen aus Slawonien, Bosnien und Serbien finden. Und vielleicht der eine oder andere Hilfskoch aus Sutivan, der den ganzen Tag die Ćevapčići und die Pommes für die Touris warm zu halten hat. Und die Fliegen fern.

Sutivan! Echt jetzt! Gute Ideen sehen anders aus!

BOGUMIL BALKANSKY IM JAHRE DER ERRETTUNG 2017. (Bogumil Balkansky, 14.9.2017)