A. L. Kennedy – die schottische Schriftstellerin kam zu den "Sprachsalz"-Literaturtagen nach Hall in Tirol.

Foto: Yves Noir Photographie

Das Beste also zum Schluss. Zum Schluss des gestrigen Samstags. Aber die britische Autorin A. L. Kennedy mit einem Erdbeertiramisu zu vergleichen, das am Ende des dreigängigen Galamenüs des großen Sprachsalz-Abends den zahlreichen Gästen serviert wurde, die da an den langen Tafeln in der Lobby des Parkhotels Hall Platz genommen hatten, wäre irgendwie unpassend. Obwohl: "Serious Sweet" heißt ihr neuer Roman, der erst im nächsten Jahr bei Hanser auf Deutsch erscheinen wird, aus dem sie aber trotzdem vorgelesen hat. Und was diese wichtige und so zeitgemäße, schottische Autorin hier liefert, ist nicht nur große Schreib-, sondern auch große Vorlese- und Performance-Kunst.

Aber liebes Literatur-Publikum, es dauert noch, obwohl Kennedy mit ihrer Kapitänsmütze auf dem Kopf schon direkt neben der aufgebauten Bühne mit den Mikrofonen sitzt. Noch ein bisschen Geduld: Erst einmal gibt es Reden. Dann liest die Norwegerin Vigdis Hjorth aus "Bergljots Familie" (ihre Lesung auf Norwegisch ist eine wahrhaft theaterreife Lesung). Dann liest der Amerikaner Josh Weil aus seiner amerikanischen Novelle "Herdentiere" (Dumont), und man wundert sich keine Sekunde mehr, warum der große Erzähler Richard Ford sein Mentor und Förderer ist. Und dann liest noch die Österreicherin Petra Piuk, die mit ihrem neuen, gleichermaßen bitterbösen wie tieftraurigen Buch "Moni und Toni oder: Anleitung zum Heimatroman" (Kremayr und Scheriau) nach Hall gekommen ist.

Große Unterhaltung. Genau!

Es folgen noch einmal 40 Minuten Dessertpause (tatsächlich serious sweet!) bis um 22 Uhr 15 A. L. Kennedy – nein, man braucht die preisgekrönte Britin tatsächlich nicht vorzustellen – auf die Bühne kommt. Und direkt einsteigt auf Seite 427 ihres dicken neuen Schmökers "Serious Sweet". Sie kann die Zahl tatsächlich und sehr charmant auf Deutsch sagen und erklärt kurz, dass es im Buch natürlich um Liebe geht, aber bis dahin, nämlich bis zu Seite 427 auch noch nicht wirklich viel passiert sei. Große Unterhaltung. "Genau!", das sagt sie auch gerne und auf Deutsch. Der Standup Comedian-Profi A. L. Kennedy hat beim Kapitäns-Dinner auf dem Literaturtage-Schiff das Publikum bestens im Griff. Es lacht Tränen, auch wenn Themen wie die Liebe oder Brexit oder Boris Johnson gar nicht zum Lachen sind. Und dann liest sie!

Schön, dass man hier ist – und zuhören kann. Genau! Dieses Gefühl macht sich bei diesem A.-L.-Kennedy-Abend sehr stark breit, begleitet einen aber schon den ganzen dichten Literaturtage-Tag hindurch und das hängt sicher mit der Programmierung (Heinz D. Heisl, Magdalena Kauz, Urs Heinz Aerni und Ulrike Wörner) dieses mittlerweile etablierten Tiroler Festivals zusammen, das Jahr für Jahr eine erstaunliche Bandbreite literarischen Schaffens in Hall präsentiert.

Wenn etwa am Nachmittag der Schweizer Journalist und Autor Sacha Batthyany, der zur Zeit als Korrespondent in Washington lebt und über die Tatsache, dass seine Großtante jene Margit Batthyany-Thyssen war, die knapp vor Kriegsende im österreichischen Rechnitz am Massaker an 180 jüdischen Zwangsarbeitern maßgeblich beteiligt war, ein eindringliches Buch geschrieben hat und der deutsche Schriftsteller Guntram Versper, in dessen großem, stark autobiografischen Opus Magnum "Frohburg" es viel um Familien- und Kriegsgeschichten geht, miteinander diskutieren, wie es so ist, wenn Geschichten, die man schreibt, das eigene Leben ausmachen. Die ewige Frage, wie Autorinnen und Autoren zu ihren Stoffen kommen, wie sich Schreibprozesse gestalten, wie die "alten Geschichten" Literatur werden und warum etwa jemand wie Batthyany für sechs Monate weg von seiner Familie in ein kleines Kellerzimmer zieht, um sein Buch "Was hat das mit mir zu tun" (Kiepenheuer) zu schreiben, das interessiert das Publikum auch im 15. Sprachsalz-Jahr.

London, ein komischer Platz

Die Schweizer lagen übrigens in diesem Jahr in Hall gegen die Österreicher stark in Führung, es stand 6:3. Neben Petra Piuk lasen noch der Wiener Martin Kolozs und Judith Pouget, eine leise Linzer Literaturstimme, die in "ortlos" Kurzprosa sehr lyrisch anlegt. Für die Schweiz waren neben Sacha Batthyany unter anderem zu Gast: Die junge Lyrikerin Svenja Herrmann, die ihre Gedichte aus "Die Ankunft der Bäume" beeindruckend rezitierte, der "Schweizermacher"-Longseller Rolf Lyssy oder H.P. "Düsi" Künzler, der nicht nur das schönste Bühnen-Outfit nach Hall brachte, ein maßgeschneidertes Hemd aus afrikanischem Stoff mit Michael-Jackson-Emblem auf der Rückseite, sondern auch die Geschichte, wie es zufällig dazu kam, dass ausgerechnet er die Biografie des King of Pop schreiben musste.

Die Haller Literaturtage gingen heute am Nachmittag mit Lesungen der Norwegerin Vigdis Hjorth, Sacha Batthyany, Rolf Lyssy, David Vann (neben Weil der zweite Amerikaner in Hall) und Martin von Arndt aus Deutschland zu Ende. Mit der Frage "Warum Berufsschriftstellerinnen nicht in die Politik sollten" setzt sich am Abend noch einmal die Autorin und Aktivistin A. L. Kennedy auseinander, die erst am Montag zurück auf die Insel fliegt. London sei, erzählt Kennedy, mittlerweile ein komischer Platz zum Leben geworden. Man könne das Wasser nicht trinken und die Luft kaum noch atmen und dubiose Russen betrieben dubiose Geschäfte. In Hall hingegen, in Österreich, hier am Europäischen Festland sei es sehr schön, sagt sie. Und davon wird sie auch allen erzählen, wenn sie zurück in Großbritannien ist: Wie schön es in Europa ist. (Mia Eidlhuber, 10.9.2017)