Sind diese Drillinge eigenständig oder Teil eines Kollektivs?

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Die Debatte über die Erbschaftssteuer, die in diesem Wahlkampf hochkocht, ist ein wunderbares Diskussionsthema für ein Seminar in angewandter Philosophie.

Auf der einen Seite würde jemand argumentieren, dass die Gesellschaft keine oder nur geringe Erbschaften zulassen soll, damit jeder Mensch die gleichen Ausgangschancen für Glück und Wohlstand hat. Eine sehr hohe, konfiskatorische Erbschaftssteuer ist ein radikal-liberales Modell, das in den USA etwa von Selfmade-Milliardären wie Warren Buffett vertreten wird.

Andere würden argumentieren, dass eine Erbschaft ein Einkommenszufluss wie jeder anderer ist und daher genauso wie Arbeitseinkommen besteuert werden sollte – also bei größeren Erbschaften mit rund 50 Prozent.

Das geht den Staat nichts an

Am anderen Extrem würde es heißen, dass Erbschaften gar nicht besteuert werden dürfen, weil es hier (meist) um einen Transfer von Vermögen innerhalb einer Familie handelt – und die Mittel ja bereits versteuert worden sind. Wenn der Eigentümer sein Vermögen jemanden anderem überlassen will, gehe das den Staat nichts an.

Dazwischen würde sich vielleicht eine leise Stimme melden, die all diese Positionen nachvollziehen kann – weshalb die Gesellschaft eine Kompromisslösung in Form einer sehr moderaten Erbschaftssteuer finden sollte.

Keine Erbschaftssteuer unter 500.000 Euro

Interessanterweise wird die eine Extremposition von der Mehrheit der österreichischen Parlamentsfraktionen – ÖVP, FPÖ und Neos – mit Vehemenz vertreten. Und selbst SPÖ und Grüne sind der Meinung, dass nur sehr große Erbschaften besteuert werden sollen – bei der SPÖ ab einer Million, bei den Grünen ab 500.000 Euro.

Kein einziger österreichischer Parlamentarier vertritt die Meinung, dass bei einer Erbschaft von 400.000 Euro – und das ist schon ein beträchtliches Vermögen – auch nur ein Euro an die Gemeinschaft fließen soll. Wer im Jahr hingegen 40.000 Euro verdient und dafür hart gearbeitet hat, muss rund 30 Prozent an Steuern und Abgaben abführen.

Die Familie ist der Kern

Diese Einstellung zum Erben beruht auf der Vorstellung, dass die Familieneinheit der Kern unserer Gesellschaft ist – und ein Vermögen Familien- und nicht Individualbesitz darstellt. Wer seinen Kindern (oder Enkeln oder Nichten und Neffen) etwas vererbt, verfügt einfach über sein Eigentum und hat jedes Recht dazu. Die Erben erhalten etwas, was ihnen eigentlich schon gehört hat, weil es ja im Familienbesitz ist. Bei Immobilien – vor allem dem Eigenheim– oder Familienunternehmen ist diese Meinung besonders stark ausgeprägt.

Paradoxerweise leben wir in einer sonst eher individualisierten Welt. Vor einem Jahrhundert war es noch normal, dass Eltern über den Ehepartner oder die Berufswahl der Kinder mitbestimmten. Heute wird dies in der westlichen Kultur kaum noch akzeptiert. Bloß beim Erben dominiert die Perspektive der Familie, nicht des Individuums.

Bevor sie tot sind, leben sie

Warum? Ich vermute, dass viele Erben sogar bereit wären, eine moderate Besteuerung des ihnen in den Schoß gefallenen Vermögens zu akzeptieren. Es sind die Erblasser, die das nicht wollen.

"Die sind dann tot", warf Armin Wolf im ZiB-2-Interview mit ÖVP-Chef Sebastian Kurz, einem vehementen Gegner der Erbschaftssteuer, ein. Ja, aber die Jahre davor leben sie, und der Gedanke, dass ihr Vermögen nicht vollständig an ihre Erben geht, ist für viele von ihnen unerträglich.

Ein emotionales Thema

Deshalb ist dieses Thema auch so emotional besetzt. Deshalb glauben ÖVP und FPÖ damit punkten zu können (die FPÖ plakatiert sogar: "Erbschaftssteuer ist unfair"), obwohl die Steuerfreiheit nur einer sehr kleinen Gruppe von Wohlhabenden etwas nutzt.

Hohe Erbschaftssteuern, die das Erben für manche zu einer Belastung werden lassen können, finden in unserer Gesellschaft kaum Unterstützung. Das muss man akzeptieren. Aber warum eine geringe Erbschaftssteuer von etwa zehn Prozent auf alle Verlassenschaften – kleine oder große Vermögen, Geld, Wertpapiere, Immobilien oder Unternehmensanteile –, wie sie zumindest in Deutschland Experten und manche Politiker vorschlagen, unfair oder wirtschaftlich schädlich sein sollten, hat noch kein Politiker überzeugend dargelegt. (Eric Frey, 10.9.2017)