Matt Berninger (Zweiter von rechts) und The National verhandeln auf dem Album "Sleep Well Beast" die Mühen des Ehelebens.


Foto: Graham MacIndoe

Wien – Rechtzeitig zum Schulbeginn die kalten, harten Fakten des Erwachsenenlebens. Rechne als Hausaufgabe: In Wien wird aktuell jede zweite Ehe plus 0,4 Prozent geschieden. Im Bundesdurchschnitt schaffen es immerhin 100 minus 42,1 Prozent der eingetragenen Paare so lange durchzuhalten, bis ein Partner die Patschen aufstellt. Kinder, jetzt seid ihr dran. Wie viel ergibt das in Prozent und im Gefälle von Wien zu den Bundesländern?

Ohne jetzt ins Detail zu gehen: Für eine glückliche Jugend ist es nie zu spät. Der Österreicher heiratet im Durchschnitt übrigens immer später. Vielleicht hat er als Kind daheim zu viel gesehen.

Sänger Matt Berninger und die Gebrüder Aaron und Bryce Dessner als bestimmende Kontrahenten des US-Quintetts The National könnte man seit fast zwei Jahrzehnten als so etwas Ähnliches wie die stromlinienförmigere, amerikanische Leichtbauweise des Modells Nick Cave & The Bad Seeds ansehen. Was ihnen im Gegensatz zum australischen Vorbild an potenziellem lyrischem Triebtätertum fehlt, gleichen sie seit nunmehr sieben Alben sowie einer an ironische Selbstdemontage grenzenden Kinodokumentation namens Mistaken for Strangers mit einem ganzen Rudel innerer Schweinehunde aus.

Das führte in der Vergangenheit zu manch schönem, gern mit Grabesstimme vorgetragenem Weltschmerz zu gehaltvollen Mollakkorden bei mittlerem Tempo. Matt Berninger setzt dabei seine Vortragskunst gewöhnlich mit so tief gelegtem, abgelebtem beziehungsweise lebensmüdem Bariton an, dass ihm beinahe die Stimme versagt. Beim Hörer zieht – mild mitleidend, das ist der gewünschte Effekt – zarte, wohl auch vom eigenen Empathiepotenzial ergriffene Gänsehaut auf.

Vorsicht, bei all diesen schweren und im Bereich des metaphorischen Raunens und Munkelns angesiedelten Texten könnte alles sehr schnell hin zum die Spannung lösenden Lachhaften kippen. Jede Verführungskunst setzt also beim geneigten Hörer ein erhebliches Maß an Bereitschaft voraus, willentlich über den Tisch ins Bett gezogen zu werden.

The National

Alten Songs, wie etwa dem mit Jesus-am-Kreuze-Pose und Rotweinbecher in der Hand vorgetragenen Klassiker Bloodbuzz Ohio, gelingt vor allem eines: Nachdem sich der Trauerzug mit sensibel gespielten Akkorden und immer auch ein bisschen Richtung katholische U2-igkeit und Bonoismus schwirrendem und flirrendem Gitarrengezirpe endlich auf die Stadionrockbühne eines Zweitligistenvereins gemüht hat, wird manchmal alles nicht unbedingt gut – aber besser wird es.

Waren wir vorher noch wegen Textzeilen wie "I never thought about love when I thought about home" traurig, so fühlen wir uns spätestens nach dem mit ausgebreiteten Armen vorgetragenen Weltüberwältigungsrefrain erleichtert, dass das Leben ja trotzdem irgendwie weitergeht. Dazu federt elegant eine nicht zu wuchtige Rhythmusgruppe. Mannomann, ist diese Band beliebt.

Dass sich im besungenen Zuhause aber auch der Eingang zur mit Schöner Wohnen gestalteten Hölle befinden kann, erfahren wir nun auf dem neuen Album Sleep Well Beast. Die Musik ist vielleicht etwas verspielter und gitarrensolohaltiger geworden, klingt aber nach 18 Bandjahren gewohnt supermelancholisch und morbid. Sie steckt mittlerweile natürlich in einem besseren Anzugstoff. Das alte Schwarzspeckige ist einem Frostgrau gewichen.

Ein Haufen Selbstmitleid

Textlich allerdings verhandeln Matt Berninger und seine nunmehr fix beschäftigte Koautorin und Gattin Carin Besser in programmatischen Songs wie Carin At The Liquor Store, Day I Die und I'll Still Destroy You nichts weniger als ihr Eheleben. Feste Hände? Kann nicht gutgehen: "I say your name, I say I'm sorry. I know it's not working. I'm no holiday. It's nobody's fault, no guilty party. We just got nothing, nothing left to say."

The National

Es wird jede Menge gesoffen, gekifft, geredet, zerredet, gewimmert, verlassen und gefleht. Das geht so stundenlang dahin. Man fühlt sich gefangen in einem dieser elenden französischen Quasselfilme aus den Programmkinos der Studentenzeit vor hundert Jahren. Am Ende rauft man sich doch wieder zusammen, säuft, kifft, redet und zerredet. Aber ein wenig hat man nach diesem Album doch den Respekt vor diesem übermächtigen Haufen Selbstmitleid verloren. "I'll destroy you someday, sleep well beast." Vielleicht sollte man sich doch einen guten Anwalt suchen. (Christian Schachinger, 6.9.2017)