Eines vorneweg: Ja, ich bin dann gewandert. Aber das, das hatte man mir schon vorher gesagt und das hörte und las ich auch danach immer wieder, ist eben Podersdorf: Der Neusiedler See ist das Gegenteil von tief. Wenn hier der Wind aus Nordwest weht, kommen die Wellen so rasch, dass das Kopfheben zum Orientieren beim Schwimmen fast sinnlos ist. Also steht man auf und schaut – und stellt staunend fest, dass dort, wo das Hauptfeld ist, dem man durch einen Start ganz hinten ganz außen ausweichen wollte, alle stehen. Und gehen. Wenn man sich dann – brav und willig – wieder ins Wasser wirft und versucht, gegen Wind und Wellen und blind durch das Schlammwasser zu kraulen, knallt man nach fünf Zügen auf den oder die, der oder die da vor einem gerade steht. Und geht. Wird von einer Gruppe Geher einfach zur Seite geschoben. Oder von den Wellen auf die nächsten Geher gedrückt: Irgendwann pfeift man dann drauf. Steht auf – und geht selbst.

Foto: Thomas Rottenberg

Ich gestehe also: Von den 1.900 Schwimmmetern meines allerersten Halbdistanztriathlons bin ich vermutlich knapp die Hälfte marschiert. Das Tempo entsprach etwa meinem normalen Schwimmtempo. Aber es war eben nicht Schwimmen – sondern ein "Swim-Hike".

Schon unterwegs, blödelten meine Mit-Wasser-Wanderer, dass das hier aussähe wie der Auszug der Israeliten aus Ägypten – aber eben in Neopren: Rund 1.200 Menschen waren um sieben Uhr morgens gestartet. Wenn ich mich umsah, sah ich nur vereinzelte Schwimmer. Aber natürlich waren es – danach, in den Erzählungen – ausschließlich die anderen, die nicht alles geschwommen waren, während man selbst … und so weiter. Der Veranstalter hat dazu auch etwas zu sagen. Aber dazu später.

Denn vermutlich sollte die Geschichte von meinem ersten "echten" Triathlon dort beginnen, wo solche Storys tatsächlich beginnen – und das ist lange vor dem Start.

Foto: Harald Fritz

Schuld sind mein Coach und der Geburtstag meiner Freundin: Letzterer kollidierte heuer mit dem Termin des olympischen Bewerbs beim "Austria Triathlon" in Podersdorf. Also beschloss Harald Fritz: "Okay, dann machst halt den Halben" – und ich versäumte den Augenblick, in dem die Frage "Spinnst du jetzt komplett?" bei ihm mehr als ein Grinsen bewirkt hätte: "Du machst das schon. Die Moni ist ja auch mit dabei. Auch das erste Mal."

"Die Moni" – im wirklichen Leben Monika Kalbacher – ist nicht nur eine Vereinskollegin und sehr liebe Freundin, sondern gilt als Österreichs mutmaßlich schnellste Flugbegleiterin. Sie hat neben Sub-3-Stunden-Marathons schon ein paar olympische Triathlons absolviert, rennt mir sowas von um die Ohren – und hat diesen Sommer keine Grippe gehabt. Aber abgesehen davon sind wir ziemlich gleich stark. Oder so ähnlich.

Foto: Christoph Edelmüller

Also standen wir am Samstag um sechs Uhr morgens beide reichlich durchfroren in Podersdorf im Strandbad in der Wechselzone, richteten unsere Räder und Kisterln her – und fragten uns, welcher Teufel uns wohl geritten hatte: Am Abend, beim Race-Briefing, hatte der Sturm den Regen unter der Zeltplane hindurch weit ins Festzelt gepeitscht. In der Nacht war im Hotel windbedingt der Strom zweimal ausgefallen. Das Thermometer zeigte 15 Grad. Der Wind pfiff mit fast 30 km/h landeinwärts und sollte stärker werden. Dass die Wetterprognose für den Sonntag, wenn etliche unserer Freunde hier zum olympischen Triathlon (1,5 km Schwimmen, 40 km Rad, 10 km Laufen) und zum Sprint (750 m / 20 k / 5 k) antreten würden, noch elender war, tröstete uns nicht: Auf uns warteten in ein paar Minuten 1,9 Kilometer im Wasser, 90 am Rad und dann ein Halbmarathon: Bei Letzterem, wussten Monika und ich, sind 25 km/h Wind recht unangenehm. Was wir über die Kombi "Wind & Bike" und "Wind & Wasser" sagten, ist nicht drucktauglich. Es war aber im Vergleich zu dem, was um uns geflucht wurde, harmlos.

Foto: Thomas Rottenberg

Schwimmen also. 1,9 k im Neusiedler See bei brackig-schlammigem Niedrigwasser. Meine Extrainerin Sandrina Illes schrieb irgendwo auf Facebook, dass man da beim Kraulen im Wellental mitunter plötzlich in den Seeboden graben könne – längst nicht nur in Ufernähe.

Egal. Ich hatte ein anderes Thema: Um den Startfehler von Gerasdorf vor ein paar Wochen nicht zu wiederholen, hatte ich mich ganz ganz außen ganz, ganz hinten aufgestellt. Und ich staunte – wie schon gesagt – nicht schlecht, als ich sah, wie der Hauptblock schon nach 200 Metern fast geschlossen stand und marschierte. Einer im Wasserschatten des anderen: Da ging was weiter! Ich versuchte da noch, die Regeln einzuhalten – und kämpfte.

Der Anblick, nicht nur beim Ausstieg, war grotesk. Er sorgte für wilde Debatten im Netz und in den sozialen Medien. Schließlich ist der erste Teil eines Triathlons weder ein Swimrun noch ein Wandertag.

Ich bat die Veranstalter um ein Statement – und Daniel Döller, der Kopf des "Austria-Triathlons", seufzte: "In 30 Jahren Austria-Triathlon gab es schon mehrmals … einen niedrigen Wasserstand, das ist kein neues Thema für uns … es ist für uns (aber) sehr enttäuschend zu sehen, dass einige Athleten die klaren und eindeutigen Regeln missachten und auch andere Athleten behindern … für uns als Organisatoren bedeutet das, dass wir reagieren müssen und nicht mehr nur an die Fairness appellieren können ... so wird es kommendes Jahr geänderte Startzeiten für die Lang- und Halbdistanz geben … darüber hinaus werden die Athleten auch beim Schwimmen gekennzeichnet werden, um eine Identifikation von nichtregelkonformem Verhalten ahnden zu können ... Strafen sollen … entweder über Zeit oder zusätzliche Kilometer auf der Laufdistanz ausgesprochen werden ... Wir sehen uns gezwungen, hier entschieden zu reagieren."

Foto: Thomas Rottenberg

Ich verstehe diese Reaktion: Wenn man über 30 Jahre lang eine Veranstaltung von einem kleinen Freak-Event am Rande des finanziellen Kollapses zur größten Tri-Veranstaltung des Landes macht, die nicht von einem multinationalen Sport-Event-Konzern (egal ob man das nun gut oder schlecht findet) organisiert wird, dann ist Image Kapital. Und der Ruf, ein Event zu sein, bei dem man sich persönliche Bestschwimmzeiten erschummeln kann, ist das Letzte, was man braucht. Schließlich ist es nachvollziehbar, dass man zum 30. Geburtstag lieber über eine Gesamt-Rekordteilnehmerzahl von insgesamt mehr als 2.500 Teilnehmerinnen und Teilnehmern bei allen Events, über familiäre Stimmung und über den wirtschaftlichen Boost für die Region jubeln möchte.

Zu Recht: Podersdorf ist eine Legende – und hat ganz eigene Spielregeln. Auch der Wind auf der Radstrecke gehört dazu: Dass der im Burgenland mitunter gewaltig pfeift, ist bekannt. Dass man auf einem 30-k-Rundkurs drei (oder auf der Volldistanz sechs) Runden bei starkem Wind mit viel Seiten- und Gegenwind zu rechnen hat, ist logisch. Dass sich Rücken- und Gegenwind aber – gefühlt – nie und nimmer die Waage halten, ist eine der global gültigen Radwahrheiten: 95, eher 98 Prozent aller Radfahrten finden bei Gegenwind statt. Immer. Auch auf Rundkursen.


Was da – neben guten Beinen natürlich – hilft: Triathlon- und Zeitfahrräder. Und auch wenn ich hier wieder einmal einen meiner Lieblingsbergführer zitieren kann, der angesichts einer Herrenrunde, die über Freerideski, Rocker und Taillierung diskutierte, trocken anmerkte, "A Guada dafoad da an jed’n Ski in an jedm Schnee", ist es halt doch so, dass gutes Material eben vieles leichter (und auch mehr Spaß) macht: Ich bin vor zwei Jahren bei einer Tri-Staffel einmal den 90-k-Part am normalen Straßenrad gefahren – und wurde von den Kollegen auf Zeitmaschinen "durchgereicht". In Podersdorf saß ich – längst noch nicht in der Idealposition und in Kurven nicht auf den Auflegern – auf meiner eigenen "Maschine". Und ließ die meisten Rennradfahrer, auch die mit Auflegern, fast mühelos stehen: Ich war halt wieder ein bissi spät aus dem Wasser gekommen, hatte in der Wechselzone massiv gepatzt, legte auch zwei Pinkelstopps (das Sitzen auf diesen Dingern will eben auch in dieser Hinsicht geübt sein …) ein, war nicht sicher genug, bei Windböen von der Seite auf den Auflegern zu bleiben – und wusste nicht, ob ich vor dem Laufen voll auf Anschlag fahren sollte. Wurscht: Es war geil. Richtig geil.

Foto: Nicholas Aaron

Apropos Wechselzone: Dort patzte ich dann auch beim zweiten Mal. Fragen Sie mich bitte nicht, warum – aber ich hatte meine Laufschuhe da allen Ernstes mit miteinander verknoteten Schuhbändern bereitgestellt. Nein, eben nicht bereitgestellt, sondern zusammengebunden und in die Kiste gelegt: Also so links mit rechts verknotet und dann vergraben. Ich kann mich nicht erinnern, Schuhe irgendwann zuvor jemals aneinandergebunden zu haben – aber beim Einrichten meines Platzes habe ich es getan: Vermutlich war ich ein bisserl nervöser, als ich je zugeben würde.

Und dann, beim Rausrennen, musste ich noch einmal zurück: Ich hatte das Reifen-Reparatur-Set in meine Trikottasche gesteckt – und jetzt prompt vergessen, es wieder aus der Tasche zu nehmen: Ersatzschlauch und CO2-Kartusche würde ich beim Laufen ja wohl eher nicht brauchen …

Foto: Thomas Rottenberg

Einer der Standardsätze meines Coaches lautet, dass man beim Triathlon beim Schwimmen die Arme kaputtmacht. Beim Radfahren dann die Beine. Und das Laufen dann der Kopf erledigen muss und wird: "You want, you can, you will" eben – das hat schon was.

Dass man in Podersdorf durch die Hölle geht, ist ein nettes Wortspiel – aber für Manche – viele – passt es auch: Zehn Kilometer ist die Laufstrecke lang. Wir Halbdistanzler mussten sie also zweimal laufen. Diejenigen, die die Volldistanz auf dem Plan hatten (3,8 k / 180 k / 42 k), aber viermal: Ich mag lange Läufe – aber hier war ich echt froh, jetzt nur noch einen Halbmarathon dranhängen zu müssen. Nicht weil ich mich ausgebrannt oder fertig fühlte – sondern weil ich nicht viermal die gleiche, brettelebene Hin-her-Route laufen wollte: Ich verstehe die logistische und organisatorische Notwendigkeit – aber nach sechsmal 30 einsamen Kilometern allein im Wind viermal die gleiche, saufade Laufrunde? Bitte nicht.

Mir ging es besser als erwartet. Weit besser. Das hat Gründe – und einen Namen: Ich weiß mittlerweile, dass ich mir selbst meist zu wenig zutraue. Und beim Sport lieber immer einen Sicherheitspuffer einplane: Ich hätte mir die Halbdistanz nie zugetraut. Schon gar nicht nach einer Grippe: Medizinisch okay ist das eine – aber konditionell baut man in zwei Wochen viel mehr ab, als man in drei Wochen je aufholen kann.

Normalerweise tritt mir Harald ja vor Wettkämpfen in den Hintern. Aber diesmal hatte auch er gesagt, ich solle es lieber locker angehen: durchkommen und genießen (Wenn man das so nennen kann). Ich radelte und lief zwar nicht mit angezogener Handbremse – aber auch nicht auf 100 Prozent. Auch weil ich nicht wusste, ob, wie, wann und wo da vielleicht doch noch der Einbruch kommen würde. Die Wand. Der Hungerast. Das Loch. Der Mann mit dem Hammer …

Ich hätte mir bestenfalls eine 5’30er-Pace zugetraut, rannte am Anfang aber einen 5er-Schnitt, fühlte mich wohl, war aber skeptisch: Runter vom Gas? Als ich an Harald vorbeilief, grinste er zufrieden: "Schaut gut aus. Fokus! Du bringst das locker ins Ziel." High Five. Ich kenne meinen Coach – und weiß mittlerweile, dass er mich oft besser einschätzen kann, als ich mich selbst: Ich hielt das Tempo: "Das Laufen erledigt dann der Kopf."

Foto: Nicholas Aaron

Ganz ehrlich? Ich hatte nicht daran gezweifelt, das zu können: Dass ich die einzelnen Parts schaffen und die Kombination auch funktionieren müsste, hatte ich schon vorher gewusst. Zumindest in der Theorie: In der Wirklichkeit kann dann halt immer etwas dazwischenkommen. Oder anders laufen. Und manchmal geht es sogar besser: Sechs Stunden hatte ich mir als Benchmark fürs Zufriedensein vorgegeben. Fünfeinhalb für "megastolz".

Als ich über die Ziellinie kam, stand auf der Uhr über mir 5:19:43. Und obwohl ich genau weiß, wo ich Zeit liegen gelassen habe, bin ich mehr als megastolz. Nicht nur auf mich: Monika, die ich am Rad überholt hatte, war beim Laufen an mir nur so vorbeigeflogen. 5:13:13 – eine Hammer-Premierenzeit! Und auch der dritte Halbdistanzler aus dem "Team Ausdauercoach" an diesem Tag, Markus Mauritz, hatte eine Topleistung hingelegt – und seine persönliche Halbdistanzbestzeit mit 5:08:57 deutlich verbessert.

Foto: www.ausdauercoach.at

Aber das sind nur Zahlen. Und obwohl ich unmittelbar hinter der Ziellinie verkündet hatte, dass mein nächster Sport Sudoku sei, war das fünf Minuten später bereits vergessen: Alle lachten. Alle strahlten. Wildfremde gratulierten einander. Viel wichtiger war aber etwas anderes: Dass alle gesund angekommen waren – und es, soweit ich es mitbekommen habe, keine gröberen Unfälle gegeben hatte. Und das ist das Wichtigste:

"Der Rest ist primär", hätte Hans Krankl an dieser Stelle wohl gesagt. Und – wie immer – recht gehabt.

Das Ergebnis: hier (Thomas Rottenberg, 6.9.2017)

Anmerkung im Sinne der redaktionellen Richtlinien: Thomas Rottenbergs Startplatz war eine Einladung des Austria-Triathlon.


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Foto: Monika Kalbacher