Während Kim Jong-un sich als Führer einer Atommacht feiern lässt ...

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... versucht Chinas Xi Jinping sich nichts anmerken zu lassen und hält sich beim Brics-Gipfel an das Protokoll.

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Nordkoreas Machthaber Kim Jing-un forderte Peking gleich doppelt heraus und brüskierte erneut Chinas starken Mann Xi Jinping. Zuerst verbreitete der 34-jährige Diktator am frühen Sonntag Fotos von sich, wie er vor einem angeblichen Atomsprengkopf posierte, den er auf seine Langstreckenraketen montieren könnte. Dann ließ er am Nachmittag um 14.30 Uhr chinesischer Zeit vom nordkoreanischen Fernsehen seinen wenige Stunden zuvor gezündeten Test einer Wasserstoffbombe feiern.

Pjöngjangs Nachrichtenagentur KCNA stellte in sofort veröffentlichten Nachrichten auch in Englisch und Chinesisch sicher, dass weder die USA noch die Volksrepublik im Unklaren über Kims Provokationen blieben. Staatspräsident Xi war zu dem Zeitpunkt mit seinen Beratern in Xiamen an der Südchinesischen Küste. Dort sollte er um 15 Uhr den für seine weltpolitische Avancen besonders wichtigen Gipfel mit den Staatschefs der Brics-Staaten (Brasilien, Russland, Indien, China, Südafrika) eröffnen. Er musste den Beginn seiner Laudatio über die kommenden weiteren "zehn goldenen Jahre" der Brics mit China plötzlich um eine halbe Stunde verschieben. Offenbar ließ er sich informieren, ob der Bombentest keine Schäden oder Verstrahlungen in den nur 100 Kilometer entfernten chinesischen Grenzgebieten angerichtet hatte.

Ungestörte Tagesordnung

Xi brachte es danach fertig, so zu tun, als sei nichts passiert. In seiner 45-minütigen Rede erwähnte er den so gefährlichen Nachbarn mit keinem Wort, selbst nicht, als er die Brics-Staaten aufforderte, mit China gemeinsam, "geopolitische Kriseherde" löschen zu helfen. Über Dialog und Verhandlungen sollten sie politische Lösungen etwa für "Syrien, Libyen, Palästina und Israel" finden. Pjöngjang nannte er nicht. Erst Sonntagabend verurteilte Chinas Außenministerum den erneuten Bruch aller UN-Resolutionen durch Nordkorea. Xi sprach dann auch mit Russlands Wladimir Putin darüber.

Peking war offensichtlich so konsterniert, dass der im gleichen Boot auf der anderen Seite des Pazifik sitzende US-Präsident Donald Trump süffisant über seine Nöte twitterte: "Nordkorea ist eine Schurkennation, die für China eine große Bedrohung ist und es in Verlegenheit bringt. China versucht zu helfen, aber mit wenig Erfolg."

Die Unschlüssigkeit der Führung ist groß, wie sie auf die Provokationen Nordkoreas reagieren soll, bestätigte Nordkorea-Experte Zhang Liangui von der Zentralen Parteihochschule. Viele von Kim gewählte Terminen für seine Atom-und Raketentests richteten sich gegen Peking. Xis frühere indirekte Warnungen, er werde nicht erlauben, dass von Chinas Hinterhof aus Chaos angerichtet wird, beeindruckten Kim ebenso wenig, wie die Drohungen von US-Präsident Donald Trump. Der sagte noch im Frühjahr, er würde nicht zulassen, dass sich Kim Interkontinental-Raketen zur Bedrohung der USA baut. "Das Problem verschlimmert sich weiter, solange Kim nur mit Apeasementpolitik begegnet wird", sagte Zhang. Er bezog sich auf Pekinger Beschwichtungsrufe nach jeder neuen Provokation durch Nordkorea. "Ehrlich gesagt, unsere Außenpolitik ist in diesem Punkt schwer zu verstehen."

Wiederholungstäter Kim

Machthaber Kim nutzt das aus. Er fuhr 2017 vier Mal Chinas Präsidenten in die Parade. Im März drängte er sich am Tag des Antrittsbesuch von US-Außenminister Rex Tillerson beim chinesischen Staatschef dazwischen. Kim ließ Bilder veröffentlichen, wie er den Test eines Raketenantriebs für neue Interkontinentalraketen überwachte. Anfang April, am Tag vor Xis Besuch bei Trump in dessen Golfclub Mar-a-Lago im US-Bundesstaat Florida, ließ er demonstrativ eine Rakete in Richtung Japan testabschießen. Im Mai unmittelbar vor Konferenzbeginn von Xis großem Seidenstraßen-Gipfel in Peking lenkte er mit Raketentests im nordkoreanischen Grenzgebiet vor China alle Aufmerksamkeit auf sich. So wie jetzt wieder vor dem Brics- Gipfel in Xiamen.

Wie hilflos Peking dem Treiben Kims zusieht, gab die sonst nicht zimperliche Tageszeitung "Global Times" zu erkennen. Sie hob am Montag in ihrem Leitartikel. "Wie soll China reagieren?" ihre "rote Linie" an, ab wann Peking auf Kims Provokationen mit harten Sanktionen reagieren sollte. Hatte sie früher damit gedroht, dass Peking beim nächsten Atomtest Nordkoreas seine Öllieferungen einstellen würde, nannte das KP-Blatt jetzt die "Verletzung der strategischen – und Umweltsicherheit Chinas als unterste Grenze.". Peking würde seine bisherige "Zurückhaltung aufgeben", wenn Nordkoreas Atomtests zur nuklearen Verseuchung der chinesischen Grenzregionen führten. In der chinesischen Fassung des Editorial steht, dass nicht mehr viel dazu fehlt. "Viele chinesische Grenzgebiete spürten Erschütterungen nach dem jetzigen Atomtest. Gebäude wackelten merkbar. Unruhe breitete sich unter der örtlichen Bevölkerung aus. "

"Falle der Konfrontation"

Doch von "radikalen Sanktionen", etwa durch den Boykott chinesischer Öllieferungen, von denen Nordkorea zu weit über 80 Prozent seiner Versorgung abhängt, oder gar durch Schließung der Grenzen zu Nordkorea, wollte die Global Times nichts wissen. Solche Maßnahmen würden China "wahrscheinlich nur in direkten Konflikt" mit Nordkorea bringen, in die "Falle der Konfrontation" tappen und an Stelle Washingtons und Seoul handeln lassen. "Das entspricht nicht unseren staatlichen Interessen."

Längst geht es weniger um die Gefahr von Flüchtlingsheeren, die im Fall eines Regimekollaps über Chinas Grenzen strömen würden. Pekinger Strategen sehen das als ein von seinen Ausmaßen beherrschbares Problem an. Viel mehr befürchten sie ein sich unter Südkoreas Regie wiedervereinigendes und mit den USA verbündetes Korea vor Chinas Grenzen zu sehen. "Zum Teil sind das bei uns irrationale Ängste von Leuten, die immer noch in den Kategorien des Kalten Kriegs denken. Sie glauben, dass Sanktionen gegen Nordkorea nur Washington helfen", sagt Zhang.

Weiteres Nichtstun aber spiele in Kims Hände. Dessen Ziel sei nach der Anerkennung als Atomwaffenstaat eine von ihm erzwungene Wiedervereinigung Koreas, glaubt Zhang. Das, so warnen andere Nordkoreaforscher, aber könnte zur atomaren Gegenaufrüstung in der Region führen. Japan und Südkorea müssten sich dann Atomwaffen zulegen. China würde sich dann von mindestens sechs Atomwaffenstaaten umringt sehen, von Nord- und Südkorea, Japan, Russland, Indien und Pakistan. Das sei ein unharmonisches Umfeld für Xis Träume von Seidenstraßen und Goldenen Brics. (Johnny Erling, 4.9.2017)