Foto: fid

Wenn dieser Wahlkampf ein Gutes hat, dann ist es die Wendung zum Philosemitismus dort, wo man es zunächst nicht unbedingt beziehungsweise schon gar nicht vermutet hätte. Österreich sei ein "christlich-jüdisch geprägtes Land" ließ Sebastian Kurz im Sommergespräch fallen, als es um Religionsunterricht ging. Was die "Salzburger Nachrichten" Mittwoch zu einem Artikel mit dem Titel ÖVP nähert sich jüdischer Gemeinde an veranlasste, in dem nicht unbemerkt blieb, zu welchen Steigerungen Kurz noch fähig ist. So soll er manchmal für Österreich auch die Formel vom "jüdisch, christlich, aufklärerisch geprägten Land" einsetzen, während das Programm seiner Partei nur trocken vermerkt: "Grundlage unserer Politik ist das christlich-humanistische Menschenbild."

Damit lassen sich weniger Wähler gewinnen, denn wer will im Zeitalter der Migrationskrise schon als Humanist verschrien sein. Kurz nicht. Wenn die jüdische Prägung Österreichs bisher zu wünschen übrig ließ, von der aufklärerischen ganz zu schweigen, wenn seine jüdischen Wurzeln häufig zertrampelt und kaum je gegossen wurden, gibt der spät einsetzende christlich-soziale Wandel von einem Bürgermeister Lueger zu einem Listenführer Kurz mit allen Antisemitismen dazwischen Anlass zu schönsten Hoffnungen.

"Wahlkampfstress blockiert den Terminkalender"

Indes, es ist Wahlkampf, da holen auch andere weit aus. Heinz-Christian Strache will Kurz nicht nur bei Grenzsperren, sondern auch im Philosemitismus übertreffen. Nähert sich die ÖVP der jüdischen Gemeinde, so geht Strache gleich aufs Ganze. Aussöhnung mit Israel: Strache schreibt ein Buch, konnte der "Kurier" Sonntag melden. Als hätte der mit seiner Heirat nicht genug zu tun. Da ist es nicht verwunderlich: Eigentlich wollte er es zeitgerecht für den Wahlkampf vollenden. Doch es wird nicht rechtzeitig fertig werden. Für die Frankfurter Buchmesse wäre es ohnehin zu spät. Auch ins kommende Weihnachtsgeschäft wird es das Buch nicht schaffen, ins Chanukkageschäft erst recht nicht, da muss Autorenstolz auf der Strecke bleiben – Wahlkampfstress und mögliche Regierungsverhandlungen blockieren den Terminkalender.

Das Wichtige hat schließlich Vorrang, ist sich der "Kurier" doch gewiss: Heinz-Christian Strache ist auf dem Weg zum Regierungspolitiker. Das als Erklärung zu dem Foto, das die schrecklichen äußerlichen Veränderungen dokumentiert, die Strache an seinem Antlitz geschehen lässt, um es dorthin zu schaffen. Was war er doch einmal für ein kühner Paintballesterer! Heute sieht er aus, als könnte er kein Wässerchen lassen, ohne die Mama zu fragen. Und das alles nur fürs Mitregieren.

Wie es dazu kam, will er uns mitteilen. Strache schreibt an seiner Autobiographie. "Kapitel für Kapitel arbeite ich mein Leben auf", verrät er dem "Kurier". Der meint, es dürfte tatsächlich ein äußerst spannendes politisches Buch werden. Denn eines der Kapitel ist der Aussöhnung mit Israel gewidmet. Jörg Haider hat sie mehrfach versucht, aber gelungen – Höre Israel! – ist sie erst Strache. Strache erzählt in dem Buch, wie er zum entschiedenen Gegner von Antisemitismus und zum Verteidiger des "christlich-jüdisch-aramäischen Erbes" wurde. Die Buchhandlungen in Tel Aviv und Umgebung räumen schon ihre Auslagen frei, und auf Jerusalems Tempelberg kann man es gar nicht mehr erwarten, bis er mit Norbert Hofer auf Lesereise vorbeikommt.

Sebastian Kurz deutlich abgehängt

Mit der aramäischen Erbschaft hat er Sebastian Kurz deutlich abgehängt, der es in seiner patriotischen Erbschleicherei nur auf christlich-jüdisch brachte. Noch ist aber Zeit, die Scharte auszuwetzen. Wenn er beim nächsten Rosch-ha-Schana-Empfang im Außenministerium Österreich als christlich-jüdisch-aramäisch-aufklärerisch-sumerisch geprägtes Land vorstellt, hat er die Nase wieder vorn. Als Erwecker der sumerischen Aufklärung wäre er unschlagbar.

Wenn Jörg Haider seinerzeit die Aussöhnung mit Israel nicht gelungen ist, dann nur, weil er nicht den richtigen Draht hatte. Strache traf sich über Vermittlung des FPÖ-Politikers David Lasar mit dem Leiter der Mossad-Operation, die Adolf Eichmann nach Israel entführte. Er war von Rafi Eitans positiver, bejahender Einstellung beeindruckt, dass er trotz dieser schrecklichen Vorgeschichte für Aussöhnung ist. Da will sich auch Strache bei der Aussöhnung mit Israel nicht länger lumpen lassen. Wenn er seine Burschenschafter und Follower auch noch überzeugt, hat Rafi Eitan Großes für Österreich geleistet. (Günter Traxler, 3.9.2017)