Wien – Nein, auch er habe vorher nichts gewusst: Der Rücktritt von Reinhold Mitterlehner als ÖVP-Chef habe ihn ebenso überrascht wie alle anderen, beteuert Sebastian Kurz. Dass er verdächtig vorbereitet gewirkt habe, sei wie folgt zu erklären: "Ich habe sehr genau gewusst, was falsch läuft. Und im Gegensatz zu anderen habe ich das nicht hingenommen."

Sebastian Kurz über die Vorbereitungen auf das Projekt Liste Sebastian Kurz.
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Dass es sich nicht um einen lange vorbereiteten Plan gehandelt habe, zeige schon der Umstand, dass sein Wahlprogramm noch nicht fertig ist, argumentiert Kurz. In drei Teilen wolle er das 250-seitige Papier vorstellen – wobei der Kanzleranwärter beim ORF-Sommergespräch am Montagabend aber mit neuen Inhalten geizte. Moderator Tarek Leitner machte das keine Freude. Immer wieder fuhr er seinem Gast mit Sätzen wie "Ich will es ein bisschen konkreter" in die Parade, Kurz hingegen spielte auf Zeit: "Wenn Sie mir noch eine Minute schenken ..."

Auf keine Ansage ließ sich Kurz auch bei der Koalitionsfrage festnageln. Ob für eine Neuauflage von Rot-Schwarz noch der Funke einer Wahrscheinlichkeit bestehe? "Das muss man nach der Wahl beurteilen."

Sebastian Kurz über die rot-schwarze Koalition und die Regierungsprobleme.
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Kaum ein Thema waren die Flüchtlinge, und auch der Islam wurde nur kurz gestreift. Ob Kurz der Meinung seines Kandidaten Efgani Dönmez sei, alle Religion aus den Klassenzimmern zu verbannen, wollte Leitner wissen. Er habe da einen anderen Ansatz, sagte Kurz, und Dönmez wisse: "Ich gebe die Linie vor." Der Religionsunterricht solle bleiben, auch der islamische: Sonst finde dieser in den Hinterhöfen statt.

Gefragt wurde Kurz auch über die Notwendigkeit von Grenzkontrollen.
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"Nicht schlauer geworden" – so findet zumindest Leitner – ist das Publikum bei einer zentralen Forderung von Kurz. Er will die Steuern um zwölf bis 14 Milliarden senken, durch mehr Wachstum, eingebremste Ausgaben sowie Kürzungen von Förderungen und Sozialleistungen für Ausländer. Details zum Wie und Wo gab er jedoch keine Preis, es blieb bei Ansagen wie: "Wir haben ein aufgeblähtes System geschaffen."

Warum Kurz nicht sein gesamtes Wahlprogramm vorlegt, will Moderator Tarek Leitner wissen.
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Schon vor dem Gespräch hatte Kurz aber einige Pläne offenbart. Mehrere Kapitel seines Wahlprogramms liegen mittlerweile vor.

  • Kampf gegen Steuerflucht: Wieder will Kurz eine Route schließen– diesmal aber die "Steuerfluchtroute", über die "Google, Facebook und Co" Gewinne in Niedrigsteuerländer verschieben. "Digitale Betriebsstätten" sollen die Besteuerung regeln, die Verschiebung von Gewinnen in Steueroasen soll verboten werden.
  • Schuldenabbau: Österreichs Staatsschuldenquote soll von rund 85 Prozent des Bruttoinlandsprodukts auf 60 Prozent sinken. Deshalb müsse die Schuldenbremse in den Verfassungsrang gehoben und mit "klaren Konsequenzen" versehen werden.
  • Arbeiter und Angestellte: Unterschiedliche Kündigungsfristen und Regelungen im Krankheitsfall sollen der Vergangenheit angehören: Die ÖVP spricht sich für die rechtliche Gleichstellung von Arbeitern und Angestellten aus.
  • Tourismus: Die 2016 auf 13 Prozent erhöhte Mehrwertsteuer auf Hotelübernachtungen soll wieder auf zehn Prozent sinken.
  • Geldpolitik: Die ÖVP wendet sich gegen die Linie der Europäischen Zentralbank: Schrankenlose Nullzinspolitik und aktives Ankaufen von Anleihen seien maximal als kurzzeitiges Kriseninstrument legitim, aber keine nachhaltige Geldpolitik.

Woran die ÖVP hingegen festhält: "Wir werden alles gegen die Abschaffung von Bargeld unternehmen." Alles andere würde dem Staat zu gute Einblicke in die Aktivitäten der Bürger geben.

Der Erhalt von Bargeld bedinge, dass der Zugang kostenfrei bleibe, hakt die SPÖ ein und hat einen Gesetzesentwurf für ein Verbot von Bankomatgebühren vorgelegt: Meine es Kurz ernst, werde er doch sicher zustimmen. (Gerald John, 28.8.2017)