Die Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit stellt politischen Entscheidungsträgern die bestmöglichen wissenschaftlichen Informationen zur Verfügung. Etwa jüngst als Fipronil in Eiern entdeckt wurde.

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Aber auch bei der Bewertung von Neonicotinoiden und Glyphosat.

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Lebensmittel sind von Natur aus ein kontroverses Thema. Verbraucher wünschen sich frische, naturbelassene, nicht industriell verarbeitete, authentische, nahrhafte, gesunde und sichere Lebensmittel. Das alles zum geringstmöglichen Preis. Was jedoch viele Verbraucher vermuten tatsächlich zu bekommen, sind weitgehend industriell verarbeitete, wenig nahrhafte Lebensmittel, hergestellt aus minderwertigen Rohstoffen, die um die halbe Erde transportiert wurden, belastet mit Verunreinigungen, Zusatzstoffen und Rückständen.

Das verbreitete Misstrauen gegenüber dem Zustand unserer Lebensmittel wird durch Krisen wie die jüngste Entdeckung von Fipronil in Eiern und den Pferdefleischskandal vor ein paar Jahren angefacht. Derartige Vorkommnisse bestärken die Befürchtungen Vieler, dass man dem System "Lebensmittelproduktion" nicht trauen kann und dass wir als Konsumenten, was immer wir auch kaufen, ohnehin über den Tisch gezogen werden.

Sichere Lebensmittel

Wie sieht also die Realität aus? Was die Inhaltsstoffe, Produktionsmethoden, Herkunft und Qualität von Lebensmitteln angeht, besteht auf dem Markt eine sehr große Differenzierung und demzufolge ist die Auswahl riesig. Die Verbraucher haben die freie Wahl, wobei Kennzeichnung, Marken und Qualitätszeichen bei der Navigation helfen (sollten).

Bei der Lebensmittelsicherheit ist die Situation eine andere: wir haben in Europa einen einheitlichen Rechtsrahmen für die Definition sicherer Lebensmittel, und die Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit (Efsa) repräsentiert den gemeinschaftlich wissenschaftlichen Teil dieses umfassenden Rechtssystems.

Seit 15 Jahren stellt die Efsa den politischen Entscheidungsträgern die bestmöglichen wissenschaftlichen Informationen zur Verfügung. Auf Basis dieser Gutachten, und unter Berücksichtigung anderer legitimer Interessen, erlassen die europäischen Risikomanager Rechtsvorschriften zur Lebensmittelsicherheit und zur Beherrschung der Risiken in der Lebensmittelkette. Beispielsweise wurde jetzt die Arbeit der Efsa zu Fipronil als Wirkstoff in Pflanzenschutzmitteln von den nationalen Behörden der EU-Mitgliedstaaten herangezogen, um mögliche Gesundheitsrisiken des Verzehrs kontaminierter Eier zu bewerten und die Verbraucher zu informieren.

Unabhängige Bewertung

Unsere wissenschaftlichen Bewertungen sind das Ergebnis eines methodischen und transparenten wissenschaftlichen Verfahrens, das von den Mitarbeitern der Efsa in Zusammenarbeit mit Hunderten führenden Wissenschaftern der Europäischen Union durchgeführt wird. Obwohl wir uns des wirtschaftlichen, ethischen und politischen Kontextes unserer Arbeit bewusst sind, stützt die Efsa ihre Beurteilungen ausschließlich auf die unabhängige Bewertung aktueller wissenschaftlicher Informationen.

Wissenschaftliche Bewertungen bieten jedoch keine absoluten Wahrheiten. Sie stellen die bestmöglichen Annäherungen an die realen Naturphänome zu einem gegebenen Zeitpunkt dar. Sie sind Hypothesen, die durch Gruppen multi-disziplinärer unabhängiger Fachleute in transparenten Prozessen erstellt wurden, welche bei der Auswahl, Bewertung und Integration von Daten die nötige methodische Sorgfalt haben walten lassen.

Alle Ergebnisse werden veröffentlicht, um von der wissenschaftlichen Gemeinde hinterfragt und auch widerlegt werden zu können, wenn sie fehlerhaft oder unvollständig sind. Das, was wir heute für "die" wissenschaftliche Wahrheit halten, kann sich schon morgen als falsch erweisen. Trotz dieses Charakteristikums des "Unternehmens Wissenschaft", lediglich Annäherungen an die Wahrheit liefern zu können, hat sich dieser Ansatz immer noch als der bestmögliche herausgestellt, um die Komplexität von Natur und Gesellschaft zu erforschen und zu verstehen.

Moralische Werte

Kompliziert wird das Verhältnis zu Wissenschaft dann, wenn wissenschaftliche Ergebnisse auf moralische Werte treffen. Kollisionen sind vorprogrammiert. Als Efsa mussten wir zum Beispiel im Falle der Bewertung des Pflanzenschutzmittels Glyphosat oder der Risikoeinschätzung des Bakteriums Xylella fastidiosa (welches für das Absterben der Olivenbäume in Süditalien und anderer Pflanzen in Südfrankreich und auf den Balearen verantwortlich ist) feststellen, dass, wenn die wissenschaftlichen Schlussfolgerungen nicht mit politischen Meinungen oder gesellschaftlichen Wertvorstellungen übereinstimmen, nicht nur das Ergebnis an sich als falsch abgelehnt wurde, sondern auch der Prozess der Erarbeitung, die verantwortlichen Organisationen und die beteiligten Personen diskreditiert wurden.

Man konnte beobachten, dass die gleiche Gruppe von Personen, die Efsa für die Arbeit zu Neonicotinoiden – Pflanzenschutzmittel, die nach wissenschaftlicher Meinung für Bienen schädlich sind – gelobt hatte, uns später als zumindest inkompetent, wenn nicht sogar korrupt bezeichnete, weil unsere Bewertung von Glyphosat nicht ihren gesellschaftspolitischen Erwartungen entsprach. Dies ist insofern bizarr, als doch beide Risikobewertungen von der Efsa unter Nutzung der gleichen Prozesse und Experten und mit der gleichen wissenschaftlichen Sorgfalt durchgeführt wurden.

Politik schädigt Alliierte

Man könnte dieses Phänomen als einen normalen Prozess an der Reibefläche zwischen Wissenschaft und Politik abtun, was zum Teil ja auch zutrifft. Wenn Fakten eine politische Agenda durchkreuzen, werden eben die Fakten in Frage gestellt, nicht die Agenda. Bedenklich wird es, wenn wissenschaftliche Institutionen, die ausschließlich im öffentlichen Interesse tätig sind, diskreditiert und in ihrem Ruf nachhaltig beschädigt werden, nur um einen kurzfristigen Erfolg auf politischer Bühne zu erzielen. Die Politik schädigt vorsätzlich Alliierte, deren Wissen und Ansehen sie zum Erreichen von Gesundheits- und Umweltschutzzielen dringend braucht.

Als Efsa sind wir dankbar für Kritik, für wissenschaftliche Auseinandersetzung und das Infrage stellen unsere Prozesse. Sie helfen, unser Ziel der "offenen Efsa" immer weiter zu treiben und den Dialog mit gesellschaftlichen Interessengruppen zu intensivieren. Davon unberührt muss jedoch unser Anspruch der auf Evidenz basierenden wissenschaftlichen Exzellenz bleiben. Sie ist die unabdingbare Basis für jedes einzelne Gutachten. Wir können und wollen uns nicht an post-faktischen Beliebtheitswettbewerben beteiligen. Das wissenschaftliche Prinzip des methodischen Erkenntnisprozesses hat oberste Priorität. Ein Kampf wogt zwischen Aufklärung und alternativ-faktischer Verdunkelung. Wir wollen diesen Kampf für die Wissenschaft gewinnen. (Bernhard Url, 28.8.2017)