Wien – Will man die österreichische Staatsbürgerschaft, geht das ins Geld. Von 1.100 Euro aufwärts muss man am Ende des Verfahrens zahlen, ehe man am Wiener Magistrat, Abteilung 35, im "Gelöbniszimmer" unterschreibt und Pass sowie Staatsbürgerschaftsnachweis überreicht bekommt. Dalibor M. war ein Vertragsbediensteter der Stadt, der für dieses Prozedere zuständig war. Seit vergangenem September ist er es nicht mehr – er hat in 172 Fällen die Gebühren selbst eingesteckt und 246.970,36 Euro Schaden verursacht. Einen Schaden, der intern erst nach drei Jahren entdeckt wurde.

"Also, Herr M., was ist passiert?", fragt Elisabeth Reich, Vorsitzende des Schöffensenats, den 34-jährigen Angeklagten. "Ich habe 2009 dort angefangen und hatte schon damals ein Spielproblem", erzählt der. "Aber ich habe keinen Plan gehabt, das erste Mal ist es mehr oder weniger zufällig passiert."

Krise ab Herbst 2013

Das sei so gekommen: Im September 2013 sei eine Exekution gegen ihn im Laufen gewesen, auch in der Ehe kriselte es. "Wir waren im Büro unterbesetzt, und ich habe erst bei der Verleihung bemerkt, dass ich die Partei nicht vorher zur Kassa zum Einzahlen geschickt habe. Die Partei hat das Geld dann auf den Tisch gelegt, und ich hatte ein Blackout und es einfach eingesteckt."

"Und wie oft haben Sie das gemacht?", fragt Reich. "Oft." – "Wie oft?" – "Laut Anklage 172-mal." – "Das kann aber nicht immer ein Blackout gewesen sein", merkt die Vorsitzende daher an. Noch misstrauischer wird sie beim nächsten Dialog. "Sie haben 247.000 Euro genommen! Das verdienen manche Leute nie!" – "Ich selbst habe mich dadurch ja nicht bereichert ...", hebt der Unbescholtene an. "Sie haben es ja verspielt! Natürlich haben Sie sich daran bereichert", unterbricht ihn Reich.

Was die Vorsitzende aber besonders interessiert, ist, wieso erst im vergangenen Herbst aufgefallen ist, dass Geld fehlt. M.s Erklärung: Er habe bemerkt, dass es einfach niemandem auffiel, und er hat auch Akten verschwinden lassen. Dafür hat er sogar extra ein Lager angemietet, wo sich das Papier schließlich stapelte.

Mäßiger Aktenoutput

Seine Vorgesetzte berichtet als Zeugin, dass intern pro Tag ein Akt stichprobenartig geprüft werde. "Er hatte nicht den Aktenoutput wie andere", merkt sie an, seltsam kam das offenbar niemandem vor. Auch im Computersystem schien niemandem aufzufallen, dass das Geld nie bei der Kassa ankam. Erst ein "Rückstandsausweis" lieferte erste Hinweise – offenbar wurde die Diskrepanz zwischen Anträgen und Zahlungseingängen irgendwann zu groß.

Sein Verteidiger betont, dass M. schon von sich aus eine Therapie gegen seine Spielsucht begonnen habe und er auch versuche, den Schaden wiedergutzumachen. "Er arbeitet als Angestellter und nebenbei als Lagerarbeiter", erzählt der Jurist, 35.000 Euro habe M. schon selbst gezahlt, weitere 3.000 kamen von seinen Eltern.

Bei einem Strafrahmen bis zu viereinhalb Jahren Haft wird der Angeklagte schließlich wegen Untreue unter Ausnützung einer Amtsstellung zu 21 Monaten Haft verurteilt, sieben davon sind unbedingt, die er wohl mit einer "elektronischen Fußfessel" verbüßen wird können. Reich bescheinigt ihm eine hohe kriminelle Energie, kann sich aber auch Kritik an der Stadt nicht verkneifen: "Das Kontrollsystem war jetzt auch nicht besonders ausgeprägt." Mittlerweile wurde es angeblich geändert, hat M.s ehemalige Vorgesetzte verraten. (Michael Möseneder, 28.8.2017)