26,2 Prozent der Mindestsicherungsbezieher waren 2016 nicht erwerbsfähig.

Wien – Sebastian Kurz tut es, Heinz-Christian Strache ebenso, und auch so mancher SPÖ-Politiker stellt die Gleichung auf: Viele im Land verstünden nicht, dass Flüchtlinge gleich viel oder mehr an Sozialleistungen bekämen wie Bürger, die viele Jahre in die Steuertöpfe eingezahlt haben.

Stimmt das denn? Heruntergebrochen auf den Einzelfall haben selbst Mindestpensionisten einen entscheidenden Einkommensvorteil gegenüber Beziehern der Mindestsicherung: das 13. und 14. Monatsgehalt (siehe Wissen). Die Rechnung geht also nur dann auf, wenn man eine mehrköpfige Beziehergruppe mit einer Einzelperson vergleicht, wie das Kurz vor ein paar Tagen im Ö1-Interview getan hat. Es könne nicht sein, dass eine Flüchtlingsfamilie, die gerade "frisch" nach Österreich gekommen sei, auf rund 2.000 Euro an Sozialleistungen im Monat komme, sprach der ÖVP-Chef, während jemand, der ein ganzes Leben hier gearbeitet habe, in der Pension mit 1.000 Euro auskommen müsse.

2.000 Euro für vier Köpfe

Zumindest vierköpfig muss die Familie sein, um das von Kurz angesprochene Leistungsniveau zu erreichen. Am Beispiel des von der ÖVP vielgescholtenen Wiens: Paare bekommen pro Person maximal 628,32 Euro an Mindestsicherung, für zwei Kinder gibt es jeweils noch einmal 226,20 Euro – macht in Summe 1.709 Euro. Inklusive der Familienbeihilfe, die einschließlich "Geschwisterstaffelung" bei zwei Kindern je nach Alter 118,70 bis 168,90 Euro pro Kopf beträgt, gehen sich plus/minus 2.000 Euro aus.

Um ein Massenphänomen handelt es sich gemäß der dem STANDARD vorliegenden Daten dennoch nicht. Laut Auskunft der Stadt Wien erhielten von 22.044 Bedarfsgemeinschaften mit Asyl- und subsidiär Schutzberechtigen, die im April 2017 die Mindestsicherung bezogen, 1.225 einen Betrag von 1.700 Euro im Monat aufwärts. Also dürften demnach 5,6 Prozent der Wiener Flüchtlingsfamilien inklusive Familienbeihilfe auf Sozialleistungen von 2.000 Euro oder mehr kommen.

Wien besonders großzügig

Es ist anzunehmen, dass der Prozentsatz in anderen Ländern niedriger ist. Nirgendwo sonst sind die Mindestsicherungssätze für Kinder so hoch wie in Wien – Schlusslicht ist Kärnten mit 152 Euro pro Kopf und Monat. Warum sich die rot-grüne Stadtregierung derart großzügig zeigt, erklärt Sozialstadträtin Sandra Frauenberger mit den höheren Lebenskosten als auf dem Land: "Wenn ich Menschen sozial absichern will, kann ich das nicht außer Acht lassen." Hinter all den Vergleichen von Flüchtlingen mit Kleinpensionisten sieht die SPÖ-Politikerin eine Neiddebatte: "Da werden Arme gegen Arme ausgespielt."

Doch abgesehen von der Frage, ob die Mehrheit der Bevölkerung diese Haltung versteht oder nicht: Hat nicht das Argument etwas für sich, dass manche Menschen wenig Lust zum Arbeiten verspüren könnten, wenn sich staatliche Leistungen auf derart große Beträge summieren? Frauenberger verweist auf die rot-grüne Mindestsicherungsreform, die mehr Anreize, aber auch mehr Druck verspricht – speziell für junge Menschen: "Wenn du bereit bist, in deinen Weg zu investieren, dann bekommst du die Unterstützung – wenn nicht, hast du mit einer Reduktion zu rechnen."

Konsequenzen für Arbeitsunwillige sah die Mindestsicherung zwar schon bisher vor, doch das bringe wenig, wenn die Chancen auf dem Arbeitsmarkt minimal sind, sagt Frauenberger. Spezielle Projekte sollen den Wiener Mindestsicherungsbeziehern nun eine individuell zugeschneiderte Perspektive bringen: "Sonst sind Sanktionen nur Schikane."

Nur 37 Prozent arbeitsfähig

Zahlen des Sozialministeriums zeigen allerdings, dass nur eine Minderheit der Bezieher in Österreich theoretisch überhaupt vermittelbar ist. Erklärt anhand der Daten vom Oktober 2016: 36 Prozent der 220.000 Mindestsicherungsbezieher in diesem Monat fielen a priori weg, weil sie Kinder oder zu alt waren. Von den restlichen 64 Prozent – Menschen im erwerbsfähigen Alter – waren 41 Prozent Invaliditätspensionisten, krank oder mit der Pflege von Angehörigen ausgelastet. Bleiben 59 Prozent, die arbeiten, aber wegen geringer Verdienste auf die Mindestsicherung aufstocken, oder eben gar keinen Job haben.

Unterm Strich bedeutet das: Nur 37,7 Prozent aller Mindestsicherungsbezieher sind überhaupt arbeitsfähig. (Gerald John, 27.8.2017)