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Blickt man auf die Weltmachtambitionen Chinas, kommen Zweifel an Noltes Festlegung.

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Hans-Heinrich Nolte, "Kurze Geschichte der Imperien". € 45,- / 505 Seiten. Böhlau-Verlag, Wien, Köln, Weimar 2017

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Die großen Imperien, von Rom bis China, von den Osmanen bis zum Heiligen Römischen Reich, vom British Empire bis Russland, hatten ihre Raison d' Être und ihre Zeit. Und die ist abgelaufen. Denn kein noch so breit und offen konzipiertes Herrschaftssystem kann den Herausforderungen des 21. Jahrhunderts gerecht werden. Das ist der Grundbefund des deutschen Historikers Hans-Heinrich Nolte, Professor emeritus am Historischen Seminar der Universität Hannover, in seinem Werk "Kurze Geschichte der Imperien".

Aber ist das Imperium wirklich Geschichte? Blickt man auf die unverhohlenen Weltmachtambitionen Chinas, das sein massives wirtschaftliches Engagement in Afrika gerade mit seinem ersten ausländischen Militärstützpunkt, in Dschibuti, quasi absichert, kommen Zweifel an Noltes Festlegung auf. Mit seinen territorialen Ansprüchen im Südchinesischen Meer hat sich Peking ja schon deutlich als regionaler Hegemon positioniert und damit nicht nur die Nachbarn, sondern auch die globale Seemacht USA alarmiert. Deren neuer Präsident scheint indessen durchaus an einem Arrangement mit dem Herausforderer interessiert – wenn es nur den eigenen Interessen nützt.

Wie der Autor darlegt, wurde das chinesische Imperium über mehr als ein Jahrtausend hinweg mehrfach wieder gegründet. Ist es jetzt wieder so weit? Die Möglichkeiten, eine Dummheit zu begehen, sind unbegrenzt, räumt der Historiker ein. Eine solche Dummheit wäre es seiner Ansicht nach, den Anschein zu erwecken, als könne irgendeine Macht die Probleme der Welt aus einem Punkt heraus bearbeiten oder gar lösen.

Aber hier denkt Nolte offensichtlich weniger an die Pekinger Führung, die ihren Willen zu internationaler Kooperation sowohl im Handel als auch beim Klimaschutz glaubhaft bekundet (und freilich oft gegenteilig handelt). Gemeint ist wohl eher der Herr im Weißen Haus, von dem man immer weniger weiß, ob er noch Herr der Lage ist – wenn er es jemals war. Aber ist "America first" eine imperiale Formel? Und sind nicht die tiefen inneren Widersprüche, die die Wahl einer Persönlichkeit Marke Trump ermöglicht haben, nicht der beste Beweis dafür, dass die USA nicht (mehr) das Zeug zum Imperium haben – wenn sie denn jemals eines sein wollten.

Paradoxon der globalen Nation

Der deutsche Historiker findet für die Vereinigten Staaten das Paradoxon der "globalen Nation". Gemeint: Der Anspruch auf universelle Gültigkeit von Werten wie Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und Menschenrechten entspricht weder den Möglichkeiten noch dem Willen, diese Werte auch weltweit durchzusetzen. Und dies nicht erst seit Trump. Im Zweifelsfall, so Noltes Diagnose, schreckten die USA eher davor zurück, den Weg von der Hegemonialmacht zum Imperium zu beschreiten.

Gilt das auch für das postsowjetische Russland unter Wladimir Putin? Wenn Nolte eingangs schreibt, entscheidend sei, ob eine Großmacht sich selbst als Imperium verstehe, dann trifft das auf den mittlerweile fast 18 Jahre (mit der kosmetischen Unterbrechung als Premier) herrschenden Kreml-Chef zweifellos zu, wie auch auf den Großteil seiner Anhänger. Dennoch fällt Noltes zusammenfassendes Urteil über die Russische Föderation so knapp wie eindeutig aus: "Russland heute ist eine von einem Macho autoritär geführte Nation, aber gewiss kein Imperium."

Mit Sätzen wie diesem verlässt der Autor – auf durchaus sympathische Art – den tugendhaften Pfad der Wissenschaft. Ein weiteres Beispiel, den Brexit-Befürwortern und Empire-Nostalgikern ins Stammbuch geschrieben: "Nichts gegen pomp and circumstance, durch sie lässt sich manchmal Zeit gewinnen, aber sie werden die globalen Probleme nicht lösen."

Und worin liegt die Lösung? Auch hier legt sich Nolte eindeutig fest, und zwar schon auf der ersten Seite des Buches, noch bevor er auf den folgenden 500 nach einem festen Kriterienkatalog Entstehen und Vergehen, Erfolg und Scheitern der großen Imperien beleuchtet. Der universale Trend laute weder "Von Imperien zu Nationen" (wie man nach den Weltkriegen angenommen habe) noch "Von Nationen zurück zu Imperien" (wie manche jetzt wieder hofften), sondern "Von Imperien zu Unionen". Als Verbindung von National und Global könnten Unionen am besten auf die Herausforderungen einer durch und durch vernetzten und verflochtenen Welt reagieren.

Für Europa plädiert der Autor, wiederum mehr engagierter Bürger denn Historiker, im Rahmen der Vereinten Nationen die Rolle einer Provinz der Welt zu akzeptieren und zu einem solidarischen Ausgleich der weiter wachsenden Gegensätze in allen Bereichen, innerhalb der EU wie global, beizutragen. Das ist, mit Blick auf die Orbáns, Kaczynskis und ihre zahlreichen Brüder im Geiste wohl ein ziemlich frommer Wunsch. Zumal Nolte ja selber einräumt, dass Unionen dazu neigten, Konflikte gegen äußere Feinde zu gering einzuschätzen, um Mittel zur Bearbeitung von Konflikten im Innern zu behalten. Wenn es nur so wäre, ist man angesichts des EU-internen Streits in der Flüchtlingsfrage versucht zu sagen. (Josef Kirchengast, 26.8.2017)