500.000 Österreicher trinken zu viel und zu regelmäßig Alkohol. Die Einsicht, dass sie suchtkrank sind, fehlt dem überwiegenden Teil von ihnen. Das ist ein typisches Symptom der Erkrankung. Wer Bücher über Alkoholabhängigkeit liest, erkennt Suchtmuster: bei sich und anderen.

Lieber beim Wasser bleiben

Wenn jemand richtig gut schreiben kann, ist es eigentlich fast egal, was das Thema ist. Der deutsche Schriftsteller Benjamin von Stuckrad-Barre ist ein Meister der Beobachtung. Und Alkohol spielte in seinem Leben eine große Rolle. Trinken, Drogen, Rauchen: Sein Leben wurde so exzessiv, dass er einen radikalen Schnitt setzen musste, um nicht daran zugrunde zu gehen. In "Panikherz" hat er seine Süchte schonungslos seziert, ein "Buch wie ein unvergesslicher Rausch", haben es Kritiker beschrieben und es als Selbstentblößung bezeichnet.

2010 hat Stuckrad-Barre sein letztes Bier getrunken und auf Wasser umgestellt. Wie das an einem feuchtfröhlichen Abend mit Freunden so ist, wenn man selbst im "Stimmungserdgeschoß" der guten Laune bleibt, und warum sich Nichttrinken so wie Paralympics ("also schon toll, dass es das gibt, aber irgendwie doch seltsam") anfühlt, hat er in in "Nüchtern am Weltnichtrauchertag" beschrieben, quasi als Fortsetzung zu seinem Roman.

Auf 80 wunderbaren Seiten dekliniert er, wie er sich als Nichttrinker fühlt, zitiert die Gesprächsverläufe und Reaktionen auf seine Abstinenz und macht klar, warum er trotzdem dabei bleibt. "Informationsstand des Bundesgesundheitsministeriums" wolle er nicht sein, sagt er. Ist er de facto auch nicht, nur ein scharfer Beobachter. (Karin Pollack)

Benjamin von Stuckrad-Barre: "Nüchtern am Weltnichtrauchertag". Kiepenheuer & Witsch 2016, 75 Seiten, 8,30 Euro

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Sich selbst der Arzt sein

Ohne Bevormundung und ohne Ratschläge, "die mehr Schlag als Rat sind", will der Gerichtspsychiater Reinhard Haller in seinem Buch "Nie mehr süchtig" Suchtkranken und Angehörigen dabei helfen, Lösungen zu finden. Dabei ist der Autor vor allem Geschichtenerzähler, berichtet von Süchten und Süchtigen, die ihm in seiner Arbeit begegnet sind: vom Vorarlberger Postler, einem jahrelangen "Spiegeltrinker", vom Jugendlichen mit den Tobsuchtsanfällen, der die meiste Zeit seines Lebens vor dem Computer verbringt, oder von Frau Maier, die nach Bezug ihres nigelnagelneuen Hauses einfach nicht mehr damit aufhören konnte, es zu putzen.

Von Sucht betroffene Leser sollen sich in den Geschichten selbst finden, schreibt Haller, der zu jeder Erzählung eine präzise Erklärung liefert, dabei aber auch klarstellt: "Sucht ist ein schillerndes, nie ganz fassbares und nie kalkulierbares Phänomen, das sich auf allen Ebenen des menschlichen Daseins abspielen kann" – vor allem auch im Verhalten, so der Experte. Immer häufiger seien in der aktuellen Zeit moderne Medien, Internet und Computerspiele Auslöser für Suchterkrankungen.

Am Ende gibt es Tipps für den problemlosen Konsum und eine konkrete Anleitung dafür, eine Sucht zu überwinden. Hallers Hauptaussage: Nur ein einziger Arzt kann die Sucht heilen: der Betroffene selbst. (Bernadette Redl)

Reinhard Haller: "Nie mehr süchtig sein – Leben in Balance". Ecowin-Verlag 2017, 244 Seiten, 18,99 Euro

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Und ewig lockt der Rausch

Hilfe ist ein Wort, das Drogenkranken lange nicht in den Sinn kommt – so auch Lorenz Gallmetzer nicht. Als ORF-Korrespondent lieferte er jahrelang Berichte aus Washington und Paris in Österreichs Wohnzimmer, sein Gesicht ist Zeit in Bild-Sehern vertraut. Umso brisanter sein Bekenntnis, 30 Jahre lang alkoholkrank gewesen zu sein. Sein Geständnis ist die Einleitung seines Buches "Süchtig", als Leser landet man allerdings dann schnell in der Suchtklinik des Anton-Proksch-Instituts, wo sich Gallmetzer in Behandlung begibt und eine ganze Reihe von Mitsüchtigen kennenlernt. Mit ihren Lebensgeschichten wird der überwiegende Teil des Buches bestritten.

Was Gallmetzer gelingt: Mit einem Sammelsurium menschlichen Unglücks ein Panoptikum des Suchtkrankseins zu zeigen. In den Lebensschilderungen geht es nicht nur um Alkohol, sondern auch um viele andere Drogen wie etwa Benzodiazepine, Kokain oder Marihuana. Viele der Interviewten sind von mehreren Drogen abhängig, leiden an einer Reihe von psychischen Erkrankungen. Da geht es um Suchtpersönlichkeiten, Veranlagung und die Rolle, die Eltern spielen. Gallmetzers erzählerischer Duktus wirkt streckenweise therapeutisch, weil Lebensgeschichten und Faktenwissen verschwimmen. Was Gallmetzer aber gelingt: Er enttabuisiert eine Krankheit, an der nach wie vor viele zugrunde gehen. (Karin Pollack)

Lorenz Gallmetzer: "Süchtig. Abhängige erzählen". Kremayr & Scheriau 2016, 190 Seiten, 22 Euro

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Nach dem Liebestaumel

Liebe ist das Gefühl, das der deutsche Kunst- und Literaturkritiker Daniel Schreiber mit Alkohol verknüpft. Er war seine große Liebe fast ein Jahrzehnt lang. Von einem Tag auf den anderen ist Schluss. Schreiber bleibt nüchtern. Das eine "erste Glas" hat er nie wieder getrunken.

Dabei begann alles ganz harmlos: nach einem arbeitsreichen Tag nach Hause kommen, ein Achtel Wein trinken, genießen, entspannen. Noch einmal das Glas füllen, der Kopf beruhigt sich, die Welt beginnt weicher zu werden, die Kanten glätten sich. Irgendwann ist die halbe Flasche ein alltägliches Ritual – bis auch das nicht mehr reicht. Die Dosis wird gesteigert, Exzesse, Abstürze und Depressionen häufen sich, Beziehungen zerbrechen.

Schreibers Essay ist mehr als Betroffenheitsprosa. Es geht ihm um das große Ganze, um den bigotten Umgang mit der Volksdroge Nummer eins, die den Genuss von Bier und Wein kultiviert, aber den Alkoholkranken verachtet. Das gängige Vorurteil: Wer abhängig wird, ist selbst schuld, hat sein Recht verwirkt, am kollektiven Rausch teilzuhaben. Pointiert, scharfsinnig und klar zeichnet er das Bild einer Gesellschaft, die den Alkohol als "Schmiermittel" braucht. Sein Fazit: "Das Trinken ist die einzige vollumfänglich anerkannte Abschaltstrategie in unserer Stressgesellschaft und wird als solches aufs Bitterste verteidigt." (Günther Brandstetter)

Daniel Schreiber: "Nüchtern. Über das Trinken und das Glück". Suhrkamp 2016, 160 Seiten, 9,30 Euro

(CURE, 11.11.2017)

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