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Chemie-Nobelpreisträger Tomas Lindahl in seinem Labor am Francis Crick Institute bei London.

Foto: REUTERS/Stefan Wermuth

London/Wien – Als Tomas Lindahl in den 1960er Jahren begann, die Instabilität der menschlichen DNA zu erforschen, war das ein akademisches Nischenthema. Damals herrschte noch die Meinung vor, dass die DNA ein stabiles Konstrukt sei. Heute wissen wir, dass es täglich zu unzähligen Beschädigungen der DNA kommt – entsprechend spielen Reparaturmechanismen eine entscheidende Rolle. Für seine Entdeckung dieser Prozesse wurde Lindahl 2015 mit dem Chemie-Nobelpreis ausgezeichnet.

STANDARD: Was haben Sie bei Ihren Studien über DNA-Reparaturmechanismen herausgefunden?

Lindahl: Was wir herausgefunden haben, ist, dass DNA ständig beschädigt wird. Es gibt viele Einflüsse, die wir nicht vermeiden können. Wir haben etwa Wasser in unseren Zellen und das Wasser kann die DNA zerstören. Wir müssen Sauerstoff atmen und dieser kann die DNA beschädigen. Es kommt also die ganze Zeit zu Zerstörungen der DNA – das können wir nicht verhindern. Es wird aber auch ständig DNA repariert. Wir haben Prozesse studiert, etwa von Enzymen, die für die Reparatur verantwortlich sind.

STANDARD: Wie geht man vor, wenn man Reparaturmechanismen der DNA entdecken will?

Lindahl: Die DNA ist ein komplexes Molekül, das auf viele verschiedene Arten zerstört werden kann. Zunächst muss man wissen, welche Art von Schaden die DNA erfahren hat, der repariert werden muss. Wenn man einmal etwas über die Chemie des Schadens herausgefunden hat, kann man den nächsten Schritt unternehmen und nach einem Enzym suchen, das die Reaktion umkehrt. Diese findet man normalerweise durch Experimente. Man kann zum Beispiel Zellextrakte verwenden und sich ansehen, ob man einen Faktor findet, der den Schaden erkennt und was er damit tut: Wird der Schaden umgekehrt oder auf andere Weise beeinflusst? Dadurch gewinnt man erste Hinweise, wie der Reparaturmechanismus ablaufen könnte.

Tomas Lindahls Rede anlässlich der Verleihung des Chemie-Nobelpreises 2015 über die Fragilität der DNA.
Nobel Prize

STANDARD: Sind Sie bei der Erforschung von DNA-Reparaturmechanismen auf Überraschungen gestoßen.

Lindahl: Ja, die gab es immer wieder. Das macht die DNA-Reparatur auch zu so einem faszinierenden Forschungsgegenstand. Die DNA kann auf sehr viele Weisen zerstört werden. Es gibt kein fixes Schema, wie all diese Zerstörungen behoben werden können. Währen der Evolution haben sich verschiedene Faktoren entwickelt, aber das funktioniert nicht immer in selber Weise. Wir sind also auf viele Überraschungen gestoßen, und haben Faktoren und Effekte entdeckt, die wir davor nicht gekannt hatten. Zudem stellte sich heraus, dass es sehr entscheidend ist, diese Faktoren zu kennen, um Mutationen zu finden. Krebs wird fast immer durch Mutationen in der DNA verursacht. Wenn wir den Prozess also verstehen, haben wir gute Methoden in der Hand, um ihn zu stoppen.

STANDARD: Wie schätzen Sie die Relevanz des vergleichsweise neuen molekularbiologischen Werkzeugs Crispr/Cas9 in Bezug auf Krebstherapien ein?

Lindahl: Ich bin mir sicher, dass Crispr/Cas9 in Zukunft sehr hilfreich in der Krebstherapie sein wird. Speziell wenn es um vererbliche Ursachen geht, die können wir mit Crispr/Cas9 viel einfacher korrigieren als zuvor. Zum ersten Mal haben wir nun die Möglichkeit, die DNA zu verändern – klarerweise müssen wir darüber sehr intensiv nachdenken und entsprechende Regulierungen beschließen. Etwa, die Möglichkeit verbieten, dass Eltern die Gene ihrer Kinder gezielt verändern können, wenn sie etwa wollen, dass diese einmal Boxstars werden – das sollte meines Erachtens nicht erlaubt sein.

STANDARD: Sind Designer-Babys eine reale Gefahr der Gen-Schere Crispr/Cas9?

Lindahl: Nein, ich denke, die Herausforderung ist eher, dass wir sehr gründliche Regulierungen brauchen. In manchen Ländern wollen die Menschen Nachkommen eines bestimmten Geschlechts – diese Art des Genome Editing sollten wir nicht zulassen. Doch das heißt nicht, dass Crispr/Cas9 generell schlecht ist. Es gibt spontane Mutationen, die zu viel Leid und schweren Erbkrankheiten führen. Wenn man weiß, was man dagegen tun kann, sollte man das machen.

STANDARD: Was werden die größten Herausforderungen sein, um Crispr/Cas9 erfolgreich in der Krebstherapie einsetzen zu können?

Lindahl: Die Technologie ist jetzt gerade einmal da. Die Herausforderung besteht darin, den Menschen die Angst vor dem Unbekannten zu nehmen und zu einem Konsens zu finden, was mit der Technologie erlaubt sein sollte und was nicht. Dabei haben Politiker eine enorme Verantwortung, denn sie müssen die Gesetze letztlich beschließen. Wissenschafter wissen gewöhnlich, was sie tun, doch diese Technologie müssen auch Politiker verstehen, und dürfen sich davor nicht fürchten. Die Schwierigkeit besteht darin, den Menschen Fakten zu präsentieren, ohne sie zu langweilen. (Tanja Traxler, 27.8.2017)