Von einem kurzen Lauf im schönsten Park Wiens, der Kunst der Abkürzungen in barocken Alleen, positiven Energien im Schatten der Flaktürme – und der Kommerzialisierungs-Gratwanderung, die "leise" Dinge wie Yoga am Weg zur Massenbewegung absolvieren.

Es kommt halt immer auf die Erwartungshaltung an. Aber – ganz ehrlich: Ich wusste nicht so recht, was ich erwarten hätte sollen. Herzdame war da vor ein paar Wochen nach Hause gekommen und hatte gefragt, ob ich Lust auf einen "Mindful Triathlon" hätte. Weil "Wanderlust" nach Wien käme.

Natürlich hatte ich keinen blassen Schimmer wer oder was "Wanderlust" sein könnte. Aber dass es da wohl eher nicht um die Hardcore-Tri-Dreifaltigkeit gehen würde war mir klar: Zum einen weil "Mindful" nicht nach "die hard" klingt. Und zum anderen weil meine Freundin im echten Leben Yogalehrerin ist – und die Einladung zum Wanderlust-Triathlon über eines jener Yogastudios herein flatterte, in dem sie Menschen auf der Matte herumkommandiert: Viktoria Eckers "Doktor Yoga".

Doch bevor ich irgendwas klischeehaft Blödes à la "Mantrawettsingen im Power-Savasanah plus Bäumeumarmen" sagen konnte, kam schon die Zurechtweisung: "Nein, nicht, was Du jetzt lästern willst. Zuerst Laufen, dann eine Yoga-Session – und dann Meditation." Ich verkniff mir das Blöd-Reden – und war wirklich neugierig.

Foto: Thomas Rottenberg

Normalerweise ist "Hausaufgabenmachen" bei solchen Stories einfach: Irgendwo auf der Seite des Veranstalters gibt es immer einen Button der "about" oder "history" heißt. Oder man sucht den Pressebereich und findet dort Material. Oder Artikel aus 1.001 Zeitschriften. Oder man schreibt hin – und bittet um einen Kontakt und Ansprechpartner vor Ort. Normalerweise: "Wanderlust" funktioniert halt ein bissi anders. Und widerlegt die These, dass man nicht nicht kommunizieren kann.

Kaufmännisch betrachtet zurecht: Man weiß, dass man Kult ist. Und wo "Kult" draufsteht, hyperventiliert die Lifestylepresse auf Zuruf mit Superlativen und dem, was man auf der Eventseite über sich selbst jubelt.

Und da Yoga derzeit das große Ding ist, kann man sogar auf eine stinknormale Müslipackung "Yogamüsli" schreiben – und weiß von vornherein, nicht nur, dass sich das Zeug verkaufen wird, sondern kann auch blind sagen, wer die Kundinnnen sind. (Ja eh: Das Müsli-Ding gehört nicht ganz hierher. Aber ich hab es nicht erfunden – sondern beobachtet. Anderswo. Sehr lustig.)

Foto: thomas rottenberg

Freilich ist das auch richtig unfair. Der Sache und dem Event gegenüber. Denn "Wanderlust" hat eine Geschichte, die einerseits spannend ist, andererseits den Hype und die Totalkommerzialisierung von Yoga und allem, was man in diese Blase packen kann, ganz hervorragend illustriert. Und: Wenn etwas viele Menschen glücklich macht und keinem weh tut, ist es ja mehr als legitim, damit auch gutes Geld zu machen.

Das erste Wanderlust-Festival fand im Sommer 2009 in Squaw Valley statt. Squaw Valley ist eigentlich ein Skiresort und liegt in Kalifornien. Bei der Premiere ging es noch primär um Musik. Doch neben Acts wie Spoon war da schon ein Dutzend angesagter US-Yogis, die zwischen und nach den Gigs mit den Festivalbesuchern praktizierten.

Das Ding schlug ein. Im Jahr darauf kamen schon fast doppelt so viele Bands – und dreimal so viele Yogis.

2015 gab es dann in den USA und Kanada schon sieben mehrtägige Festivals. Ab 2016 wanderlustete man auch in Australien. Zusätzlich dazu gibt es zahllose Eintages-Wanderlust-Events von Mexiko bis Russland, von Neuseeland bis Portugal, von Argentinien bis in die Schweiz. Außerdem gibt es Yoga-Studios, TV-Channels und natürlich Shops, die das Wanderlust-Logo stolz, image- und umsatzträchtig tragen. Eine schöne Geschichte – man müsste sie halt auch erzählen.

Foto: thomas rottenberg

Das Setup der Eintages-Events ist – zumindest in Europa – immer ähnlich. Wenn nicht gleich: Der "Mindful Triathlon" findet immer in einem zentral gelegenen urbanen Park statt. Er besteht aus einem Fünf-Kilometer-Lauf, einer Yoga-Session plus Meditation. Begleitet von "Sidevents", Livemusik, einem DJ-Set und einen kleinen Markt, dem "Kula Markt".

In Wien zog es die Wanderlustigen in den Augarten. Logischerweise auf eine der großen Wiesen unmittelbar vor dem FLAK-Gefechtsturm. Ein stimmiges wunderschönes Bild: Vor dem finsteren, unzerstörbaren Relikt aus der Zeit der Barbarei der Großelterngeneration, feiern 2.000 Menschen im Gras einen Tag lang den Glauben an das Gute, die Liebe und den Frieden, der aus der Einheit mit sich, der Natur und den Mitmenschen kommen kann. Und auch wenn das zynisch bis sarkastisch klingt: Ich mag dieses Bild. Im wörtlichen ebenso wie im übertragenen Sinn.

Foto: thomas rottenberg

Doch hier ging es ja doch auch um Sport. Ums Laufen. Fünf Kilometer stand auf der Anmeldung – und dass es da nicht um PBs (also persönliche Bestzeiten), harten Wettkampf, zusammengebissene Zähne und dergleichen gehen würde, war mir schon vorher klar gewesen.

Aber als wir dann bei der Startnummernausgabe aufgefordert wurden, uns "einfach irgendeine Nummer aus dem Stapel" zu nehmen, weil die ja "ohnehin nicht registriert oder personalisiert" seien, war ich doch überrascht. Tatsächlich hatten die Nummern nur eine Funktion: Man konnte damit das an der Garderobe abgegebene Yoga-Gepäck ohne Verwechslungen wieder abholen. Nach dem Lauf eben.

Und auch wenn mich das ein wenig irritierte, war es doch fein. Auch wenn sich der Moderator beim Start selbst nicht ganz sicher zu sein schien: Er schwankte immer wieder zwischen "los, gebt jetzt dann Vollgas" und "das ist kein Wettrennen".

Foto: thomas rottenberg

Im Augarten fünf Kilometer zu laufen ist einfach. Solange man alleine rennt. Will man aber – geschätzte – 1.500 Menschen in einem (ja doch irgendwie) Bewerb hier diese Strecke laufen lassen, muss man ein bisserl tricksen: Echte Kreuzungen darf es da – auch wenn einander alle lieb haben – aus leicht nachvollziehbaren Gründen schlicht und einfach nicht geben.

Blöderweise ist die Runde an der Mauer des schönen Barockparks entlang aber gerade einmal zwei Kilometer lang. "Wir haben da ein ziemliches Zick-Zack-Muster in den Park legen müssen," erklärt mir Karl Diwisch, der Streckenchef, unmittelbar vor dem Start.

Und schon der erste Zacken führte auch gleich zur ersten Verwirrung: Um schöne Bilder zu haben, stand der Wanderlust-Bogen natürlich auf jener Allee, die zum Turm führt. Doch schon nach fünf Metern schwenkte die Strecke dann im rechten Winkel nach links. Um das Bild und das Ambiente einer offenen Veranstaltung nicht zu beeinträchtigen, gab es aber weder Tretgitter noch Absperrbänder.

Prompt schossen die ersten paar Dutzend Läuferinnen und Läufer beim Start schnurgerade an der Abzweigung vorbei – und mussten zurück gepfiffen werden.

Foto: thomas rottenberg

Egal. Es ging ja um nix. Am Start- und Zielbogen war nicht einmal eine Alibi-Stoppuhr montiert worden. Und das, obwohl die Wanderlust-Leute sich für den Run doch sehr versierte Läufer und Läuferinnen als Partner und Streckenposten an Bord geholt hatten: Karl Diwisch ist einer der Köpfe der "Adidas Runners Vienna", also des Wien-Ablegers der globalen Laufcommunity des Sport-Giganten aus Herzogenaurach. Das Community-Konzept der Adidas Runners funktioniert ganz hervorragend – nicht zuletzt, weil die Stadtlauf-Gruppen sich untereinander austauschen und neben Lauftreffs in den jeweiligen Städten eben auch "Exkursionen" zu den diversen Stadtläufen machen. Ganz ohne Wettbewerbsdenken läuft das da natürlich nicht ab – und Diwisch ist auch alles andere als ein langsamer Läufer: Ich kenne ihn schon aus unseren früheren Pre-Run-Leben in Wien – und traf ihn vor zwei Jahren beim Berlin-Marathon wieder, als er knapp vor dem Brandenburger Tor pfeilschnell an mir vorbeiflog.

Sein letzter großer Lauf heuer war der Berlin-Halbmarathon – machte für die 1:40er-Gruppe den Pacer.

Foto: thomas rottenberg

Hier im Augarten hatten die Wiener Adidas-Runner aber auch aus einem anderen Grund die Strecke "gezeichnet": Wie groß Yoga mittlerweile ist, lässt sich auch daran erkennen, dass die Sportartikel-Giganten längst mit eigenen Yoga Kollektionen auf den Markt drängen. Doch Wanderlust und Adidas kooperieren auch beim Laufen eng: Im Augarten konnte man auch die aktuelle Adidas-Boost-Laufschuhkollektion testen.

Doch obwohl es sich lustig anließ, im Augarten auf Diwischs Zick-Zack-Kurs die barocken Alleen rauf und runter zu fliegen, gab es dann doch ein paar "Bugs" in der Routensetzung.

Denn nicht nur beim Start, sondern auch auf der Strecke hatten die Adidas-Leute darauf verzichtet, die Route durch Bänder unmissverständlich auszuzeichnen: lediglich auf den Boden gesprayte Pfeile wiesen die Richtung – und wenn man da nicht aufpasste, passierte eben, was bei so einem Event passieren muss: Man bog falsch ab.

Foto: thomas rottenberg

Erstaunlicherweise irrten sich die Läufer aber immer nur zu ihren Gunsten. Soll heißen: Sie bogen immer nur dann falsch ab, wenn das die Strecke verkürzte. Ob das bei allen Absicht war oder bei einigen doch nur der Herdentrieb, wenn sie einem oder einer Anderen nachhirschten, der oder die sich "zufällig" vertat, sei einmal dahin gestellt.

Besonders auffällig war das beim allerletzten Teil der Strecke: meine Freundin hatte tags zuvor ihre allererste Halbmarathondistanz im Training abgespult und legte heute eben einen flinken Fünfer nach. Und als da plötzlich 150 Meter vor dem Ziel eine gut 20 köpfige Gruppe, die wir Minuten zuvor überholt hatten, aus einem Seitenweg kommend vor uns auf die Strecke bog fand sie Worte, die – sagen wir es höflich – reichlich "unyogisch" waren und eher dem Idiom meiner Herkunftspostleitzahl als einer Yogalehrerin aus Bobostan zugetraut würden.

Ich genoss es geradezu, dieses eine mal lachend den Besonnen-Enstpannten mimen zu können: "Ach lass sie doch – sie bescheißen sich doch eh nur selbst."

Foto: thomas rottenberg

Aber auch ohne Mogeln waren die fünf Kilometer nur 4,7 gewesen. Egal. Denn nun kam der zweite Teil des Triathlons: Eine Yoga-Session mit – geschätzt 1.500, vielleicht sogar 2.000 Yogis. Ok: Eher 1.450 Yoginis und 50 Yogis. Das ist beim Yoga – noch – normal. Und – zum Glück – egal:

Foto: thomas rottenberg

Ich kenne die blöden Witze meiner Freunde und Kollegen – und weiß längst, wie man sie in der Sekunde beendet: Man nimmt die Herren einmal mit in eine Yogastunde – und sieht zu, wie das Thema "Gaffen" nach spätestens zwei Minuten vorbei ist.

Weil man(n), wenn man statt im Kopf bei sich selbst beim Hintern der Nachbarin ist, in der Sekunde aus der Konzentration rausfliegt – und umkippt. Und blamieren will sich Mann dann halt doch nicht. Außerdem merkt auch der größte Dolm, dass ihm das Dehnen was bringt: Stabilität, Flexibilität, etc … . Aber mit Gaffen wird das halt nix.

Foto: thomas rottenberg

Für mich war es die erste richtig große Massen-Yoga-Erfahrung. Und obwohl ich Menschenmassen sonst eher hasse und mir der ganze Wanderlust-Zauber zwischen den und rund um die einzelnen Teile des Triathlons mehr als bloß einen Tick zu sehr nach isozertifizierter Yoga-Kirmes schmeckten (wobei ich auch nicht wüsste, wie man es bei so großen Events anders machen könnte), war das Massenpraktizieren ein feines Erlebnis.

Weil mir das Gerede von Energie, Flow, Gemeinschaft und all dem, was hier jetzt noch kommen könnte und müsste, ein paar Ticks zu hippiesk klingt, lasse ich es einfach. Obwohl es schön war.

Foto: thomas rottenberg

Und ich gebe auch nur hinter vorgehaltener Hand zu, dass sogar mir die anschließende Meditation mit Sara Ticha, einer meiner Wiener Lieblingsyogalehrerinnen, gefallen hat. Obwohl ich mich bisher immer gegen Derartiges gewehrt und verweigert hatte: Weil Sara über den Umgang mit Ängsten sprach. Darüber, wie wichtig es ist, sie anzunehmen. Sie zuzulassen, sich von ihnen aber nicht klein- oder unterkriegen zu lassen: "Feel the fear – but do it anyway."

Und bei allem Spott, den ich für Bobo-Esoterik, Om & Co sonst demonstrativ zeige: Das hat verdammt viel mit meinem Zugang zu Sport und Laufen zu tun.

Mehr Wanderlust-Yoga-Bilder gibt es auf Thomas Rottenbergs Facebook-Account (Thomas Rottenberg, 23.8.2017)

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Foto: thomas rottenberg