Bitte zur Ruhe kommen: Wenn die Gedanken friedlich sind, werden neue Kräfte freigesetzt.

Illustration: Francesco Cioccolella

Tief einatmen, langsam ausatmen. Im Moment bleiben, nicht daran denken, was heute noch zu erledigen ist. Hören, wie die Luft durch die Nase in die Lungenflügel strömt. Spüren, wie sich das Zwerchfell hebt und senkt. Neugierig und offen sein, nichts bewerten. "Wahrnehmen, was ist, und nicht, was sein soll", so beschreibt die deutsche Psychologin Britta Hölzel das Prinzip der Achtsamkeitsmeditation.

Die Methode wurde 1979 vom Mediziner Jon Kabat-Zinn entwickelt, der an der University of Massachusetts Medical School in Worcester forschte. Das mentale Training, das der Wissenschafter "Mindfulness-Based Stress Reduction" (MBSR) nannte, kombinierte erstmals Elemente der buddhistischen Lehre mit der naturwissenschaftlichen Sichtweise des Westens.

Das führte dazu, dass sich auch die Forschung für die unterschiedlichen Meditationsprogramme und ihre Effekte auf die körperliche und seelische Gesundheit zu interessieren begann. Wissenschafter ermittelten das Stresshormon Cortisol im Speichel meditationserprobter Probanden, maßen ihren Blutdruck und ihre Herzschlagrate.

Viele Studien, wenig Evidenz

Neurobiologen durchleuchteten meditierende Mönche in Kernspintomografen, und Psychologen verabreichten ihren Probanden während eines Achtsamkeitstrainings Stromstöße, um den Einfluss auf das Schmerzempfinden zu testen.

2007 präsentierte die US-amerikanische Agency for Healthcare Research and Quality eine systematische Übersichtsarbeit, die alle bis dato erschienenen Studien zum medizinischen Nutzen von Meditation berücksichtigte. Das ernüchternde Ergebnis: Alle 813 Untersuchungen hatten grobe methodische Mängel.

Die häufigsten Kritikpunkte: zu kleine Stichproben und ungeeignete Vergleichsgruppen. Im Jahr 2014 lieferte eine Metaanalyse von 47 randomisiert-kontrollierten Studien mit insgesamt 3515 Teilnehmern schließlich doch zwei klare Ergebnisse. Für die transzendentale Meditation ließ sich keine Wirksamkeit nachweisen, das achtsamkeitsbasierte Training hilft hingegen nachweislich bei Stress, Angstzuständen und Depressionen.

Gefühle im Griff haben

Üblicherweise wird die Methode in achtwöchigen standardisierten Kursen unterrichtet. Die Idee dahinter: Wie wir die Welt erleben, hängt weitgehend von uns selbst ab. Belastende Gedanken oder Gefühle entstehen vor allem durch unsere Wahrnehmung des Alltags. Britta Hölzel hat sechs Jahre lang an der Harvard Medical School in Boston und der Charité in Berlin die Auswirkungen der Aufmerksamkeitsmeditation erforscht.

Das zentrale Ergebnis: Sie führt zu einer Zunahme der Nervenverbindungen zwischen präfrontalem Cortex – der Kontroll- und Entscheidungsinstanz im Gehirn – und der Amygdala, die bei Angst und Stress aktiviert wird. "Dadurch werden Emotionen besser regulierbar", erklärt die Psychologin.

Demnach können Patienten, die an einer generalisierten Angststörung leiden, mit MBSR ihre Gefühle stärker unter Kontrolle bringen. "Angstbasierte Verhaltensmuster durchbrechen", nennt das der US-Psychiater Judson Brewer in einem Vortrag via Ted-Med.

Bessere Konzentration

Auch der Nutzen der Mindfulness Based Cognitive Therapy (MBCT), die Elemente der Achtsamkeitsmeditation mit kognitiver Verhaltenstherapie kombiniert, konnte in einer Metaanalyse von dänischen Forschern der Uniklinik Aarhus bestätigt werden. Das Verfahren eignet sich den Wissenschaftern zufolge zur Rückfallsprophylaxe für depressive Patienten. "Die Methode erwies sich als ebenso wirksam wie Antidepressiva", ergänzt Hölzel.

Ein weiterer Effekt: Wer seine Achtsamkeit trainiert, kann sich auch besser konzentrieren und Störreize ausblenden. Eine Gabe, die auch Menschen besitzen, die regelmäßig beten, wie kürzlich Psychologen der Uni Graz in einer Studie herausgefunden haben. "Wer häufig betet oder meditiert, kann offensichtlich Informationen besser kanalisieren und Gedanken, die mit der gerade zu erledigenden Aufgabe nichts zu tun haben, vermeiden", betonen die Forscher.

Fürbitten helfen nicht

Dass Menschen für die Genesung von ihnen nahestehenden Personen beten, könnte hingegen sogar ein Nachteil sein. Diesen Schluss legt zumindest eine Studie von Forschern der Harvard Medical School mit 1800 Herzpatienten nahe, die sich einer Bypass-OP unterziehen mussten.

600 Probanden wurden über die Intention der Untersuchung aufgeklärt, sie wussten allerdings nicht, ob sie in den Fürbitten berücksichtigt wurden. Ein weiteres Drittel der Teilnehmer erfuhr nicht, dass es Teil der Studie war, und die restlichen Probanden wurden darüber informiert, dass für deren erfolgreiche Operation und rasche Genesung gebetet wird.

Das Ergebnis: Die Komplikationsrate war in der Gruppe, die sich sicher sein konnte, dass sie im Gebet erwähnt wurde, mit 59 Prozent am höchsten. In den beiden Kontrollgruppen lag der entsprechende Anteil bei 51 bzw. 52 Prozent. "Fürbitten haben keinen Einfluss auf die komplikationsfreie Genesung", lautete das Fazit der Autoren. Eine Erklärung dafür: "Möglicherweise waren die Patienten darüber besorgt, dass ausgerechnet sie für die Gebete auserwählt wurden. Nach dem Motto: 'Ich bin so krank, dass man schon eine Gebetsgruppe rufen muss.'" Es ist also ratsam, selbst "Om" oder "Amen" zu sagen. (Günther Brandstetter, CURE, 10.9.2017)