Menschen mit Übergewicht tragen ständig Ballast mit sich herum. Gesundheitlich schadet es Organen und Gelenken.

Illustration: Francesco Cioccolella

Das Problem wird uns ständig vor Augen geführt – auf der Straße, im Supermarkt oder im Strandbad: immer mehr dicke Menschen. Viele der XXL-Träger können sich nur noch mühsam bewegen, Übergewicht und Fettleibigkeit sind zu echten Volkskrankheiten geworden. Experten warnen sogar vor einer weltweiten Adipositas-Epidemie.

De facto gibt es sie längst. Vor kurzem lösten die Mexikaner die US-Amerikaner als Rekordhalter in der Schwergewichtsklasse ab, und in China wachsen gerade Millionen von dicken Kindern heran.

Medizinisch gesehen sind die anschwellenden Bäuche tickende Zeitbomben. Denn das Fett schläft nicht. Die weichen Massen entfalten ihre eigene physiologische Dynamik und können so gefährliche Folgekrankheiten wie Diabetes Typ 2 auslösen.

Den Gesundheitsversorgungssystemen dräut dadurch eine gewaltige Herausforderung. Insulin zur Behandlung von Diabetes zum Beispiel lasse sich nicht wirklich in beliebiger Menge herstellen, wie die Biologin Teresa Valencak berichtet. Es drohen Engpässe. Neue Therapieansätze seien dringend notwendig.

Polsterfunktion

Valencak ist als Wissenschafterin an der Veterinärmedizinischen Universität Wien tätig und erforscht als solche die biologischen Grundlagen von Adipositas. "An der Entstehung der Korpulenz sind verschiedene Fettdepots beteiligt", erklärt sie. Zum einen gibt es das subkutane Fettgewebe, welches sich unter der Haut bildet und unter anderem eine Polsterfunktion hat.

Viszerales Fettgewebe dagegen liegt hauptsächlich in Ansammlungen zwischen den inneren Organen, direkt neben Darm, Leber und Bauchspeicheldrüse. Eine zusätzliche Unterteilung erfolgt auf mikroskopischer Ebene.

Fettgewebe besteht überwiegend aus sogenannten weißen Adipozyten, sprich: Fettzellen, aber es gibt auch eine dunkel gefärbte Variante. Solche braunen Adipozyten enthalten eine erhöhte Anzahl an Mitochondrien, die zellulären Kraftwerke. "Man findet die braunen Zellen vor allem dort, wo Wärme gebraucht wird", sagt Teresa Valencak. "Bei Säuglingen sind sie deshalb besonders stark im Nackenbereich vertreten. Die wachsenden Gehirne müssen beheizt werden."

Pinke Fettzellen

Vor wenigen Jahren entdeckten italienische Forscher noch einen dritten Typus Fettzellen: die pinken Adipozyten. Diese kommen ausschließlich bei weiblichen Säugern vor und dienen der Milchproduktion. Wie die braune Variante entstehen auch pinke Adipozyten durch Umwandlung von weißen Fettzellen. Die Transformation setzt schon während der Schwangerschaft ein.

Neben der Färbung zeichnen sich die Pinken in erster Linie durch Vergrößerungen des Endoplasmatischen Retikulums und des Golgi-Apparats, die Proteinfabriken der Zellen, aus. Ohne sie gäbe es vermutlich keine nahrhafte Milch. Über die genaue Funktionsweise der pinken Adipozyten sei gleichwohl nur wenig bekannt, wie Teresa Valencak betont. Die Forschung habe ihnen bisher kaum Aufmerksamkeit geschenkt.

Ähnliches gelte für die geschlechtsspezifischen Unterschiede des Lipidhaushalts allgemein. Frauen speicherten Fett anatomisch anders als Männer, erklärt die Expertin. Die berühmten Polster an Po und Hüften seien in erster Linie weibliche Attribute, während bei den Männern bekanntlich die Tendenz zur Kugelwampe überwiegt.

Figurtechnisch wird dieser Kontrast unter Fachleuten gerne als Birnen- beziehungsweise Apfelform bezeichnet. Und Letztere birgt die größeren Gesundheitsrisiken. "Das Toxische am Bierbauch ist nicht das subkutane Fett", sagt Valencak. Die Hauptgefahr gehe von den viszeralen Depots aus. Sie lassen Organe und Gefäße leiden – bis hin zum physiologischen Kollaps.

Speicherung, Wachstum und Vermehrung

Die Ursache indes liegt nicht in der Zusammensetzung. Sowohl der Bauchspeck als auch die viszeralen Fettmassen bestehen weitgehend aus weißen Adipozyten. Ihre Aufgaben sind klar definiert: Speicherung, Wachstum und Vermehrung. Um diese Ziele zu erreichen, greifen die weißen Zellen aktiv in den Körperstoffwechsel ein und produzieren diverse hormonwirksame Moleküle, Adipokine genannt.

Der Wissenschaft sind inzwischen mehrere Dutzend solcher Signalsubstanzen bekannt. "Es scheinen ständig mehr zu werden", meint Teresa Valencak. Die Zuordnung sei mitunter umstritten, aber nicht bei den wichtigsten wie zum Beispiel Leptin. "Das sind die zentralen Stellschrauben für die Nahrungsaufnahme." Je mehr Leptin & Co in der Blutbahn zirkulieren, desto stärker wird im Gehirn der Appetit angeregt. Der Beginn eines riskanten Teufelskreises.

In Bezug auf die Organschädigung ist allerdings die Lage entscheidend. Neben Adipokinen setzen weiße Fettzellen nämlich auch reichlich Fettsäuren frei. Diese dienen dem Immunsystem als starke pro-inflammatorische Signale, es entsteht eine Art chronische Entzündung. Benachbarte Gewebe sind dem ebenfalls ausgesetzt.

Fett schützt sich selbst

Das viszerale Fett greift dadurch indirekt die Organe in seiner Nähe an. Gleichzeitig kommt es zu erheblichen Störungen in der Lipolyse, dem enzymatischen Abbau von gespeichertem Fett. Dessen Verfügbarkeit wird folglich eingeschränkt, sogar wenn ein erhöhter Energiebedarf herrscht. Mit anderen Worten: Die bereits gebildeten Speckpolster abzutrainieren fällt zunehmend schwer. Das Fett schützt sich praktisch selbst.

Der Organismus bekommt diese Eigendynamik kaum noch in den Griff. Was eigentlich als schützende Reserve für schlechte Zeiten gedacht war, wird nun zur gesundheitlichen Bedrohung. "Die weißen Adipozyten wollen sich ständig vergrößern", erklärt Teresa Valencak. Wenn sie ein bestimmtes Volumen erreicht haben, vermehren sie sich durch Teilung.

Das Wuchern geht weiter, und der Betroffene wird immer dicker. Seine Mobilität wird eingeschränkt, die Gelenke ächzen unter dem wachsenden Gewicht. Noch weniger Bewegung bedeutet noch weniger Verbrennung. "Der Hunger indes bleibt", betont Valencak. "Die Fettzellen wollen gefüttert werden." Irgendwann kommt der Patient mit dem Essen nicht mehr hinterher. Extrem fettleibige Menschen, ungefähr ab 250 Kilo aufwärts, brauchen häufig sogar intravenöse Ernährung.

Pensionistenbauch bekommen

Für Frauen jedoch scheint Fett weniger Gefahren zu bergen als für das angeblich starke Geschlecht – vor allem in jüngeren Jahren. Zum einen liegt das wahrscheinlich am zeitweilig höheren Bedarf. Valencak erläutert die Details: "Die Stoffwechselrate einer stillenden Mutter kann mehr als das Vierfache ihres Grundumsatzes betragen", sagt sie. Nur Leistungssportler erreichten höhere Werte.

In diesem Kontext lasse sich auch erklären, warum Frauen nach einer Geburt oft dauerhaft zunehmen. Schwangerschaft und Milchproduktion regten den Appetit enorm an, meint Valencak. "Wenn Mütter abstillen, müssen sie deshalb aktiv weniger essen." Sonst drohe Schwerleibigkeit.

Ein ähnlicher Effekt sei übrigens für die Korpulenz vieler Senioren verantwortlich. Ältere Menschen haben eine sinkende Stoffwechselrate und bewegen sich weniger, ihre Essgewohnheiten behalten die meisten dennoch bei. Der Pensionistenbauch ist somit kein unabwendbares Schicksal, sondern eher eine Frage des Lebensstils.

Geschlechtsspezifische Unterschiede

Nicht jedes extra Kilo bedeutet gleichwohl ein Gesundheitsrisiko – im Gegenteil. Ein bisschen mehr Polsterung kann ältere Menschen im Falle eines Sturzes vor gefährlichen Knochenbrüchen bewahren. Weißes Fett wirkt sich auch bei einem Krebsleiden günstig aus. Tumoren haben die Neigung, den Körper regelrecht auszuzehren. Logisch also, dass Extrareserven die Überlebenschancen erhöhen.

Die geschlechtsspezifischen Unterschiede in der Fettphysiologie dagegen weisen manchmal erstaunliche Aspekte auf. In Dänemark zum Beispiel kamen Mediziner bei Frauen im Alter zwischen 60 und 85 Jahren in Bezug auf den Zusammenhang zwischen Hüftspeck und dem Risiko, an Atherosklerose zu erkranken, zu einem unerwarteten Ergebnis. Kräftige subkutane Fettkissen schützen das weibliche Geschlecht offenbar vor Gefäßverkalkung. "Möglicherweise setzen diese Depots andere Botenstoffe frei als viszerales Bauchfett", meint Teresa Valencak, "und solche Substanzen könnten sogar eine gesundheitsfördernde Wirkung haben."

Über die exakten Auswirkungen sei aber bisher kaum etwas bekannt. "Die medizinische Forschung ist noch immer viel zu stark auf das männliche Geschlecht fixiert", bedauert Valencak, "und das, obwohl wir im 21. Jahrhundert leben." (Kurt de Swaaf, CURE, 22.10.2017)