Sebastian Kurz hat es wieder geschafft: Er ist im Gespräch. Mit seinem Vorschlag, Strafen für Gewaltverbrechen zu erhöhen, machte er Schlagzeilen und löste Debatten aus. Was will ein Wahlkämpfer mehr?

Kurz ist aber nicht nur Wahlkämpfer. Er ist auch Regierungsmitglied. Und er hat das Ziel, neuer österreichischer Regierungschef zu werden. Man darf und soll ihm also zutrauen, über den Zeithorizont des Wahlkampfes hinauszudenken, in die Zukunft, aber auch in die Vergangenheit. Er könnte sich dann zum Beispiel an den 16. Juni 2015 erinnern. Denn an jenem Tag hat er im Ministerrat exakt das mitbeschlossen, was er heute fordert: höhere Strafen für Gewaltdelikte, niedrigere Strafen für Vermögensdelikte.

Diese große Strafrechtsreform, die später auch im Parlament beschlossen wurde und mit Jahresbeginn 2016 in Kraft trat, war von dem Gedanken beseelt, dass ein Eingriff ins Privatvermögen meistens leichter verkraftet werden kann als ein Eingriff in die körperliche Integrität. Es wurden deshalb die Strafrahmen für einzelne Delikte angepasst, es wurden aber auch neue Delikte definiert. Staatsanwälte erhielten neue Instrumente, um der Sexualstraftäter habhaft zu werden.

Pograpschparagraf

Ein Beispiel war der sogenannte Pograpschparagraf. Auch hier lohnt sich ein näherer Blick auf die Geschehnisse des Jahres 2015. Es waren damals nämlich vor allem Stimmen aus der ÖVP, die sich kritisch über die Ausweitung äußerten. Ihnen ging die Verschärfung zu weit. Die SPÖ-Frauenministerin setzte sich letztlich durch. Dass Kurz nun den laschen Umgang mit Sexualstraftätern beklagt und dafür der SPÖ die Schuld zuweist, mag durch Wahlkampfrhetorik erklärbar sein – schlüssig ist es nicht.

Kurz fordert also etwas, was bereits umgesetzt wurde. Und zwar von jener Bundesregierung, der er selbst noch immer angehört, und unter der Federführung eines Justizministers aus der eigenen Partei. Andere Politiker hätten sich diesen Erfolg an die Fahnen geheftet. Sie hätten sich mit der Reform gerühmt und den Kritikern aus der Opposition, die der Koalition jeden Reformeifer absprechen, entgegnet: Seht her, wir haben etwas erreicht.

Nicht so Sebastian Kurz. Er distanziert sich, wie so oft, auch im Strafrecht von der eigenen Partei und ihren Leistungen. Was zählt, ist sein eigener Wille zur Macht.

Vergewaltigung als Topthema

Dass er sich aus dem weiten Feld der Justizpolitik ausgerechnet diesen Bereich aussucht, ist kein Zufall. Nichts emotionalisiert so stark wie Sexualgewalt. Und kein Strafrechtsbereich war in der jüngsten Vergangenheit so eng mit dem Flüchtlingsthema verknüpft wie dieser. Auf Facebook, in Boulevardmedien – Vergewaltigung ist nach der Kölner Silvesternacht 2015 zum Topthema geworden. Ganz so, als wäre nicht schon vor dem Jahr 2015 vergewaltigt worden, als wären nicht schon seit jeher Kinder missbraucht worden.

Die Gewaltopfer sind übrigens die Letzten, die von Kurz' Vorschlag profitieren würden. Das strafrechtliche Ahnden von sexueller Gewalt ist schon bisher nicht an zu niedrigen Strafen gescheitert, sondern daran, dass Frauen sich nicht zur Polizei trauen, dass ihre Aussage nicht als Beweis gilt, dass Kinder reden, aber nicht gehört werden. Würde Kurz mit den Opfern sprechen, dann bekäme er vielleicht zu hören, dass sie sich nicht unbedingt höhere Strafen wünschen. Aber vielleicht bleibt für solche Gespräche im Getöse des Wahlkampfs ja auch einfach keine Zeit. (Maria Sterkl, 7.8.2017)