Die Spallation Neutron Source am Oak Ridge National Laboratory in Tennessee produziert enorme Mengen an Neutrinos. Deren Kollision mit Atomkernen konnte nun erstmals beobachtet werden.

Foto: Oak Ridge National Laboratory/ Jason Richards

Oak Ridge / Wien – Sie gelten als "Geister" unter den Elementarteilchen – und tatsächlich besitzen Neutrinos eine ganze Reihe von gespenstischen Eigenschaften: Die zweithäufigsten Partikel nach den Photonen entstehen bei atomaren Zerfallsprozessen, sind elektrisch neutral und sausen annähernd mit Lichtgeschwindigkeit durchs All. Dabei lassen sie sich praktisch von nichts aufhalten: Mühelos passieren sie Planeten und Sterne gleichermaßen.

Der österreichische Physiknobelpreisträger Wolfgang Pauli hat ihre Existenz bereits 1930 vorhergesagt. Weil sie aber herkömmliche Materie mehr oder weniger unbeeindruckt durchdringen und allein über die schwache Wechselwirkung mit ihr interagieren, wurden Neutrinos erst 1956 glaubwürdig nachgewiesen.

Dem Standardmodell der Elementarteilchenphysik zufolge dürften sie eigentlich keine Masse besitzen. Allerdings haben einige Experimente mittlerweile das Gegenteil bewiesen, weshalb unsere Theorie zur Erklärung der Welt erweitert werden musste. Fest steht jedenfalls, dass ihre Masse außergewöhnlich gering sein muss. Obwohl seit ihrer Entdeckung nunmehr über 60 Jahre vergangen sind, gibt das Neutrino immer noch zahlreiche Rätsel auf.

Theoretische Kernkollisionen

Eine der nach wie vor offenen Fragen hat mit der Wechselwirkung mit herkömmlicher Materie zu tun: Dass diese "Geister" mit Protonen, Neutronen und Elektronen interagieren können, haben frühere Versuche bewiesen. Dass Neutrinos jedoch auch mit atomaren Kernen als Ganzes wechselwirken, darüber wurde seit 1974 nur theoretisch spekuliert.

Nun ist es Teilchenphysikern nach 43 Jahren erstmals gelungen, diese sogenannte kohärente Neutrinostreuung an Atomkernen bei Experimenten am Oak Ridge National Laboratory tatsächlich nachzuweisen. Das 80 Wissenschafter aus vier Nationen umfassende Team um Dmitri Akimow nutzte für seine spektakuläre Entdeckung den kleinsten Neutrinodetektor der Welt. Die Spallation Neutron Source (SNS) der Anlage im US-Bundesstaat Tennessee produziert Neutronen und, quasi als Nebenprodukt, einen opulenten Strom an Neutrinos.

Treibende Kraft hinter Supernovae

Um diese einzufangen, wurde ein nur 14,5 Kilogramm schwerer Detektor 20 Meter von der Neutrinoquelle entfernt positioniert. Trotz seiner geringen Größe – die meisten Neutrinodetektoren wiegen Tausende von Tonnen – war der Apparat in der Lage, die Interaktion zwischen den Atomkernen von mit Natrium angereichertem Caesiumiodid und den Neutrinos in Form von Energieblitzen festzustellen. "Das Signal ist allerdings sehr gering", berichten die Forscher im Fachjournal "Science". "Es ist, als wollte man den Effekt eines Pingpongballs feststellen, der auf eine Bowlingkugel trifft."

Und doch hat das Phänomen auch enorme astrophysikalische Auswirkungen, spielt es etwa bei Supernovae eine bedeutende Rolle: Die kohärente Neutrinostreuung an Atomkernen dürfte mitverantwortlich sein für die Auslösung dieser enormen kosmischen Explosionen.(Thomas Bergmayr, 3.8.2017)