Wien – Gerät Österreichs Politik in Bewegung, hält der ORF nicht lange ruhig. Neue Regierung, neue Besetzung im ORF, gern mit neuem ORF-Gesetz, das die Amtszeit des Managements jäh beendet. Klassiker bürgerlicher wie freiheitlicher Medienpolitik zudem: Privatisierung von ORF 1 und Ö3.

All das ist derzeit, zehn Wochen vor der Nationalratswahl mit einigem Änderungspotenzial, Thema in ORF und Politik.

Der amtierende ORF-Chef Alexander Wrabetz, 2016 zum zweiten Mal wiederbestellt bis Ende 2021.
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1. Privatisierung

Kommt Türkis-Blau, wird dann ORF 1 privatisiert oder Ö3, rätseln auch hochrangige ORF-Mitarbeiter. Und: Sind die Kanäle gar schon dem einen oder anderen Boulevardverleger versprochen – zum Beispiel Wolfgang Fellner ("Österreich") oder Familie Dichand ("Krone", "Heute")?

Diese doch recht fundamentalen Fragen könnten etwa auf Hinweise von ÖVP-Mediensprecher Gernot Blümel zurückzuführen sein. Der soll einigen im ORF erklärt haben: Privatisierung sei nicht geplant. Aber achte der ORF nicht genau auf Tonalität und Ausgewogenheit seiner Berichterstattung, ließen sich Hardliner in der ÖVP da schwer zurückhalten. Klingt vorerst nach Drohpotenzial, aber doch recht nachdrücklich eingesetzt.

Ungarn etwa hat einst einen Öffi-Kanal an deutsche Private verkauft. Der ORF in öffentlichem Stiftungsbesitz müsste Sender wohl ausschreiben. Ö3 trägt immerhin nicht den ORF im Namen – eine ORF-1-Marke ist schwer privat weiterzuführen. Und was wird verkauft, verkauft man ORF 1? Schon sein Platz auf den Fernbedienungen ist einiges wert.

Bisher setzte noch jede Regierung (auch ÖVP-FPÖ ab 2000) auf (potenzielle) Kontrolle eines möglichst reichweitenstarken ORF.

2. Kontrolle

Über die ORF-Führung, Budget, Programmschema, Kauf und Verkauf von Konzernteilen entscheidet derzeit der Stiftungsrat, besetzt von Regierung, Ländern, Parteien, ORF-Publikumsrat, ORF-Betriebsrat. Ändert sich deren Besetzung, können sie ihre Stiftungsräte austauschen. Aber Stiftungsrat und Publikumsrat stehen ohnehin im März und April 2018 regulär zur Neubesetzung an.

Eine türkis-blaue Regierung könnte über den (großteils vom Kanzler besetzen) Publikumsrat, über Regierungs-, Partei- und Ländermandate an eine Zweidrittelmehrheit im Stiftungsrat herankommen – die Rechenmodelle finden Sie hier.

Mit einer Zweidrittelmehrheit kann der Stiftungsrat ORF-Generäle abberufen.

Für neue Direktoren – etwa Direktorenrang für Online-Vizedirektor Thomas Prantner – reicht eine einfache Mehrheit. 2016 wurden die vier ORF-Direktoren ohne bürgerliche Kandidaten bestellt.

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3. Gesetz, General und GIS-Gebühr

Will eine Regierung den General austauschen und geht sich keine Zweidrittelmehrheit aus, bewährte sich ein neues ORF-Gesetz mit neuen Gremien, die einen neuen Chef bestellen. 1974 tat das die SPÖ, 2001 tauschten so ÖVP und FPÖ den ORF-General.

Wird über die ORF-Gremien nachgedacht, kommt rasch eine Verkleinerung des Aufsichtsrates (derzeit Stiftungsrat, früher Kuratorium) mit bisher 35 Mitgliedern aufs Tapet. Scheiterte bisher am Wunsch aller neun Bundesländer, weiter im Entscheidungsgremium je ein Mandat zu haben – und dem Wunsch der Bundesregierung, das Gewicht der Länder national auszutarieren.

FPÖ-Stiftungsrat Norbert Steger spricht zum Beispiel gern von einem neuen ORF-Gesetz in seiner Schublade. Und er spricht gerne vom Stiftungsrat als einer Art Medienparlament. Offenbar schwebt Steger ein ORF-Aufsichtsgremium vor, das die Kräfteverhältnisse im Nationalrat abbildet (und nicht jene in der Regierung und in den Landesregierungen).

Mit einem neuen Gesetz stellen sich auch Fragen nach der künftigen Finanzierung des ORF – also etwa statt der bisherigen GIS-Gebühr für Rundfunk (und nicht für Streaming) eine Haushaltsabgabe für alle. Auch der amtierende Medienminster Thomas Drozda (SPÖ) wollte an ORF-Finanzierung, ORF-Gremien und ORF-Auftrag schrauben, kam aber nicht mehr dazu.

4. Hoffnungsträger, Kandidaten

Vor einem Jahr bestellte der Stiftungsrat den Sozialdemokraten Alexander Wrabetz. ÖVP und FPÖ stimmten für Richard Grasl, damals Finanzdirektor. Ein logischer Kandidat, schiene der nicht aus persönlichen Gründen vorerst aus dem Rennen.

Als bürgerliches Potenzial wird nun etwa Markus Breitenecker gehandelt – der als Chef von ProSiebenSat1Puls4 freilich mehr als die 420.000 Euro jährlich eines ORF-Generals verdienen dürfte und seit Jahrzehnten als Privatfunker positioniert ist. Oder Wolfgang Fischer, derzeit Wiener Stadthallenchef, davor lange im ORF – sein Vertrag wurde allerdings 2016 bis 2022 verlängert. ORF-1-Infochefin Lisa Totzauer könnte mehr werden als Channel Managerin.

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ORF-Chef Alexander Wrabetz freilich läuft bisher stets zur Höchstform auf, wenn es um seinen Generalsjob geht. Er soll sich längst warmlaufen für die nächsten stürmisch-frostigen Zeiten.

Wie er solche Herausforderungen angeht, hat er schon ein paar Mal gezeigt – mehr hier. (Harald Fidler, 2.8.2017)