Warum beim Race To Kinvara viele Teilnehmer und Teilnehmerinnen nicht mit dem gleichnamigen Schuh liefen und das kein Fauxpas war. Von einem Schuhtest und Zaubersohlen. Von Liebe auf den ersten Schritt – und der von Binsenweisheit, dass man mit dem Rennrad kein MTB-Downhillrenen fährt

"Na, und wie ist er jetzt so?" Die Frage kam sofort. Und ist legitim. Schließlich wäre es ja logisch, dass man bei einem Laufevent, der an oder zu jenem Ort stattfindet, der einem Laufschuh seinen Namen gibt, auch etwas über den Schuh erzählt. Und zwar mehr als jene Metastory die ich vergangenen Woche in den Reisebericht rund um das Race to Kinvara verpackt habe.

Kurz zur Erinnerung: Der US-Laufschuhhersteller Saucony hatte zu seinem jährlich ausgetragenen, zweitägigen Staffelevent über 200 Kilometer in Irland erstmals auch ein Team aus Österreich geladen. Ich war einer der acht, die sich die 22 Etappen zwischen Dublin, Kilkenny und dann über die Cliffs of Moher nach Kinvara in der Bucht von Galway teilten – und zwischen Hitze und Hagel ziemlich jedes Wetter erlebten, das Irland im Sommer kann. Ein Traumlauf, aus vielen Gründen. Landschaftlich. Aber auch emotional.

Foto: Saucony.at

Dass die in Boston ansässigen Schuhmacher zehn Teams zu je acht Läuferinnen und Läufern nicht nur aus Liebe zum Laufsport eingeladen hatten, ist klar: Es ging auch darum, vor Influencern und anderen Multiplikatoren Präsenz und Produkt zu demonstrieren. Und das mit dem richtigen Timing: Der Kinvara ist eines der Zugpferde des Unternehmens, das jährlich weltweit rund zehn Millionen Paar Laufschuhe absetzt – und seit Anfang August ist der Kinvara 8 nun offiziell in den Läden.

Nur zum Vergleich: Asics, nach eigenen Angaben Weltmarktführer bei Laufschuhen, setzt allein von seinem Spitzenmodell – dem GT-2000 – angeblich zwei Millionen Paar ab. Jährlich.

Das hilft, Saucony einzuordnen: ein Großer unter den Mittleren.

Foto: Saucony.at

Aber zurück zum "Na, und wie ist er jetzt so?". Vergangene Woche hätte ich dazu nichts erzählen können. Der Kinvara 8 war zwar – in einer Sonderedition mit Erinnerungsaufdruck – in unserer Ausrüstung. Aber nachdem ich ihn anprobiert hatte, kam er wieder in den Karton.

Ich war nicht der Einzige, der das so handhabte: Mehr als die Hälfte der Teilnehmerinnen und Teilnehmer liefen das Race to Kinvara nicht mit der achten Auflage des Schuhs.

Aus Gründen, die auch die Saucony-Leute verstanden: Es gehört zu den Binsenweisheiten des Laufens, bei einem Bewerb oder Wettkampf nicht in brandneuen, ungetragenen Schuhen anzutreten. Sogar wenn man das gleiche Modell in der gleichen Baureihe daheim stehen hat: Ein neuer Schuh kann immer "Überraschungen" parat haben – und gerade bei einem Wettkampf will man sich lieber auf anderes konzentrieren als auf Blasen, Druckstellen, Reibungspunkte oder Schnürungsspielereien, die man nach zwei oder drei Läufen dann gut im Griff hätte.

Foto: Saucony.at

Ich lief nach Kinvara deshalb mit meinem aktuellen Lieblingsschuh, dem Freedom ISO, ebenfalls von Saucony (wir waren vorab gebeten worden, wenn wir andere Schuhe anzögen, doch bitte Saucony-Produkte zu verwenden. Nicht unüblich – und auch nachvollziehbar). Den Freedom hatte ich heuer im Februar auf den Tisch gelegt bekommen – und mich sofort in ihn verliebt. Den Testbericht der ersten paar Kilometer habe ich nicht ohne Grund "Friday I'm in love" genannt – aber ob Liebe auf den ersten Schritt Strohfeuer ist, kann man ad hoc nie sagen.

Mittlerweile haben sie zwei Marathons (Boston und Wien) und so ungefähr alles, was man mit einem Straßenlaufschuh machen kann, durchgemacht. Von langen Läufen über schnelle kurze Bewerbe und Intervalltraining bis zum Bahntraining. Längst nicht nur auf trockenem, ebenem Untergrund.

Der Schuh ist meine "Universalwaffe" – obwohl das Risiken birgt. Aber dazu später.

Aber ich weiß und spüre, dass die 800 meist schnellen, also fürs Material strapaziösen Kilometer den Schuh an seine Grenze geführt haben: Irland würde eines seiner letzten Abenteuer werden – bevor er ins Walhalla der Laufschuhe eingehen darf.

Foto: Thomas Rottenberg

Den Kinvara 8 bin ich also erst in Wien gelaufen. Und erkannte rasch, dass der Schuh sich mit meinen Füßen auf Anhieb gut genug verstanden hätte, um auch in Irland zum Einsatz zu kommen. Nur: So was weiß man eben erst im Nachhinein – und ... (siehe weiter oben).

Kurz zum Kinvara: Der Kinvara wird von seinen Erfindern als "Urvater der flexiblen und leichten Trainingsschuhe mit wenig Sprengung" bezeichnet. "Sprengung" ist der Höhenunterschied zwischen Zehen und Fersen – und der liegt beim Kinvara von jeher ziemlich unverändert bei vier Millimetern (23 Millimeter misst die Sohle im Fersenbereich, 19 beim Vorfuß).

Wenig Sprengung bedeutet, vereinfacht gesagt, dass der Schuh technisch "sauberes" Laufen tendenziell belohnt. Die auf den Laufstrecken dieser Welt immer noch üblichen Schuhe mit einem dicken Polster unter der Ferse sind jedoch auf den ersten Blick und Tritt "gemütlicher". Auch weil eine fette Fersendämpfung dazu einlädt, über die Ferse zu laufen (versuchen Sie das doch mal ohne Schuh – und danach reden wir über den Sinn und Zweck von Lauftechnikübungen).

Foto: Thomas Rottenberg

Abgesehen von der Technikfrage (generell gilt immer: Was wirkt und nicht wehtut, soll bitte von jedem und jeder gehandhabt werden, wie es Spaß macht) ist ein dicker Polster unter der Ferse aber auch ein Energiethema: Der Keil schluckt Aufprallenergie. Bremst also ab. Und diese Energie fehlt, wieder vereinfacht gesagt, dann beim Abdruck: Schauen Sie schnellen, guten oder gar Spitzenläufern zu. Es hat Gründe, dass die kaum je voll in die Ferse knallen, sondern – wieder vereinfacht gesagt – über den Mittelfuß und die Zehen "rollen": So wird der Energieverlust bei der Landung minimiert.

Freilich: Ohne Dämpfung tut der Spaß dann – ohne perfekte Technik – irgendwann weh. Oder führt zu Verletzungen.

Es geht also bei allen Herstellern immer darum, hier jene Balance zu finden, die für den Einzelnen (oder die Einzelne) den optimalen Kompromiss darstellt.

So wie bei jedem Hersteller und bei jedem Schuhmodell geht es auch beim Kinvara da – neben anderen Faktoren – von jeher bei den Sohlenkonstruktionen um Schlagworte wie "erhöhte Energierückgewinnung" und "ideale Druckverteilung beim Aufkommen".

Foto: Thomas Rottenberg

Bei der achten Auflage des Kinvara haben die Laufschuhmacher aus Boston ihr "Everrun"-Sohlensystem erstmals über die komplette Sohle gezogen. Bisher taten sie das nur bei ein paar anderen Modellen (etwa dem Freedom), und beim Vorgänger-Kinvara (also dem 7er) war nur unter der Ferse der – angebliche – Wunderschaum. Nun aber ist der gesamte Topsole-Bereich (also der Teil des Schuhes unter der herausnehmbaren Innensohle) daraus gefertigt – und verspricht optimale Dämpfung bei gleichzeitigem "Rückfedern" beim Abdruck.

Ob Marketingsprech oder nicht: Bei mir funktionierte der Schuh. Die Dämpfung war so, wie ich sie mir wünsche – spürbar, aber nicht butterweich oder schwammig: Der Schuh ist flexibel, reagiert sehr direkt und dynamisch – und auch bei schnelleren Antritten ist da kein "Schlucken" von Energie zu spüren.

Foto: Thomas Rottenberg

Auch weil mir das Ding passt wie ein Handschuh. Also weich und anschmiegsam – ohne einzuengen. Das kann Zufall sein, wird aber auch von anderen Testern (etwa im Blog "Ideale Gerade") oder bei "Harle Runner" ausdrücklich hervorgehoben.

Dass der neue Kinvara mit 238 Gramm (US-Größe 10) zwar zehn Gramm schwerer als sein Vorgänger (den ich nie getragen habe) ist, aber doch fast 40 Gramm leichter als der Freedom (275, US 10), ist auch eine Erwähnung wert: Der Kinvara ist eben nicht ganz so ein bequemer Schlapfen wie der Freedom und damit für meinen Geschmack und meine Bedürfnisse wohl mehr auf Tempo und Speed ausgelegt – auch auf der Langstrecke.

Foto: Thomas Rottenberg

Freilich gilt das nur unter einer Voraussetzung: Ich muss den Schuh richtig – im Sinne von korrekt – laufen. Und zwar vom Start bis ins Ziel.

Was das bedeutet? Nun: Der "Freedom ISO" hat mich im Frühjahr innerhalb von sechs Tagen durch zwei Marathons getragen. Dieses Back-to-Back-Laufen hatte ich weder geplant noch trainiert. Und auch keine Sekunde darüber nachgedacht, was diese Belastung für mein rechtes Sprunggelenk bedeutet: Ich bin wie sehr viele Läuferinnen und Läufer eigentlich ein "Hyperpronierer". Das heißt, mein Fuß knickt aufgrund einer Fehlstellung bei jedem Schritt ein kleines bisserl ein.

Das kann man mit speziellen Schuhen (Stichwort "Pronationsstütze") korrigieren – oder statt zur Krücke zu greifen, eben an der Lauftechnik arbeiten. Ob man dann mit für "Neutralläufer" (also ohne Pronationsthema) ausgelegten Schuhen einen Marathon laufen kann und soll, ist immer eine Frage von Lauftechnik und Vorbereitung.

Foto: Saucony.at

Was passieren kann – und wird –, wenn man auf einen Marathon dann ohne relevante Pause einen zweiten, subjektiv sogar schnellen setzt, zeigt dieses Bild: Während des Vienna City Marathons hatte ich genau null Probleme oder Schmerzen – aber schon eine Stunde danach hatte ich am rechten Knöchel eine massive, schmerzhafte Schwellung, die gut zwei Wochen kein Laufen zuließ.

Selber schuld: Der Fuß war beim zweiten Marathon einfach müde. Und hatte sich deshalb irgendwann von der korrekten, aber anstrengenden, antrainierten, richtigen Technik schleichend verabschiedet – und ich hatte es nicht bemerkt.

Das dem Schuh anzukreiden wäre falsch und ungerecht: Mit dem Rennrad fährt man schließlich auch keine MTB-Downhillstrecke, und mit Flipflops geht man nicht Bergsteigen.

Foto: Thomas Rottenberg

Summa summarum ist meine Antwort auf das "Na, und wie ist er jetzt so?" zum Kinvara 8 deshalb sehr positiv: ein feiner, leichter, schneller Schuh für anspruchsvolle Läuferinnen und Läufer, die gern leichte und reduzierte Schuhe tragen und mit Neutralschuhen keine Probleme haben. Nur: Pauschalempfehlungen gibt es gerade in diesem Bereich nicht – weil jeder Fuß anders ist und jeder und jede anders läuft.

Für mich, ganz subjektiv, hat der Kinvara aber durchaus das Zeug zum neuen Wettkampflieblingsschuh – wobei ich unsere Langstreckenkompatibilität da schon noch abtesten muss und werde. (Thomas Rottenberg, 2.8.2017)

Der Saucony Kinvara 8 ist ab dem 1. August lieferbar.

Ab 130 Euro

Mehr Bilder vom Race to Kinvara (auch jene, die die professionellen Fotografen der Veranstalter unterwegs machten) gibt es auf derrottenberg.com/racetokinvara.

Hinweis im Sinne der redaktionellen Leitlinien: Die Reise zum Race to Kinvara war eine Einladung von Saucony. Das hier beschriebene Material wurde zu Testzwecken zur Verfügung gestellt.


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Foto: Thomas Rottenberg