Staatschef Maduro feiert seinen international nicht anerkannten Sieg.

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Auf den Straßen von Caracas kam es erneut zu Protesten.

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Die Situation in Venezuela spitzt sich nach der international umstrittenen Wahl zu einer verfassunggebenden Versammlung weiter zu. Während allein am Wahltag nach Angaben der Opposition 15 Menschen getötet wurden – laut Regierung gab es keine Todesopfer – und Regimegegner am Montag zu neuen Protesten aufriefen, hofft die internationale Gemeinschaft auf ein Ende der Gewalt.

DER STANDARD hat die wichtigsten Fragen zur Lage in dem südamerikanischen Ölstaat beantwortet.

Frage: Wie könnte es nach der umstrittenen Wahl weitergehen in Venezuela?

Antwort: Die Opposition dürfte nach dem zweifelhaften Ausgang des Referendums den Druck auf das Regime erhöhen. Dessen Chef Nicolás Maduro gibt sich kämpferisch, man sei "auf jedes Szenario vorbereitet", verkündete er am Sonntagabend in Caracas. In seinem Dekret vor der Abstimmung hatte der Präsident angekündigt, dass die verfassunggebende Versammlung binnen 72 Stunden ihre Arbeit aufnehmen werde. Bevor die neue Verfassung in Kraft tritt, werde sie einer Volksabstimmung unterzogen, versprach er zudem. Die Geschichte zeigt, dass dieser Prozess durchaus lange dauern könnte. 1999 vergingen zwischen der Wahl der verfassunggebenden Versammlung – damals freilich mit weit mehr Rückhalt in der Bevölkerung – und der Bekanntmachung der neuen Verfassung 14 Monate. Ob die Venezolaner tatsächlich 2018 plangemäß einen neuen Präsidenten wählen oder, wahrscheinlicher, Maduro im Amt bleibt, bis die neue Verfassung in Kraft tritt, ist unklar.

Frage: Warum gibt es so große Unstimmigkeiten über die Wahlbeteiligung?

Antwort: Die Opposition hält die genannten Zahlen für nicht verifizierbar, unter anderem deshalb, weil bei der Wahl, im Unterschied zu früheren Referenden, auf die Markierung der Finger der Wählenden mittels unlöschbarer Tinte verzichtet wurde. So könnten Menschen mehr als einmal abgestimmt haben. Zudem habe es keine unabhängigen Beobachter gegeben. Wahlleiterin Tibisay Lucena, eine Anhängerin Maduros, hält dem entgegen, die Wahl sei "völlig normal" verlaufen.

Frage: Warum ist die Höhe der Beteiligung eigentlich so wichtig?

Antwort: Weil die Opposition die Wahl von Anfang an boykottiert hat und die Wahlbeteiligung daher einen Indikator für den Rückhalt der Regierung in der Bevölkerung darstellt. An einer inoffiziellen, von der Opposition initiierten Abstimmung über Maduros Verfassungspläne am 16. Juli nahmen laut den Organisatoren sieben Millionen Menschen teil. Bei dem Referendum am Sonntag waren es laut Regierung acht Millionen, laut Opposition weniger als 2,5 Millionen.

Frage: Wie lief die letzte Verfassungsänderung in Venezuela ab?

Antwort: Die verfassunggebende Versammlung wird nun zum zweiten Mal innerhalb von 18 Jahren tagen. Während Maduro deren Wahl gesetzeswidrig per Dekret verfügte, ließ sein Vorgänger Chávez 1999 noch das Volk darüber entscheiden. Stellte der Kongress damals während der sechs Monate dauernden Beratungen über eine neue Verfassung seine Arbeit ein, will das von der Opposition dominierte Parlament nun als Parallelgremium fungieren – und die Arbeit der unter zweifelhaften Umständen gewählten Versammlung so gut es geht blockieren. Die Chávez-Verfassung brachte im März 2000 signifikante Veränderungen. So wurde die Amtszeit des Präsidenten von fünf auf sechs Jahre ausgedehnt, die beiden Kammern des Kongresses wurden zur Nationalversammlung zusammengelegt. Und sogar einen neuen Staatsnamen verpasste man sich: Bolivarische Republik Venezuela.

Frage: Wer ist die Opposition?

Antwort: Um die Macht der damals noch von Chávez geführten Sozialisten zu brechen, haben sich im Bündnis "Mesa de la Unidad Democrática" (MUD) 2008 rund 20 Parteien zusammengeschlossen. Unter dem heterogenen Dach versammeln sich Sozialdemokraten, Liberale, Konservative und Vertreter von Öko-Parteien. Führende Köpfe sind der Gouverneur des Bundesstaats Miranda, Henrique Capriles, der Chef der Partei Voluntad Popular, Leopoldo López, und Parlamentspräsident Julio Borges. Der größte Erfolg gelang im Dezember 2015, als MUD bei der Parlamentswahl 112 der 167 Sitze errang; stärkste Partei innerhalb von MUD wurde die Partei von Capriles und Borges, Primero Justicia.

Frage: Was befürchten Kritiker?

Antwort: Gegner glauben, dass die Regierung durch die verfassunggebende Versammlung den von der Opposition beherrschten Kongress noch stärker als bisher entmachten und zu einem Scheinparlament machen will. Und dass Präsident Maduro allen Protesten zum Trotz im Amt bleibt und die Wahl, planmäßig 2018, auf ungewisse Zeit verschiebt.

Frage: Wie reagiert die internationale Gemeinschaft?

Antwort: Die EU hat sich tief besorgt über die gewalttätige Protestwelle gezeigt. Die Kommission rief zur Abkehr von Gewalt auf. Der Präsident des Europaparlaments, Antonio Tajani, sprach von einem traurigen Tag für die Demokratie in Venezuela und der Gefahr einer Verwüstung des Landes. Die US-Regierung hat die Wahl als Betrug bezeichnet und erwägt weitere Sanktionen auch gegen den Ölsektor des Landes. Auch Venezuelas Nachbarstaaten Argentinien, Peru, Chile, Brasilien und Kolumbien nannten die Wahl "illegal". (flon, 31.7.2017)